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Missbrauchsvorwürfe: Appelbaum wurde bereits 2015 von Tor suspendiert

Der Hacker Jacob Appelbaum wurde nach Informationen von Golem.de bereits im vergangenen Jahr für zehn Tage vom Dienst freigestellt - weil er wegen sexuellen Übergriffs beschuldigt wurde. Mittlerweile gibt es neue Vorwürfe, die nicht mehr anonym vorgetragen werden.
/ Hauke Gierow
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Appelbaum bei der Republica 2014 (Bild: Sean Gallup/Getty Images)
Appelbaum bei der Republica 2014 Bild: Sean Gallup/Getty Images

Nach den ersten, größtenteils anonymen Anschuldigungen gegen den Hacker Jacob Appelbaum haben mehrere Personen öffentlich und unter ihrem vollen Namen die Vorwürfe bestätigt und zum Teil neue erhoben. Eine der vermeintlichen Belästigungen wird mittlerweile von einer Person bestritten. Vergangene Woche wurde bekannt, dass Appelbaum nicht mehr für Tor arbeitet.

Appelbaum soll während des Chaos Communication Congress eine Frau sexuell bedrängt haben, eine weitere Frau spricht von gezielten Grenzverletzungen in einer sexuellen Beziehung. Auch der Hacker Nick Farr schreibt, er habe sich von ihm bedrängt gefühlt, Appelbaum habe den CCC für ihn zerstört. Außerdem wurde bekannt, dass Appelbaum bereits im vergangenen Jahr wegen Fehlverhaltens für zehn Tage ohne Lohn von seiner Arbeit beim Anonymisierungsdienst Tor entbunden wurde.

Appelbaum soll seine Machtposition bei Tor missbraucht haben, um sexuelle Kontakte zu finden. In einer anonym veröffentlichten E-Mail(öffnet im neuen Fenster) von dem Tor-Personalverantwortlichen Tom Leckrone an Appelbaum heißt es: "In einem Fall hast du Äußerungen getätigt, die implizieren, dass neue Community-Mitglieder in einer sexuell aufgeladenen Art und Weise angeworben wurden" . Die betreffenden Äußerungen habe Appelbaum während eines Tor-Entwickler-Treffens in Valencia(öffnet im neuen Fenster) gemacht.

Diese Aussage allein könnte zu disziplinarischen Maßnahmen führen, heißt es in der Mail. Im Nachgang habe Appelbaum sich dann aber auch noch damit gerechtfertigt, dass diese "Strategie" im vorliegenden Fall der Beschwerdeführerin "funktioniert" habe.

Appelbaum habe bei dem Treffen Tor in einer verantwortlichen Position repräsentiert und daher eine besondere Verantwortung gehabt. "Allein das Statement, dass die Aufnahme einer Arbeitsbeziehung in irgendeiner Weise von sexuellen Handlungen oder Anspielungen beeinflusst ist, ist abstoßend" , schreibt Leckrone.

Aufgrund dieser Äußerungen wurde Appelbaum der Mail zufolge für zehn Tage unbezahlt vom Dienst freigestellt. Eine Quelle, die aus persönlichen Gründen anonym bleiben möchte, hat Golem.de die Echtheit der Mail bestätigt.

Die Anschuldigungen waren nicht komplett neu

In ihrer Stellungnahme(öffnet im neuen Fenster) zum Abschied von Appelbaum hatte Tor-Geschäftsführerin Shari Steele geschrieben, dass "diese Arten von Anschuldigungen nicht komplett neu sind für alle Leute bei Tor" , was ebenfalls auf die Echtheit der in der Mail geäußerten Vorwürfe hinweist.

Die Mail bestätigt die Ergebnisse eines persönlichen Gesprächs zwischen Appelbaum und Leckrone. Teil der Abmachung war demnach, dass Appelbaum nach seiner Freistellung einen "Performance Improvement Plan" einhalten solle. Dieser beinhalte sowohl "affirmative Verantwortlichkeiten im Job" als auch "die Verpflichtung, in Zukunft auf die Art von schädlichen Handlungen und Statements zu verzichten, die oben besprochen wurden" .

Appelbaum wurde der Ausstieg angeboten

Appelbaum wurde bereits im März 2015 angeboten, seinen Posten niederzulegen: "Wenn du unter den genannten Bedingungen der Freistellung und des "Performance Improvement Plans" nicht weiter mit Tor zusammenarbeiten möchtest, kannst du zurücktreten und ein Entschädigungspaket wählen, dass drei Monate Gehalt und Zusatzleistungen auf dem derzeitigen Stand umfasst." Wenn er die Bedingungen annehme, aber im weiteren Verlauf dagegen verstoße, könne Tor die Zusammenarbeit ohne jede Entschädigung beenden.

