Minority Report wird 20 Jahre alt: Die Zukunft wird immer gegenwärtiger

Ursprünglich sollte Philip K. Dicks Kurzgeschichte Minority Report den Stoff für Total Recall 2 liefern. Daraus wurde aber nichts und so kam Minority Report als eigener Film ins Kino, in Deutschland am 3. Oktober 2002. Die Vorgeschichte reicht viel weiter zurück, bis in die frühen 80er, als sich Tom Cruise und Steven Spielberg zum ersten Mal trafen.
Seit sie sich kannten, achteten sie bei ihren Projekten darauf, ob es eines sein könnte, das mit dem jeweils anderen umsetzbar war. So auch bei Minority Report, bei dem ursprünglich Jan de Bont Regie führen sollte. Aber als Cruise an Bord kam und das Skript las, rief er Spielberg an - und beide fanden, dass dies nun endlich der erste Film sein sollte, den sie gemeinsam machen.
Jon Cohen schrieb am Drehbuch, 1998 wurde das Projekt angekündigt und sollte direkt nach Mission: Impossible 2 in Produktion gehen, aber es gab Verzögerungen. Die nutzte Spielberg, um mit Scott Frank einen neuen Autor an Bord zu holen, der die letzte Fassung des Skripts schrieb, dabei aber stark auf die dritte Skriptversion von Jon Cohen setzte.
Spielberg war besonders die Struktur des Films wichtig. Produzentin Bonnie Curtis erklärte das so(öffnet im neuen Fenster) : "Diese komplexe Geschichte zu strukturieren, war immens herausfordernd. Steven wollte einen psychologischen Thriller, weswegen er beim Entwicklungsprozess sehr darauf bedacht war, all die feinen Schichten dieser Geschichte genau zu erfassen. In gewisser Weise ist das der komplizierteste Film, den Steven je gemacht hat."
Für Spielberg war dieser Film die Gelegenheit, sich in zwei Genres auszutoben. Einerseits ist Minority Report ein Krimi, andererseits ein futuristischer Science-Fiction-Film.

Der Zukunft des Filmes, das Jahr 2054, sind wir mittlerweile 20 Jahre nähergekommen. Im Film ist die von Tom Cruise gespielte Hauptfigur John Anderton Chef der Pre-Crime-Einheit. Sie verhindert mit Hilfe der Visionen sogenannter Pre-Cogs, Wesen mit hellseherischen Kräften, Verbrechen, indem die Täter festgenommen werden, bevor sie ihre Tat umsetzen können. Oftmals wissen die Täter dabei selbst noch nicht, dass sie irgendwann ein Verbrechen begehen werden.
Schwieriger Unschuldsbeweis
Für John Anderton ist das System perfekt - bis er selbst in einer Vision als Mörder zu sehen ist. Ihm bleiben 36 Stunden, um zu beweisen, dass er unschuldig ist - oder: unschuldig sein wird. Dafür muss er erstmal fliehen.
Spielberg wollte einen Film, dessen Wissenschaft in der Realität verankert ist und der die Zukunft so plausibel wie möglich darstellt.
Diskussionsrunde mit 16 Futuristen
So lud Spielberg(öffnet im neuen Fenster) 16 der bekanntesten Futuristen zu einer Diskussionsrunde in einem Hotel in Santa Monica ein, um den Denkern ein möglichst glaubhaftes Bild einer Zivilisation in fünfzig Jahren zu entlocken: "Ich dachte, es wäre eine gute Idee, die klügsten Köpfe aus den Gebieten Technologie, Verbrechensbekämpfung, Medizin, Gesundheitswesens, Computertechnologie, Sozialdienste und Umwelt zusammenzubringen."
Darunter befanden sich M.I.T.-Wissenschaftler wie John Underkoffer, Stadtplaner, Architekten, Erfinder, aber auch Autoren wie Douglas Coupland. Zunächst sprachen sie darüber, wie sich die Gesellschaft wohl in den nächsten fünf Jahren entwickeln würde. Dann spannen sie das weiter, bis man sich mehr als ein halbes Jahrhundert in der Zukunft befand.
Steven Spielberg wollte die Zukunft nicht nur erfinden, sondern voraussehen - und man kann sagen: Es ist durchaus geglückt. Man denke nur an das User-Interface, das John Anderton benutzt. Auch die personalisierte Werbung im Film ist heute normal, nur dass sie einem nicht auf Schritt und Tritt folgt.
Bei aller technischen Raffinesse ist es aber vor allem der philosophische Hintergrund, der Minority Report von anderen, ebenfalls gut-getricksten Filmen unterscheidet. "Was mich an Dicks Erzählung begeistert hat, ist das Konzept zweier philosophischer Richtungen. Haben wir wirklich die Kontrolle über unser Leben, oder folgen wir nur einem vorgegebenen Schicksal, einer höheren Macht, ohne dass wir daran etwas ändern können?" , erzählte Spielberg.
