NBA 2K: Zum Glück hat Mama keinen Nintendo gekauft

Fast hätte sie ihm seinen Wunsch ausgeschlagen, damals, vor acht Jahren. Fast hätte Jannis Neumanns Mutter Nein gesagt, als ihr 14-jähriger Sohn sie um eine Playstation 3 anbettelte. Sie hätte ihm lieber eine Nintendo(öffnet im neuen Fenster) Wii gekauft, dieses andere Konsolendings mit den Bewegungssensoren. Da wäre er zumindest körperlich aktiv gewesen beim Zocken.
Der Junge aber blieb stur, ein Teenager eben, und schließlich gab Mama nach. "Zum Glück" , sagt er rückblickend. Denn mit einer Wii wäre aus Neumann wohl kaum "JLB" geworden: Deutschlands einziger E-Sport-Profi im virtuellen Basketball(öffnet im neuen Fenster) .
"JLB", das steht für "Jannis liebt Basketball". Es ist das Kürzel, unter dem Neumann in der E-Sport-Community bekannt ist. Genauer gesagt in dem Teil der Szene, der NBA 2K spielt. Mit mehr als 80 Millionen verkauften Einheiten weltweit gehört die Basketballsimulation des Gaming-Unternehmens 2K Sports zu den erfolgreichsten Videospielreihen überhaupt. "In den USA ist 2K so beliebt wie Fifa in Deutschland" , sagt Neumann. Er kann sich ein Urteil erlauben: Von April bis August hat er in Dallas gelebt und 32.000 Dollar verdient - als Dirk Nowitzkis(öffnet im neuen Fenster) virtueller Teamkollege. Neumann spielte für Mavs Gaming, die E-Sport-Abteilung der Dallas Mavericks.
Auf Anhieb in die Top 20
Dass JLB einmal von seinem Hobby würde leben können, war vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen. Nicht, dass er kein Talent gehabt hätte - nachdem er seine Playstation bekommen hatte, stürmte er auf Anhieb in die Top 20 der 2K-Weltrangliste. Rund sechs Stunden täglich verbrachte er vor der Konsole, um in dem komplex aufgebauten Ranking in die Spitzenregion vorzustoßen.
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Das Problem war vielmehr, dass es damals noch keine professionelle 2K-Szene gab. Keine großen Turniere, keine Sponsoren. Erst als die NBA(öffnet im neuen Fenster) selbst Interesse für den Gaming-Bereich entwickelte, entstanden die nötigen Strukturen. In Kooperation mit Take-Two Interactive, dem Mutterkonzern von 2K Sports, richtete die Liga zunächst publikumswirksame Fünf-gegen-Fünf-Turniere aus, ehe NBA-Commissioner Adam Silver im Frühjahr 2017 die Gründung der NBA 2K League verkündete: der ersten offiziellen 2K-Liga, betrieben von ihrem realen Vorbild.
Unter den größten Sportligen der Welt ist die NBA damit Pionier. Es gibt keine Madden NFL League, keine E-Premier-League, auch keine in sich geschlossene virtuelle Bundesliga. Noch nicht jedenfalls. Einzig die NBA versuchte sich bislang daran, den Gaming-Boom(öffnet im neuen Fenster) mit einer eigenen Liga zu monetarisieren - wobei sie sich Mühe gibt, möglichst nah am Original zu bleiben.
Die Teams werden, wie in echt, von den 30 NBA-Franchises gestellt, von denen sich aktuell 21 an der 2K League beteiligen. Ausgetragen wird die Meisterschaft - ebenfalls wirklichkeitsgetreu - in einer regulären Saison mit anschließenden Play-offs. Und gespielt wird natürlich Fünf-gegen-Fünf, wobei jeder E-Sportler seinen eigenen 2K-Charakter steuert.
Mentaltrainer für E-Sportler
Nicht zuletzt kommen die Profis der sechsköpfigen Kader, wie in echt, per Draft in die Liga; also durch das im US-Sportwesen typische Auswahlverfahren, bei dem sich die Franchises in einer vorab festgelegten Reihenfolge die Rechte an verfügbaren Spielern sichern können.
Als Neumann Anfang 2017 - damals noch Azubi in einem Kölner Hotelbetrieb - von der Gründung der Liga erfuhr, hatte er gerade das größte 2K-Turnier für Europäer gewonnen, an der Seite einiger Onlinebekanntschaften, dotiert mit 75.000 Dollar. Er wusste: Aus seinem Hobby könnte eine lukrative Profession werden. Zwischen dem anstrengenden Schichtdienst im Hotel und den Vorbereitungen auf die Abschlussprüfung verbrachte Neumann daher nahezu jede freie Minute vor der Konsole und trainierte.
"2K ist ein Mannschaftssport, das macht das Spiel besonders" , sagt JLB. Natürlich müsse man auch die klassischen Zockertugenden mitbringen, eine gute Feinmotorik etwa, schnelle Reflexe, einen klaren Kopf. Aber das "absolut Wichtigste" bei 2K seien zwischenmenschliche Kommunikation und Teamchemie.
