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Nahverkehr für 9 Euro: Das 2,5-Milliarden-Euro-Ticket

Für 9 Euro durch ganz Deutschland - was für die ÖPNV-Reisenden wie ein guter Deal klingt, hat für die Verkehrsunternehmen ein paar Haken.
/ Martin Wolf
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Die Weichen für das 9-Euro-Ticket sind gestellt (Symbolbild) (Bild: Pixabay / Montage: Golem.de)
Die Weichen für das 9-Euro-Ticket sind gestellt (Symbolbild) Bild: Pixabay / Montage: Golem.de

Noch sperriger hätte es kaum heißen können: das siebte Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes ist am 20. Mai durch den Bundesrat gegangen . Damit kann der von der Bundesregierung zwei Monate vorher angekündigte Plan(öffnet im neuen Fenster) umgesetzt werden, dass man in Deutschland ab 1. Juni landesweit mit einem einzigen Monatsticket für den Preis von 9 Euro den ÖPNV nutzen darf. Im Juli und August gilt das Angebot ebenfalls, die Fahrscheine für diese Monate können im Voraus gekauft werden.

Die Tickets sind bereits bei vielen Verkehrsbetrieben erhältlich , auch in der App der Deutschen Bahn sind sie auf dem Startbildschirm im unteren Bereich präsent.

Die Reaktionen reichten von Knallerangebot(öffnet im neuen Fenster) bis Schwindel(öffnet im neuen Fenster) und Strohfeuer(öffnet im neuen Fenster) .

Wir haben uns mit Jörg Mühling, dem Abteilungsleiter Marketing/Vertrieb der ViP Verkehrsbetrieb in Potsdam GmbH(öffnet im neuen Fenster) unterhalten, um herauszufinden, welche Herausforderungen bei der Umsetzung des Vorhabens auftraten - und wie die Verkehrsbetriebe sich vorbereiten.

Einer der größten Kritikpunkte ist die Kurzfristigkeit - und das gleich in mehrerlei Hinsicht. So wurden weder die ÖPNV-Aufgabenträger (das sind meist Länder und Kommunen) noch die mit der Umsetzung betrauten Expertinnen und Experten der Verkehrsverbünde vorab informiert.

Auf der anderen Seite seien drei Monate im Sommer sicherlich kein aussagekräftiger Zeitraum für ein solches Experiment, sagt Jörg Mühling. Erschwerend komme hinzu:

"Die Ferienzeiten beginnen, wir haben immer noch Corona, das vergisst man im Moment. Wir haben immer noch Krankenstände, die es uns nicht erlauben, zusätzliche Fahrten anzubieten, das gilt auch für die Verfügbarkeit zusätzlicher Fahrzeuge. Also wir stehen da vor einer großen Herausforderung und hoffen ehrlich, dass wir alle Leute ordentlich befördern können."

Bundestag beschließt 9-Euro-Ticket
Bundestag beschließt 9-Euro-Ticket (04:07)

Das ist in einer touristisch attraktiven Stadt wie Potsdam sicherlich eine größere Herausforderung als auf dem Land, aber die Kosten der Umstellung und den Aufwand für die Planung haben auch kleinere Verkehrsbetriebe. Dabei ist vollkommen offen, ob und wie diese zusätzlichen Summen innerhalb der 2,5 Milliarden Euro Bundesmittel abgerechnet werden können.

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Die technische Seite sei dabei weniger schwierig, sagt Mühling: "Das Ticket in die mobilen Automaten und in den Vorverkauf zu bringen, war nicht das große Thema - abgesehen vom nicht geplanten finanziellen Aufwand. Die größere Herausforderung war der Umgang mit der Stammkundschaft. Wir mussten überlegen, wie wir die monatliche Abbuchung realisieren und wie die Erstattung für die bereits bezahlten Abos erfolgt. Mit Blick auf die Kundeninformation war es der prozessuale Aufwand, alles innerhalb weniger Wochen mit dem Verkehrsverbund Berlin -Brandenburg und allen anderen Verkehrsunternehmen im VBB abzustimmen und die Informationen zur Verfügung zu stellen."

Er sieht jedoch auch Vorteile:

"Am Ende bleibt festzuhalten, dass die Aktion ein schöner Effekt für die Stammkundschaft ist, die jetzt spart - aber es fehlen die nachgelagerten Aktionen. In drei Monaten werden alle Tickets wieder zum normalen Preis angeboten. "

Die Situation wird durch bar bezahlte Abos zusätzlich verkompliziert.

Mehr Bürokratie, weniger Kontrollen

Wer sein Jahresticket bereits im Voraus am Schalter gekauft hat, muss nun persönlich vorstellig werden und seine Kontodaten hinterlegen. Dann wird dafür ein eigener Vorgang angelegt und das Geld überwiesen. Dass dieses - gerade ältere Menschen betreffende - Verfahren einigen Personalaufwand bedeutet, ist klar.

Aber auch all jene, die den ÖPNV bislang kaum oder gar genutzt haben, könnten nach Mühlings Einschätzung einen schlechten Eindruck bekommen: weil die Trams und Busse voll sein werden.

"Wenn wir Menschen langfristig vom Auto in den ÖPNV bewegen wollen, kriegen wir das nicht mit so einer Aktion hin - sondern müssen durch durchgängige und gut durchdachte Leistungen überzeugen" , sagt er.

Eine weitere Stolperfalle sind die Fahrscheinkontrollen. Es gibt nämlich kein bundesweit einheitliches System - ein solches wäre aber die Voraussetzung dafür, dass die Gültigkeit eines in Regensburg gekauften Fahrscheins auch in Kyritz überprüft werden kann.

Die Potsdamer Verkehrsbetriebe wollen pragmatisch an die Sache herangehen: "Wir werden Fahrausweis-Kontrollen durchführen und werden uns die Tickets zeigen lassen. Wenn aber zum Beispiel jemand aus Hamburg hierher kommt, mit seiner Chipkarte, dann können wir diese gar nicht wie gewohnt elektronisch kontrollieren, also wird es auf eine Sichtkontrolle hinauslaufen. Das wird überall so sein."

Er appelliert daher an die Ehrlichkeit aller:

"Wenn das Ticket schon nur 9 Euro kostet, sollte das auch jeder kaufen und nicht noch für ganz umsonst fahren. Unsere Kontrollen dienen eher der Prävention und wir werden da auch sehr kulant sein."

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Jörg Mühling schätzt, dass sich die Kosten für das 9-Euro-Ticket bei den Potsdamer Verkehrsbetrieben am Ende auf fünf bis sechs Millionen Euro belaufen werden - ohne den Mehraufwand, der für die Einführung der Fahrkarte in den letzten Wochen entstanden ist.

Was noch fehlt, ist das Votum der potenziellen Kundschaft - und die wird ab dem 1. Juni mit den Fahrscheinen abstimmen. Ein denkbares Szenario wäre, dass die vollen Busse und Bahnen im ersten Monat des 9-Euro-Tickets dafür sorgen, dass im Juli die Fahrgastzahlen wieder zurückgehen. Das würde natürlich den bisherigen Abonnentinnen und Abonnenten zugutekommen. Aber die müssen ja auch nicht mehr von den Vorteilen des ÖPNV überzeugt werden, sondern wären sicherlich eher dankbar für einen nachhaltigeren Einsatz der 2,5 Milliarden Euro.


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