Ist ein in einer möglichen Zukunft begangenes Verbrechen, das von den Pre-Crime-Cops verhindert wird und damit ja definitiv nie stattgefunden hat, überhaupt ein Verbrechen? Oder gibt es alternative Szenarien, die auf dem freien Willen des Menschen und einer auch im letzten Moment noch möglichen Wahlmöglichkeit beruhen? Aus vielen Filmen und Büchern wissen wir: Zeitreisen, ob per Maschine oder in Visionen, werfen oft mehr Probleme auf, als sie lösen können.
Der Star des Films ist natürlich Tom Cruise, interessant ist aber, dass man mit Colin Farrell an einem frühen Zeitpunkt seiner Karriere einen guten Gegenspieler für John Anderton gefunden hatte. Auch Max von Sydow war dabei.
Starke Besetzung
Spielberg besetzte zudem seine Stieftochter Jessica Capshaw in einer Rolle. Weiterhin sind Peter Stormare und Neal McDonough dabei. In einer winzigen Rolle als Pre-Crime-Cop ist zudem Frank Grillo zu sehen, der später eine formidable Karriere als B-Actionstar hinlegte.
Spielberg wollte bei diesem Film einen ganz speziellen Look, der die Mechanismen des Film Noir mit dem futuristischen Ambiente in Einklang bringt. "Ich wollte den Fotorealismus eines Films mit einer Art abstraktem Expressionismus konterkarieren. Wir entschieden uns für einen Prozess, der Bleach Bypass genannt wird" , erzählte Spielberg(öffnet im neuen Fenster) . Im Grunde wird dabei den Gesichtern Farbe entzogen, was sie sehr viel bleicher aussehen lässt. "Und wir haben einige Szenen mit 800-ASA-Film gedreht, der weit mehr Filmkorn produziert, womit das Gefühl eines alten Film Noir ein wenig beschworen wird."
Science-Fiction für den Kopf
Für die Kamera zeichnete Janusz Kaminski verantwortlich. Er drehte auf High-Speed-Film und setzte auf Überbelichtung in einigen Szenen, die dem Film zusammen mit dem Bleach Bypass und der konsequenten Entsättigung der Farben einen ausgewaschenen Look verleihen. Die Farben wurden dabei um bis zu 40 Prozent reduziert.
Die Dreharbeiten fanden von März bis Juli 2001 statt. Mehrheitlich drehte man in den Warner Bros. Studios in Burbank, aber auch in den Universal Studios. Außenaufnahmen entstanden in Maine und Washington, aber auch direkt in Los Angeles.
Ein ethisch-moralisches Problem ist die Existenz der Pre-Cogs. Sie vegetieren wie Pflanzen vor sich hin, immer wieder geschüttelt von grausamen Bildern brutaler Morde. Während die zwei Männer und die Frau von der unwissenden Bevölkerung wie heilbringende Götter verehrt werden, sind sie doch in Wahrheit nur genetisch manipulierte Sklaven des Pre-Crime-Systems.
Darf eine zivilisierte Gesellschaft die Leiden anderer Kreaturen zum eigenen Wohl ausnutzen? Darf man ein paar Leben opfern, um dadurch Tausende zu retten?
Ein weiterer nachdenkenswerter Aspekt der Spielberg'schen Zukunftswelt ist der völlige Verlust der Intimsphäre, der mit allgegenwärtiger Polizeiüberwachung einhergeht. Zum Wohle der Allgemeinheit werden persönliche Grundrechte massiv eingeschränkt - so haben alle Diktaturen ihren Anfang genommen - und die Welt von Minority Report ist nur einen Schritt davon entfernt, zu einer solchen zu werden.
Der Film hat einen aktuellen Anspruch, den man auch heute noch spürt, und das umso mehr, je mehr die Technik in das normale Leben eindringt und damit auch die Möglichkeiten der Überwachung. Wer weiß schließlich schon, wann Alexa nicht nur Befehle wahrnimmt, sondern generell mithört?
Minority Report macht heute noch Umsatz
Das Projekt wurde mit einem Budget von 102 Millionen Dollar umgesetzt. Eigentlich wäre der Film noch teurer gewesen, aber sowohl Spielberg als auch Cruise verzichteten auf ihre Gage - für eine 15-prozentige Umsatzbeteiligung. Da Spielberg damals gerade mit A.I. einen Flop gehabt hatte - einen der wenigen seiner Karriere - setzte man beim Marketing vor allem auf Cruise. Und darauf, dass er erneut in einem rasanten Action-Thriller zu sehen war.
Die Rechnung ging auf - zum Teil zumindest. In den USA war das Einspielergebnis mit 132 Millionen US-Dollar eher enttäuschend, der Rest der Welt brachte aber noch mal 226 Millionen US-Dollar. Ein riesiger Gewinn ist das nicht, wenn man die Beteiligung der Kinos abzieht und die Marketingkosten addiert, aber der Film hat sich längst einen Status als moderner Klassiker erarbeitet und macht auch heute noch Umsatz(öffnet im neuen Fenster) .
Wie guter Wein ist auch Minority Report im Lauf der Jahre nur besser geworden. Es ist ein moderner Science-Fiction-Klassiker, dem man Jahre später eine kurzlebige Serie folgen ließ. Sie ist nicht der Rede wert, der Film ist jedoch erstklassig.



