Mobile.de-CEO über die Verkehrswende: So überleben deutsche Autobauer die nächsten 100 Jahre

Man könnte meinen, dass die Verkehrswende für Deutschland eher eine Bedrohung als eine Chance ist. Während der Anteil der E-Auto-Neuanmeldungen in Norwegen bei 80 Prozent liegt, streitet die Regierungskoalition sich hierzulande noch über Ausnahmeregelungen für E-Fuels . Auch die deutschen Autofahrer sind zumindest den Zahlen nach noch nicht vollkommen überzeugt und kaufen zu wenige E-Autos .
Und doch: "Die Elektrifizierung ist ein Wandel, der bereits im vollen Gange ist" , sagt Ajay Bhatia. Seit August 2022 ist er CEO bei Mobile.de - und lernt die deutsche Autoindustrie seitdem von innen kennen. Auch davor sorgte Bhatia für den Verkauf von Autos im Internet, allerdings beim australischen Anbieter Carsales.
Deutschlands größter Online-Fahrzeugmarkt wurde 1996 gegründet, heute arbeiten rund 450 Angestellte dort. Laut eigenen Angaben besuchen monatlich rund 21 Millionen Nutzer die Angebote der 42.000 Autohändler auf der Plattform. Dass eine Verkehrswende kommt, ist keine Phrase ihres CEOs, sondern eine wirtschaftliche Realität und in der EU bereits beschlossene Sache .
Nicht nur für die Hersteller verändert die Verkehrswende alles. "Mit der Elektrifizierung der Autos kommen neue Geschäftsmodelle auf den Markt" , sagt Bhatia. Die Hersteller würden zunehmend versuchen, die Händler zu umgehen. "Sie schaffen eine eigene Online-Plattform und versuchen, das neue Auto direkt an den Kunden zu verkaufen."
Ein Drittel der europäischen Autohändler kommt aus Deutschland
"Das ist also der Wandel, der auf uns als Branche zukommt" , sagt Bathia. Mobile.de bietet seine Dienstleistungen schließlich nicht nur Endverbrauchern an, sondern auch Autohändlern. Der Markt sei fragmentierter, die Händler kleiner und setzten daher noch nicht genug Technologie ein. Trotz oder wegen der Menge an einzelnen Händlern dauere es in Deutschland länger, bis ein Fahrzeug den Eigentümer wechselt.
Im weltweiten Vergleich brauche es in Deutschland mit am meisten Zeit, ein Auto zu verkaufen. "Und wissen Sie, warum das so ist? Die Händler setzen nicht genug Technologie ein." Die Zahl der Kfz-Betriebe ist in Deutschland seit Mitte der 90er rückläufig(öffnet im neuen Fenster) . Mit fast 18.000 Händlern macht Deutschland trotzdem noch immer allein ein Drittel(öffnet im neuen Fenster) des gesamten europäischen Marktes aus.
"Kleinere Autohändler sind teils nicht in der Lage, diesen Wandel ohne Unterstützung zu bewältigen" , glaubt Bhatia. Sie seien darauf angewiesen, dass ein Unternehmen wie Mobile.de ihnen als Marketing- und Technologiepartner die notwendigen Werkzeuge zur Verfügung stellt, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.
Für seinen CEO ist Mobile.de deshalb nicht in erster Linie Autohändler, sondern ein Tech-Unternehmen. "50 Prozent unserer Mitarbeiter arbeiten im Tech- und Softwarebereich" , sagt Bhatia. "Es ist der größte Bereich in unserem Unternehmen." In den Autohändlern sieht Mobile.de eine wichtige Zielgruppe für die Zukunft. Deutschland baue zwar die besten Autos der Welt. "Aber unsere Händler nutzen noch nicht die beste Technologie der Welt."
