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Netzpolitik.org: So leicht wird niemand überwacht

Die Journalisten von Netzpolitik.org fürchten, sie werden überwacht. BKA und Verfassungsschutz dürften das unter Umständen. Doch in diesem Fall spricht einiges dagegen.
/ Lisa Caspari (Zeit Online)
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Die Macher hinter Netzpolitik.org glauben, sie werden überwacht. (Bild: Friedhelm Greis/Golem.de)
Die Macher hinter Netzpolitik.org glauben, sie werden überwacht. Bild: Friedhelm Greis/Golem.de

Netzpolitik.org, das Blog, das nun ganz Deutschland kennt, hat seine Redaktion in einem Hinterhof in Berlin Prenzlauer Berg, im obersten Stockwerk. Besucher müssen sich durch ein Gewirr von Gängen und Feuerschutztüren arbeiten. Doch wer den Snowden-Aufklebern und kleinen Postern mit Slogans wie fight for your digital rights folgt, findet schließlich André Meister. Er sitzt in einem der hintersten Zimmer, vollgestellt mit Büchern und einer schwarzen Ledercouch, bei elektronischer Musik vor seinem Computer und wirkt ein wenig gestresst.

Der helle Wahnsinn seien die vergangenen Tage gewesen, sagt Meister. Gegen ihn wird wegen des Verdachts auf Landesverrat ermittelt, weil er und sein Chef Markus Beckedahl im Frühjahr Dokumente über eine neue Verfassungsschutzeinheit gegen Cyberkriminalität veröffentlicht hatten. Zum Schlafen und Recherchieren kommt er fast nicht mehr. Das hat mit den vielen Journalisten zu tun, die Fragen an die beiden Blogger haben, und auch mit den Anwaltsterminen, die er hat - um sich und seine Umgebung vor dem zu schützen, was da vielleicht noch kommen könnte. Landesverrat ist schließlich einer der gewaltigsten Vorwürfe, die das deutsche Strafrecht kennt.

"Wir müssen davon ausgehen, dass wir überwacht werden" , sagt Meister. Sein Blog arbeitet immer schon investigativ, daher schützen und verschlüsseln er und seine Kollegen ihre Kommunikation schon lange. "Aber nun könnte es sein, dass deutsche Polizisten uns ausforschen, die uns etwas anhängen wollen, und eben nicht nur NSA-Informatiker auf der anderen Seite der Welt" , sagt Meister. Könnte sein. Muss aber nicht.

Klar ist: Das Bundeskriminalamt (BKA) als zuständige Polizeibehörde war schon im Frühjahr vom Generalbundesanwalt mit Ermittlungen wegen Landesverrats beauftragt worden. Möglicherweise bestanden die aber lediglich darin, die von Netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente und frühere Medienberichte zum Thema zu analysieren, um festzustellen, was vom Vorwurf des Landesverrats noch übrig bleibt. Mit Überwachung hätte das nichts zu tun.

"Keine Maßnahmen ergriffen"

Die ist dem BKA allerdings grundsätzlich erlaubt, geregelt ist das im BKA-Gesetz (§20 l BKAG) und der Strafprozessordnung (§100a bis h STPO) - bei einem so schweren Vorwurf wie Landesverrat dürfte das BKA theoretisch observieren, Verbindungsdaten sammeln oder die Privatwohnung abhören. Doch "das BKA ist nicht Herr des Verfahrens" , sagt Nikolaos Gazeas, Strafrechtsexperte an der Universität Köln. Der Generalbundesanwalt hätte das BKA mit der Überwachung beauftragen müssen und hätte dafür einen Beschluss des zuständigen Ermittlungsrichters, in diesem Fall eines Richters am Bundesgerichtshof, gebraucht. Dass er den bekommen hätte, bezweifelt Gazeas: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei der mir bekannten Sachlage ein solcher Beschluss dort erlassen worden wäre."

Auch Generalbundesanwalt Harald Range stellte bereits am Sonntag in einer Presseerklärung klar: Wegen des "hohen Guts" der Pressefreiheit habe er als Behördenchef am 13. Mai angeordnet, dass "keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) namentlich genannten Journalisten ergriffen werden" . Konkreter will die Bundesanwaltschaft auf Nachfrage nicht werden.