"Ich bin ein Center im Körper eines Point Guards." (Jannis Neumann, E-Sport-Profi)
Das Mannschaftsprinzip kennt Neumann nicht nur von der Konsole. In der Jugend spielte er im Fußball- und Tennisverein, Basketball zockt er bis heute gern auf dem Freiplatz. Dort hadert er allerdings mit seinen körperlichen Voraussetzungen. "Ich bin ein Center im Körper eines Point Guards" , sagt Neumann scherzhaft. Mit 1,80 Meter Länge und eher schmächtigem Körperbau ist er deutlich zu klein für seine Wunschposition, für die man in der NBA die Zweimetermarke deutlich überschreiten sollte.
Mit seinem virtuellen Charakter, so scheint es, hat sich Neumann die physischen Träume erfüllt, die seine Gene nicht wahr machen konnten. In 2K ist er ein Hüne, 2,11 Meter groß, muskelbepackt, mit Ziegenbart. JLB ist wurfstark und spielintelligent, er gilt als bester Center-Spieler Europas. In mehreren Qualifikationsrunden ließ Neumann über 70.000 Konkurrenten hinter sich, ehe er im April 2018 als einer von nur zehn Nichtamerikanern gedraftet wurde. "Das war ein surrealer Moment" , sagt Neumann, der für seinen Traum von der 2K League seine Festanstellung im Hotel kündigte.
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Ab in den Flieger, hieß es dann von der Rezeption nach Dallas. Auf einmal war Neumann ein Maverick, wie Dirk(öffnet im neuen Fenster) . Fast zumindest. In der Mavs Gaming Facility, optisch eine Mischung aus Apple Store und Spielhalle, trainierte er unter ähnlich professionellen Bedingungen wie sein Basketballidol. Teammeeting um 10 Uhr, körperliche Work-outs bis 12 Uhr, dann rund sechs Stunden lang zocken. Mit einem Mentaltrainer arbeiteten die E-Sportler außerdem an den psychologischen Komponenten des Spiels: Atmung, Konzentration, emotionale Verfassung, Teamwork.
Von Montag bis Donnerstag ging das so. Dann startete der Flieger nach New York, wo die Spieltage ausgetragen wurden. Im NBA 2K League Studio, vor Livepublikum und Dutzenden Kameras duellierte sich Neumann wöchentlich mit den besten virtuellen Korbjäger des Planeten. Über den Streamingdienst Twitch, der sich in einem mehrjährigen Deal in unbekannter Höhe die Übertragungsrechte an der Liga sicherte, konnten Fans aus aller Welt zusehen, wie JLB dribbelte, blockte, warf. Und nachdem die Schlusssirene ertönte, hieß es meistens: Controller aus der Hand, Mikro vor die Nase, Post-Game-Interview. Ein Übertragungskonzept ganz im Stile des analogen Vorbilds.
Erfolgreiche Debütsaison der 2K League
Zunächst lief es gut für JLB und seine Mitstreiter. Mavs Gaming gewann vier der ersten fünf Matches, doch dann brachte der Spielehersteller ein Update raus - und Neumanns Team fremdelte mit den Änderungen. "Da haben wir irgendwie den Anschluss verloren" , sagt JLB rückblickend.
Am Ende verpasste Mavs Gaming die Play-offs. Meister wurde die E-Sport-Abteilung der New York Knicks, Titelbonus: 300.000 Dollar. Die Finals zwischen den Knicks und Heat Gaming aus Miami verfolgten mehr als 650.000 Menschen. Insgesamt generierten Videos der Liga rund 152 Millionen Views. Die Debütsaison der 2K League? Für die NBA ein voller Erfolg.
Das Potenzial eines eigenen E-Sport-Wettbewerbs haben mittlerweile auch andere große Ligaverbände erkannt - darunter die DFL: Ab Mitte Januar 2019 wird sie in Kooperation mit EA Sports einen in sich geschlossenen Wettstreit für Vereine der 1. und 2. Bundesliga ausrichten, genannt "virtuelle Bundesliga" .
Die zweite Spielzeit der NBA 2K League startet indes im April. Bis dahin will Neumann, der seit Ende September wieder in Deutschland bei seiner Mutter wohnt, von den Ersparnissen seiner Zeit in Dallas leben. Ob er künftig wieder für Mavs Gaming spielen wird, ob er überhaupt für eines der 21 Franchises spielen wird, ist ungewiss. Jedes Team durfte lediglich einen Spieler aus dem Vorjahr halten. Der Rest, darunter Neumann, muss erneut gedraftet werden. Die Konkurrenz ist heuer noch größer als im Vorjahr, doch Neumann befindet sich bereits unter den finalen 200 Kandidaten. Er ist zuversichtlich, einen der verbliebenen 73 Kaderplätze zu ergattern. "Meine Chancen stehen gut. In Europa spiele ich ganz oben mit" , sagt der 22-Jährige.
Und Neumanns Mutter? Die ist laut ihrem Sohn "fasziniert" von seinem Job. "Sie steht absolut dahinter" , sagt er. Klingt ganz, als wäre auch Neumanns Mutter mittlerweile froh, ihrem Sprössling damals keine Nintendo Wii gekauft zu haben.