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Elektromobilitätswende schafft auch neue Geschäftsmodelle
Warum die Verkehrswende bei den deutschen Autofahrern noch nicht angekommen ist? Auch der Preis spiele dabei eine entscheidende Rolle, sagt Bhatia. Elektroautos seien momenten einfach zu teuer . Das wiederum führe zu neuen Geschäftsmodellen.
"Ein 70.000-Euro-Auto mag für viele sehr teuer sein, da ist es einfacher ein Auto für monatliche Tausend oder 800 Euro zu leasen" , sagt Bhatia. "Das fühlt sich zumindest erschwinglicher an als 70.000 Euro." Schon jetzt seien 75 Prozent der über Mobile.de geleasten Autos Hybrid oder elektrisch. "Elektrofahrzeuge haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Veränderung unserer Branche" , sagt Bhatia.
Die zunehmende Beliebtheit der Elektromobilität wird künftig auch zu einem Wachstum in den Bereichen Leasing und Online-Kauf führen, glaubt Bhatia, der selbst im Moment kein Auto besitzt. "Ich bin seit sechs Monaten in Deutschland und habe mein viertes Abonnement" , sagt Bhatia. "Und es ist ein elektrisches Auto."
Deutschen Autoherstellern scheint diese Umstellung noch schwer zu fallen. BMW und Mercedes haben erst letztes Jahr beschlossen, sich von ihrem Carsharing-Joint-Venture Sharenow zu trennen . Stattdessen setzen sie auf das momentan noch profitable Luxussegment(öffnet im neuen Fenster) .
Deutschland bekommt Konkurrenz aus China und den USA
Auch wenn Bhatia kaum genug lobende Worte für die Qualität deutscher Autos finden kann, sieht er die Branche doch an einem Scheideweg. Die Ausnahmeposition der deutschen Industrie ist von mehreren Seiten in Gefahr. Auch "chinesische Unternehmen bauen einige der besten Autos der Welt" , sagt er und haben dabei einen Vorteil: "Da sie in der Regel günstiger sind, punkten sie mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis."
Die günstige Konkurrenz aus China sind ein Problem für deutsche Autobauer, aber auch Tesla bleibt einer der wichtigsten Konkurrenten. Der Model Y war im vergangenen Jahr mehrfach der Wagen mit den meisten Neuanmeldungen . Für Autoliebhaber möge der oft wegen Qualitätsproblemen verlachte Wagen aus den USA zu wenig bieten haben. In einem minimalistischen Tesla zu sitzen sei ein weniger schönes Gefühl, als in einem Audi, BMW oder Mercedes, sagt Bhatia.
Lege man hingegen Wert auf einen großen Funktionsumfang, "dann bietet Tesla viel, weil sie auf intelligente Softwarelösungen setzen." Damit könnten die Hersteller, die eher auf Ästhetik setzen, jüngere Zielgruppen verlieren, die "sich mehr für die Funktionalität und weniger für die Marke interessieren." Deutsche Hersteller hätten in der Vergangenheit ein Gefühl der Exklusivität erschaffen - Werte, die für ein jüngeres Publikum immer weniger wichtig werden.
"Auch das ist eine große Herausforderung" , glaubt Bhatia. "Hier sollten die deutschen Autobauer nicht nur auf ihre traditionellen Stärken schauen." Ein Elektroauto von einem anderen zu unterscheiden sei schwieriger als bei Benzinern. Der Wert von Marken werde dadurch mit der Zeit verblassen.
Bhatias Rat an deutsche Autohersteller: Nur wenn sie es schaffen, sich an die verändernden Anforderungen einer jüngeren Kundschaft anzupassen, kann die Automobilindustrie die Verkehrswende schaffen, auch für die nächsten 100 Jahre zukunftsfähig zu bleiben.
"Das ist ein entscheidender, sehr wichtiger Punkt für Deutschland" , sagt der CEO. Nicht nur für die Hersteller, sondern für das ganze Land: "Die Marke Deutschland könnte in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn wir das nicht hinbekommen."
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