Netzpolitik.org und Landesverrat: Wie viel Leaken ist erlaubt?

Es ist im August 2014 gewesen, als Markus Beckedahl twitterte(öffnet im neuen Fenster) : "Möglicher neuer Netzpolitik-Aufkleber-Slogan: 'Uns liegen nicht nur Dokumente vor, wir veröffentlichen diese auch.'" Rund ein Jahr und etliche Leaks später(öffnet im neuen Fenster) , hat dieser Slogan zu einer handfesten Politikaffäre in Deutschland geführt. Regierung, Justiz und Medien streiten sich über die Frage, ob die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen das Blog gerechtfertigt sind oder nie hätten gestartet werden dürfen. Generalbundesanwalt Harald Range musste bereits gehen .
Was dabei meist außer Acht gelassen wird: Netzpolitik.org weicht im Umgang mit geheimen oder vertraulichen Dokumenten von der Praxis anderer Medien deutlich ab. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann die Etablierung eines netzpolitischen Enthüllungsportals solche juristischen Konsequenzen haben würde.
Mehr als fünf Jahre ist es inzwischen her, dass auf der von Beckedahl organisierten Bloggerkonferenz Re:publica ein gewisser Daniel Schmitt über die Pläne von Wikileaks berichtete. Im April 2010(öffnet im neuen Fenster) schwebte Schmitt eine Art Arbeitsteilung zwischen Medien und dem Enthüllungsportal von Julian Assange vor. Während die Medien bestimmte Dokumente auswerteten und bekanntmachten, könnte Wikileaks die Originale veröffentlichen und das juristische Risiko tragen. Dies steigere zum einen die Glaubwürdigkeit der Medien, zum anderen werde investigativer Journalismus auf diese Weise wieder erschwinglicher, sagte Schmitt, inzwischen besser bekannt unter seinem richtigen Namen Domscheit-Berg.
Wikileaks noch keine Option
Seitdem hat es viele spektakuläre Leaks gegeben, und nach einer zeitweiligen Funkstille scheint die Kooperation zwischen Medien und Wikileaks wieder besser zu funktionieren. Das zeigen beispielsweise die jüngsten Veröffentlichungen der NSA-Überwachungslisten , die in Zusammenarbeit mit Süddeutscher Zeitung sowie den Sendern NDR und WDR erfolgten.
Für die Blogger von Netzpolitik.org ist ein Weg über Wikileaks bislang noch keine Option gewesen. Stattdessen setzt man darauf, die Dokumente selbst zu publizieren. Ein guter Service für Leser und Journalisten, der auch Aufmerksamkeit generiert. "In Zeiten einer Vertrauenskrise für den Journalismus finden wir es notwendig, wenn Leserinnen und Leser sich möglichst aus Originaldokumenten informieren können, auch um die Arbeit von uns Journalisten kritisch zu hinterfragen" , sagte Beckedahl auf Anfrage von Golem.de. Früher hätten Originaldokumente vielleicht keine große Rolle gespielt, weil in einer Zeitung selbstverständlich dafür kein Platz gewesen sei. Im Netz sei das hingegen anders.
Dokumente werden im Zweifelsfall geprüft
Juristisch spielt es natürlich keine Rolle, ob ein Medium aus einem geheimen Originaldokument ausgiebig zitiert oder das Dokument gleich im Wortlaut veröffentlicht. Dementsprechend gab es auch Überlegungen innerhalb der Regierung, gegen die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zur Operation Eikonal oder gegen einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zur BND-Auslandsüberwachung per Strafanzeige vorzugehen. Allerdings dürfte es Behörden und Regierung schon mächtig wurmen, wenn ein kleines Internetportal permanent geheime Unterlagen im Original veröffentlicht, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Das bedeutet aber nicht, dass Netzpolitik.org ungeprüft alle Unterlagen ins Netz stellt. Im Zweifelsfall werde jedes Dokument von einer Anwaltskanzlei daraufhin angeschaut, ob sich das Blog damit angreifbar mache. "Mit solchen Ermittlungen haben wir aber nicht gerechnet. Landesverrat kannten wir nur aus Geschichtsbüchern(öffnet im neuen Fenster) , wir wussten gar nicht, dass das noch angewendet werden kann" , sagte Beckedahl. Außerdem habe man sich sehr genau die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Pressefreiheit, wie das Cicero-Urteil(öffnet im neuen Fenster) , angesehen.