Ob das tatsächlich so war, "werden wir spätestens dann aber mit Gewissheit erfahren, wenn das Verfahren eingestellt oder wenn Anklage erhoben wird" , sagt Gazeas. "Spätestens dann können die Beschuldigten Akteneinsicht verlangen. Und aus den Akten wird hervorgehen, ob der Generalbundesanwalt eine Überwachung nur erwogen oder auch beantragt hat und ob sie ein Richter gestattet hat."

Der Vollständigkeit halber sei noch eine andere Möglichkeit erwähnt, mit der die Journalisten hätten überwacht werden können: Das 2008 novellierte BKA-Gesetz erlaubt den Kriminalkommissaren auch präventive Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht und ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft sowie die heimliche Onlinedurchsuchung von Computern, die Wohnraumüberwachung und Abhörmaßnahmen auch gegen Journalisten. Da muss es aber um Terrorismusabwehr gehen. Im Fall von Netzpolitik.org hätte so ein Zusammenhang mühsam konstruiert werden müssen, etwa durch eine angebliche Gefährdung der Arbeit des BfV. Das klingt eher nach Verschwörungstheorie und ebenfalls wenig wahrscheinlich.

Und der Verfassungsschutz?

Unabhängig vom Ermittlungsverfahren, für das immer die Strafverfolgungsbehörden, also Staatsanwaltschaft und Polizei zuständig sind, hat aber auch der Verfassungsschutz bei Verdacht auf Landesverrat die Möglichkeit, zu handeln - meist bevor Strafanzeige gestellt wird. In Sachen Überwachung hat der Inlandsgeheimdienst weitgehende Befugnisse, er darf Verdächtige observieren und filmen. Wenn die Schlapphüte aber in Telekommunikationsrechte eingreifen wollen, kommt das Artikel-10-Gesetz (G-10) zur Anwendung. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hätte dann einen Antrag beim Bundesinnenministerium stellen müssen, das wiederum hätte die Zustimmung der G-10-Kommission einholen sowie das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste informieren müssen.

Da diese Gremien geheim tagen, dürfen sie offiziell keine Auskunft darüber erteilen, über welche Operationen sie informiert wurden. Auf die Frage, ob Markus Beckedahl und André Meister wegen des Landesverrat-Vorwurfs vom Verfassungsschutz überwacht werden oder wurden, könne man keine Antwort geben, heißt es auch aus dem Innenministerium: Wenn es so wäre, wäre es geheim.

Gazeas glaubt aber auch nicht, dass die G-10-Kommission diesem brisanten Vorgang zugestimmt hätte: "In diesem Fall halte ich eine Überwachung der Journalisten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für sehr, sehr unwahrscheinlich." Denkbar sei allerdings, dass Verfassungsschutzpräsident Maaßen in seiner Behörde hausinterne Untersuchungen veranlasst hat, um den Informanten zu enttarnen und undichte Stellen zu finden. Theoretisch könnten dabei Kontakte zu Journalisten aufgedeckt worden sein, wenn ein Verfassungsschützer zum Beispiel über seine Dienst-E-Mail-Adresse geheime Unterlagen verschickt haben sollte. Aber auch das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn so leichtsinnig dürfte kein Geheimdienst-Whistleblower sein.

Es bleibt also unklar, ob Netzpolitik.org im Fokus von Überwachungsmaßnahmen steht. Meister ist es jedenfalls wichtig zu betonen, dass sie auf alle Eventualitäten vorbereitet sind: "Wir verschlüsseln schon so lange, da war Snowden noch bei der CIA" , sagt er.

Vorsichtshalber wollen die Journalisten ihre Handys und Computer von Spezialisten untersuchen lassen. Sie gehen aber nicht davon aus, dass dabei Staatstrojaner gefunden werden.

Whistleblower, sagt Meister, können und sollen Netzpolitik.org weiterhin sicher kontaktieren. "Die effektivste Möglichkeit ist immer noch ein brauner Briefumschlag ohne Absender, ganz analog in unserem Briefkasten." Ihre bisherigen Informanten hat die Redaktion offensichtlich gut geschützt - wenn der Verfassungsschutz so gern wüsste, wer sie sind.


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