Anschuldigungen werden konkreter

Auch in der aktuellen Debatte gibt es neue Vorwürfe. So bestätigten drei Augenzeugen dem Magazin Gizmodo(öffnet im neuen Fenster) , dass Appelbaum eine junge Frau am Rande der 30. Ausgabe des Chaos Communication Congress (30C3) sexuell belästigt habe. Appelbaum sei mit mehreren Männern und einer Frau in die Lobby des Radisson Blu Hotels gegangen. Das Hotel liegt unmittelbar neben dem Congress-Zentrum, in dem die Veranstaltung in den vergangenen Jahren abgehalten wurde. Die Anschuldigungen stammen von der Tor-Entwicklerin Andrea Shepard und den Sicherheitsexperten Emerson Tan und Meredith Patterson.

Appelbaum habe seine Hände "überall an der Frau gehabt" , diese habe sich sichtlich unwohl gefühlt, heißt es in den übereinstimmenden Statements. "Sie suchte nach ihrer Tasche. Sie haben eine Unterhaltung geführt, und sie sucht nach ihrer Tasche und kann sie nicht finden, sie wirkt sehr gestresst und Appelbaum versucht gewaltsam, sie zu küssen, greift ihren Arm und ihren Hintern, versucht, ihre Brüste zu erreichen" , sagte Tan Gizmodo.

Die Frau hätte sich nicht selbst befreien können, daher sei er nach einigen Minuten an die beiden herangetreten und habe Appelbaum die Hand geschüttelt und ihn für seine großartige Arbeit bei Tor gelobt. Das habe der Frau 30 Sekunden bis eineinhalb Minuten gegeben, um aus der Situation zu entkommen und ihre Tasche zu finden. Später habe er die Frau in einer Ecke der Hotellobby gefunden. Sie habe "beherrscht" gewirkt, aber auch "aufgebracht" , habe aber keine Polizei einschalten wollen.

Die geschilderte Darstellung wird von Jill Bähring, die sich als "die Frau in der Story" beschreibt, bestritten(öffnet im neuen Fenster) . Sie habe den Abend mit Appelbaum und anderen verbracht. Es sei ihr nicht besonders gut gegangen an dem Abend, Appelbaum habe sie aber nicht belästigt, sie hätten geflirtet. Appelbaum habe sie nicht gegen ihren Willen berührt. Ob es sich tatsächlich um die in den Statements geschilderte Frau handelt, lässt sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Der CCC hat den Bericht auf Anfrage von Golem.de bislang nicht kommentiert. Auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, das in Deutschland mit Appelbaum zusammengearbeitet hat, will derzeit keine Stellung nehmen. Auf Anfrage von Golem.de schrieb ein Sprecher: "Angesichts der unübersichtlichen Faktenlage können wir keine Bewertung vornehmen. Mit Jacob Appelbaum gibt es derzeit keine gemeinsamen Projekte."

Sicherheitsexpertin erhebt öffentlich Anschuldigungen

Auch die Sicherheitsexpertin Leigh Honeywell hat in ihrem Blog Anschuldigungen gegen Appelbaum erhoben(öffnet im neuen Fenster) . Honeywell arbeitet für den Dienst Slack in San Francisco. Sie berichtet, dass Appelbaum in den Jahren 2006 und 2007 wiederholt Grenzen überschritten habe. Sie sei zu dieser Zeit mit Appelbaum und anderen Männern in mehreren sexuellen Beziehungen gewesen, schreibt Honeywell, alle Beteiligten hätten voneinander gewusst.

Appelbaum habe in mehreren, auch professionellen Situationen unbeteiligten Menschen erzählt, "dass ich gut in einem bestimmten Sexakt war" , schreibt Honeywell. In einer anderen Situation, als auch ihr damaliger primärer Partner Paul Wouters zugegen gewesen sei, habe Appelbaum während sexueller Handlungen mehrfach Sicherheitswörter ignoriert, als sein Verhalten gewaltsam geworden sei. Sie hätten Appelbaum gemeinsam mehrfach auffordern müssen, aufzuhören, schreibt sie.

Ein kennzeichnendes Merkmal von Appelbaum sei es, Menschen in der Gegenwart anderer zu demütigen. Honeywell beschreibt die anonym vorgetragenen Vorwürfe gegen Appelbaum als "komplett übereinstimmend" mit ihren eigenen Erfahrungen in den geschilderten Jahren.

Auch Nick Farr fühlte sich von Appelbaum bedrängt und genötigt

Auch der Hacker Nick Farr hat Anschuldigungen erhoben. Farr ist vielen in der Szene unter anderem bekannt, weil er die Lightning Talks beim CCC zu einem regulären, etablierten Format entwickelte. Er war Mitorganisator von Hackers on a Plane und hat in der Vergangenheit viel getan, um die Hackerszenen in den USA und in Europa zu vernetzen.

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Kurator der Lightning Talks beim Kongress 30C3 erreichte Farr nach eigener Darstellung eine Einreichung, die Vorwürfe gegen Appelbaum beinhaltete. Er habe, schreibt Farr, das Thema wie üblich auf die Agenda gesetzt, um es dann abzumoderieren, sobald der Vortragende sich nicht an die Regeln halte. Das habe er in vielen Fällen so gehandhabt und es sei nie zu Problemen gekommen.

