Nachbarschaftsnetzwerke: Nebenan statt mittendrin
Nextdoor, Nebenan, Wir Nachbarn - diese sozialen Netze wollen die gute alte Nachbarschaft wiederbeleben. Im Selbstversuch erweist sich das aber als deutlich weniger herzerwärmend als gedacht.

Vor vier Monaten bin ich von einem kleinen Dorf nach Berlin gezogen. Knapp 5.000 Einwohner gegen fast dreieinhalb Millionen Bewohner der Hauptstadt. Vorher: Schwätzchen am Gartenzaun und jeder weiß praktisch immer über mein Befinden Bescheid. Jetzt: Ein rasches "Hallo" auf der Treppe, und die Frage, ob bei mir auch das warme Wasser ausgefallen sei (ist es nicht), ist schon der Gipfel an Nachbarschaftlichkeit. Manche ziehen genau dafür in die Stadt, andere fühlen sich einsam. Soziale Netzwerke wollen das beheben.
- Nachbarschaftsnetzwerke: Nebenan statt mittendrin
- Man lernt Nachbarn nicht kennen, weil sie Nachbarn sind
Früher klingelte man bei den Nachbarn und stellte sich vor, heute übernehmen das Onlineplattformen, sogenannte Nachbarschaftsnetzwerke. Sie heißen Nebenan.de, Wir Nachbarn oder Nextdoor und bedienen einen Markt, der in Deutschland immer stärker umkämpft ist, seit das aus den USA stammende Unternehmen nach dem niederländischen und dem britischen Markt nun auch den deutschen erobern will.
Aber brauchen wir solche Netzwerke überhaupt?
Der Stressforscher und Psychiater Mazda Adli von der Berliner Charité und der Fliedner Klinik Berlin meint: ja. Die sozialen Verbindungen und gegenseitigen Unterstützungsstrukturen seien auf dem Dorf oft stärker als in der Stadt, auch wenn es im Dorf erst einmal schwerer sei, ein fester Teil der Gemeinschaft zu werden. Virtuelle Nachbarschaften könnten der Großstadtanonymität entgegentreten.
Nextdoor hat in den USA bereits 140.000 Nachbarschaften mit Nutzerzahlen im zweistelligen Millionenbereich aufgebaut und erzählt herzerwärmende Erfolgsgeschichten von nachbarschaftlicher Hilfe und Zuwendung. Mazda sagt: "Es wird auf eine sehr wirksame Weise ein Stadtteil aufgebröselt, urbaner Raum wird so in kleine Nachbarschaften aufgeteilt."
Ich habe allerdings andere Erfahrungen gemacht.
Ebay Kleinanzeigen für die Nachbarschaft
Die Anmeldung bei Nebenan.de ist umständlicher als bei Facebook und Co. Ich habe mich für das Netzwerk entschieden, weil es in Deutschland am größten ist und schon eine Nachbarschaftsgruppe für meine Gegend existiert. Wir Nachbarn gibt es als eigenständiges Netzwerk nicht mehr, es wurde Mitte 2017 von Nebenan.de übernommen. Der Service wird eingestellt, die Kunden werden aufgefordert, zu Nebenan.de zu wechseln. Das 2015 gegründete Unternehmen ist mit 500.000 Nutzern Marktführer in Deutschland.
Damit sich nur echte Nachbarn anmelden, muss ich meinen richtigen Vor- und Nachnamen und meine Adresse angeben. Das Mindestalter ist 18 Jahre, das bin ich gerade. Wenige Tage später liegt ein Zettel, so groß wie eine Postkarte, im Briefkasten. Darauf steht ein Code, mit dem ich mich im Netzwerk meiner Nachbarschaft anmelden kann. Die sei sehr aktiv, so sagt mir Nebenan.de. Ich stelle mir vor: einen Austausch auf der Plattform, aus dem später Kontakte im echten Leben ergeben. Nachbarschaftstreffen, Diskussionen darüber, wie sich das Zusammenleben im Kiez verbessern ließe, Spaghettiessen in meiner WG, gemeinsame Partys und wenn die Nachbarin nicht da ist, füttere ich gern die Katze.
Das Netzwerk ist wie eine große Timeline aufgebaut, die Beiträge sind untereinander angeordnet. Man kann Kommentare schreiben oder, wenn man nicht öffentlich Personen kontaktieren will, Nachbarn privat anschreiben. Kaum bin ich der virtuellen Nachbarschaft beigetreten, lese ich vor allem Angebote, die ich sonst auf Ebay Kleinanzeigen erwarten würde. Kaufen, verkaufen, das ist viel einfacher, wenn beide Parteien nah beieinander wohnen. Herzerwärmend ist es aber nicht gerade.
Ein bisschen Nachbarschaftshilfe ist immerhin dabei. Einer möchte spontan ein Auto leihen, ein anderer fragt, ob jemand demnächst nach Bielefeld fährt und ein paar Kartons mitnehmen könne. Eine Frau sucht jemanden zum Pokerspielen, aber leider spiele ich nicht Poker. Ich schreibe also einen Beitrag und frage, ob jemand Interesse hat, mich zu treffen. So lerne ich meinen ersten Nachbarn kennen: Reiner.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
- ohne Werbung
- mit ausgeschaltetem Javascript
- mit RSS-Volltext-Feed
Man lernt Nachbarn nicht kennen, weil sie Nachbarn sind |
- 1
- 2
Ein Datum von dort ist wahrscheinlich wahrheitsgemäßer als eins von FB. Da ist man ja zum...
Nee, aber eine Unperson darf neuerdings (oder wieder einmal? oder immer noch? Hmm...
Wer hat schon was zu verbergen :-D
Schön, nur dass der EuGH hier ein allgemeines Urteil fällt, welches für europäische...