Dokumente nicht wie Kronjuwelen hüten
Dieses Urteil wird dieser Tage häufig herangezogen, wenn es um die Einschätzung des aktuellen Falls geht. Die Karlsruher Richter entschieden im Jahr 2007, dass die Verletzung eines Dienstgeheimnisses nicht ausreicht, um Redaktionsräume einer Zeitschrift zu durchsuchen. Nun könnte es sich aber um die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen handeln, was das Verfahren auf eine andere Ebene hebt.
Ohnehin würde Beckedahl nicht jedes geheime Dokument veröffentlichen, das ihm vorliegt. "Wenn sie uns keinen Mehrwert bringen oder wir der Meinung sind, dass zum Beispiel die äußere Sicherheit gefährdet sein könnte" , sagte er und fügte hinzu: "Einfach nur Leaken zum Spaß am Leaken machen wir nicht." Für viele Beobachter ist es daher absurd(öffnet im neuen Fenster) , dass ausgerechnet ein nur als vertraulich eingestuftes Dokument zur geplanten Internetüberwachung durch den Verfassungsschutz "die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführen" soll und Beckedahl sowie seinen Kollegen André Meister hinter Gitter bringen könnte, wie es der Paragraf 94 des Strafgesetzbuches vorsieht.
Mit Wikileaks über Bande spielen
Die Strafanzeigen gegen Netzpolitik.org sind in der Tat als Warnung an das Blog, andere Journalisten und Informanten zu verstehen. Eine mögliche Reaktion könnte sein, dass Whistleblower nun vorsichtiger werden, was die Herausgabe von Dokumenten betrifft. Aber auch Redaktionen dürften sich mehr Gedanken darüber machen, wie sie über streng geheime Tatsachen berichten, die Staatsgeheimnisse darstellen könnten. Schon der Journalist Kurt Tucholsky gab seinen Kollegen im Jahr 1914 den Tipp(öffnet im neuen Fenster) , um Beleidigungsklagen zu vermeiden: "Denn wer die deutsche Sprache beherrscht, wird einen Schimmel beschreiben und dabei doch das Wort 'weiß' vermeiden können." Anders gesagt: Wer die Möglichkeiten des Internets kennt, wird über ein geheimes Dokument berichten können, ohne es selbst veröffentlichen zu müssen.
Wenn dies beispielsweise über Wikileaks geschieht, ist es für Redaktionen natürlich umständlicher, als die Dokumente selbst zu veröffentlichen oder nur daraus zu zitieren. Zudem müssen die Unterlagen auch im Original vorliegen. Oft gestatten Informanten nur eine Einsicht, ohne Kopien herauszurücken. Für Beckedahl gibt es aber auch andere Gründe, warum Medien nicht gerne Unterlagen veröffentlichen, die sie selbst zugespielt bekommen haben. "Früher waren zugespielte Dokumente sowas wie Kronjuwelen. Wir kommen aus einer anderen Kultur, wir finden Offenheit, Nachvollziehbarkeit und eine Kultur des Teilens praktischer, als auf Dokumenten zu sitzen und diese zu monopolisieren" , sagte er.
50.000 Euro Spenden eingenommen
Diese Kultur wird nicht nur mit den aktuellen Strafanzeigen angegriffen. Das Blog erhält mittlerweile in der Regel einmal im Monat eine Abmahnung. "Obwohl wir uns immer durchsetzen können und recht behalten, bedeutet das unnötigen Aufwand" , sagte Beckedahl. Und: "Das nervt etwas." Mit den inzwischen an das Blog gespendeten 50.000 Euro dürfte genügend Geld geflossen sein, um einige Verfahren durchstehen zu können. Der grundsätzliche Konflikt über die Grenzen von Leaking-Portalen ist damit noch nicht geklärt. Nach Ansicht der Grünen-Politikerin Tabea Rößner(öffnet im neuen Fenster) müssen "Vorkehrungen getroffen werden, damit journalistische Aufklärungsarbeit auch da möglich ist, wo sie im Sinne kritischer Aufklärung auch sensibler Sachverhalte notwendig ist" .
Dass es zu einer rechtlichen Freigabe für alle Geheimdienstleaks kommt, ist aber unwahrscheinlich. Die Journalisten von Netzpolitik.org lassen sich von den rechtlichen Risiken aber ohnehin nicht beeindrucken und haben auf der Solidaritätsdemo vom vergangenen Samstag offensiv um die Zusendung neuer Unterlagen geworben. "Wir wollen mehr Dokumente, wir wollen mehr Whistleblower!" , rief Meister. Außerdem ist jetzt auch genug Geld da, den vor einem Jahr geplanten Aufkleber drucken zu lassen.