Appelbaum aber habe die Einreichung im Programmwiki des CCC entdeckt und sofort bei ihm und dem CCC interveniert, um diese von der Agenda zu streichen. Außerdem habe er alle Kommunikationsinhalte von Farr verlangt, also Kopien der ausgetauschten E-Mails. Er habe dann sofort alle Mails gelöscht, weil er die Informationen nicht habe weitergeben wollen.

Sobald er auf dem CCC eingetroffen sei, sei er von Appelbaum aufgesucht und energisch aufgefordert worden, der Forderung zu entsprechen. Im Laufe der kommenden Tage seien Jacob und Vertraute von Jacob immer wieder auf ihn zugekommen und hätten ihn unter Druck gesetzt. Auch seien auf dem Kissen in seinem Hotelzimmer geschriebene Drohungen platziert worden.

'Appelbaum hat diese Events für mich zerstört'

In der Folge sei es ihm sehr schlecht gegangen. "Appelbaum hat diese Events für mich zerstört, und ich habe es nicht komplett begriffen, bis ich diese Geschichte aufgeschrieben habe" , schreibt Farr. Er wolle nicht Teil einer Community sein, die solches Verhalten zulasse. "Ich will Teil einer Community sein, die solche Vorgänge sofort und fair adressiert und nicht als 'Drama' zurückweist."

Die Berichte der vergangenen Tage haben auch das Hackerkollektiv Cult of the Dead Cow, dem Appelbaum bis vor kurzem angehörte, zu einer Stellungnahme veranlasst. Das Kollektiv schreibt auf seiner Facebook-Seite(öffnet im neuen Fenster) , dass es die anonymen Anschuldigungen sehr ernst nehme.

"Cult of the Dead Cow ist für vieles bekannt, aber nicht dafür, Menschen grauenvoll zu behandeln. Wenn Communities lebendig sein und relevant bleiben sollen, dann müssen wir von Zeit zu Zeit ein wenig Hausputz betreiben. Nachdem wir auf die anonymen Anschuldigungen der sexuellen Übergriffe aufmerksam geworden sind und mit Menschen gesprochen haben, die wir kennen und denen wir vertrauen, haben wir entschieden, Jake mit sofortiger Wirkung von der Herde zu trennen" , heißt es am Ende der kurzen Erklärung.

Vergewaltigung ist nicht belegt

Die verschiedenen Äußerungen, die jetzt auch mit vollem Namen erhoben wurden, zeichnen das Bild einer Person, die Grenzen missachtet und andere Menschen gegen ihren Willen in extrem unangenehme Situationen bringt. Auch direkte Schilderungen sexueller Übergriffe sind darunter. Der unter anderem von Andrea Shepherd und Meridith Patterson vorgebrachte Vorwurf der Vergewaltigung ( "rape" ) lässt sich bislang nicht erhärten. Doch die Anschuldigungen haben innerhalb der Community eine Diskussion ausgelöst, wie mit Vorwürfen der sexuellen und psychischen Gewalt umzugehen sei. Mehrere Personen innerhalb der Community äußerten sich daher erleichtert, dass die Vorwürfe jetzt öffentlich sind. "Meine Welt fühlt sich heute ein bisschen sicherer an. Ich verbringe den Tag in der Sonne" , schreibt die Netzaktivistin Jillian Yorck auf Twitter(öffnet im neuen Fenster) .

Appelbaum hatte am Montag mit einem Statement auf die Anschuldigungen reagiert. Er schrieb: "Die Beschuldigungen krimineller sexueller Übergriffe" seien "komplett falsch" Der Anwalt Franklin Bynum schreibt in einem Beitrag bei Medium(öffnet im neuen Fenster) , Appelbaum habe in seinem Statement überspezifisch dementiert und nur kriminelle Übergriffe ausgeschlossen. Auf die Vorwürfe von Nick Farr gehe er gar nicht ein.

Appelbaum schreibt, dass die öffentlichen Vorwürfe zu seinem Rückzug aus dem Projekt geführt hätten. Tatsächlich hatte er seinen Posten aber der Mitteilung von Tor zufolge(öffnet im neuen Fenster) bereits am 25 Mai 2016 aufgegeben, also mehrere Tage, bevor die Anschuldigungen einer breiten Öffentlichkeit bekanntwurden. Zu diesem Zeitpunkt mag es Drohungen gegeben haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. Erfolgt war das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nachtrag vom 10. Juni 2016, 9:39 Uhr

Eine der Darstellungen wird von der mutmaßlich involvierten Person bestritten. Auch diese Darstellung lässt sich derzeit nicht unabhängig prüfen, wir haben Sie dem Artikel aber hinzugefügt. Das Statement findet sich auch hier(öffnet im neuen Fenster) .


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