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Militärischer Weitblick in Toys (1992): Ein vergessener, wenngleich prophetischer Film

Der Kinofilm Toys von 1992 ist heute weitgehend vergessen. Zu Unrecht, gab er doch eine erstaunlich gute Prognose darüber ab, wie heutzutage Krieg geführt wird.
/ Mathias Küfner
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Robin Williams in Toys (1992) (Bild: Yotube (Screenshot: Golem.de))
Robin Williams in Toys (1992) Bild: Yotube (Screenshot: Golem.de)

Die Verwechslung liegt nahe, aber Toys von Barry Levinson ist nicht (!) Disneys Toy Story. Toys ist kein Mainstream und hatte es vermutlich schon wegen seiner ungewöhnlichen Inszenierung bei einem breiten Publikum schwer.

In einer oft surreal wirkenden, fantasievollen Szenerie spielt Robin Williams als Leslie Zevo eine seiner Glanzrollen. Er erbt zusammen mit seinem Bruder, einem General, eine Fabrik, in der nicht nur Spielzeuge entwickelt und produziert werden, sondern die selbst wirkt, als sei sie ein riesiges Spielzeug.

Während Williams in dem ein Jahr davor erschienenen Film Hook eine Version von Peter Pan spielt, in der er entgegen seinem Grundsatz schließlich doch erwachsen wurde, bleibt er in Toys über weite Strecken ein Kind, das nichts ernst nehmen will. Erst spät beginnt seine Figur zu realisieren, dass sein Bruder in den Spielzeugen eine militärische Option sieht.

Dessen Vision sind kleine, günstige Spielzeugwaffen, die dennoch tödlich sind und die Art der Kriegsführung revolutionieren sollen. Gleichzeitig erkennt er das Potenzial von Kindern bei der Bedienung von Waffen - denn letztlich ist es in der rationalen militärischen Denkweise egal, ob man in einem Videospiel Panzer vernichtet oder echte Menschen mit einem ferngesteuerten Spielzeug tötet.

Das Ziel: Krieg zu führen ohne eigene Verluste, ohne dass die eigenen Soldaten realisieren, dass sie überhaupt Menschen töten - und das zu einem Bruchteil der Kosten von konventionellem Militär.

Toys (1992) - Trailer
Toys (1992) - Trailer (01:59)

Der Weitblick des Films macht ihn auch nach 30 Jahren noch besonders sehenswert und wertvoll. Denn eine wichtige wörtliche Kernaussage im Film ist: "Man braucht ein Militär, das man sich auch leisten kann."

In Friedenszeiten soll Militär möglichst wenig kosten, dann aber im Kriegsfall dennoch effektiv sein bei der Abwehr von Angriffen. Diesen Zwiespalt zeigt Toys - man sieht ihn aktuell aber auch im Ukrainekrieg, bei dem kleine, günstige Drohnen genutzt werden und tödliche Wirkung entfalten können.

Entscheidend ist, dem Gegner mit weniger kostenintensiven Mitteln so verheerende Verluste beizubringen, dass er seine Ziele kaum noch erreichen kann. Gegen die russischen Angreifer gelang es beispielsweise den ukrainischen Verteidigern immer wieder, wichtige Aufklärungsarbeit für einen gezielten Artilleriebeschuss mittels einfacher Spielzeugdrohnen für unter 300 Euro zu realisieren.

Früher noch utopisch, kann heute jeder kleine Drohnen kaufen

1992 waren kleine Drohnen und integrierte Computerlenksysteme noch utopisch. Heute kann man einfache Quadrocopter mit diesen Eigenschaften ab etwa 100 Euro kaufen. Einfache tragbare Waffen wie die NLAW ( Stückpreis offiziell 37.000 Dollar(öffnet im neuen Fenster) ) haben in den ersten Kriegswochen mit einer hohen Trefferquote Panzer zerstört, die das Hundertfache in der Anschaffung gekostet haben. Während eine NLAW ohne großen Wartungsaufwand für 20 Jahre gelagert werden kann, verursacht ein Kampfpanzer ständige Kosten und Arbeitsaufwand. Investiert man das nicht, bleibt er beim Einsatz leicht liegen.

Logistisch benötigt der Panzer große Treibstoffmengen beim Vormarsch. Eine NLAW oder auch eine kleine Spielzeugdrohne lässt sich zu Fuß, mit dem Fahrrad, auf dem Pferd oder im Kleinwagen transportieren.

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Mit dem Einsatz dieser leichten Waffen gegen viel mächtiger wirkende Kampfpanzer konnte die ukrainische Armee den Vormarsch der russischen Streitkräfte zunächst effektiv stoppen. Das erinnert ein wenig an den militärischen Niedergang der Ritter im 14. Jahrhundert, deren perfektionierte Rüstungen gegen leichtere und schnellere Truppen mit modernen Waffen keinen ausreichenden Schutz mehr boten. Der enorme Aufwand für Rüstung, Reittier und Unterhalt erwiesen sich eher als kontraproduktiv.

Toys hat das Potenzial von kleinen, leichten Waffensystemen gesehen

Ein ähnliches Schicksal ereilte die großen Schlachtschiffe seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihre schwere Panzerung war gegen moderne U-Boote und Flugzeuge nicht mehr ausreichend, sondern eher hinderlich und obendrein ebenfalls sehr kostenintensiv.

So hat sich die Kriegsführung immer wieder gewandelt. Toys hat hier gut das militärische Potenzial von Spielzeug sowie kleinen, leichten Waffensystemen vorhergesagt, die ohne darin sitzenden Piloten auskommen und sich fernsteuern lassen - wodurch es nebenbei gesagt moralisch opportun erscheint, Kinder mit ihren herausragenden Fähigkeiten bei Videospielen bereits spielerisch für Kampfeinsätze auszubilden, um sie dann als junge Erwachsene tatsächlich hierfür einzusetzen.

Keine akribische Prophezeiung, aber ein weitsichtiger Film

Der realitätsnahe Film Good Kill (2014)(öffnet im neuen Fenster) , zeigt eindrücklich, wie richtig Toys leider lag. Hier geht es um einen sehr jungen Piloten, der aus sicherer Entfernung Drohnen steuert und lange Zeit kaum über die Perspektive eines Videospiels hinauskommt, bis ihm die Tragweite seiner Entscheidungen bewusst wird.

Den Missbrauch von Kindern für militärische Zwecke, wie ihn Toys skizziert, verdeutlicht auf abstraktere Weise auch Ender's Game (2013)(öffnet im neuen Fenster) , bei dem ein Kind mit guten taktischen Fähigkeiten lange meint, nur ein großes Spiel zu spielen. Die Erwachsenen halten dieses Missverständnis bewusst aufrecht, um moralische Hemmnisse auszuschalten, die den Protagonisten aber am Ende doch einholen.

Die Entfremdung von der unmittelbaren Kriegserfahrung, um durch Ausblenden der Moral militärisch effektiver zu werden, ist eine der wichtigsten Botschaften von Toys. Selbst die fatalen Konsequenzen von autonomen Waffen werden im Film anhand des sogenannten Seeschweins diskutiert, als sich eine eigenständige mysteriöse Waffe am Ende jeglicher Kontrolle entzieht und nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann.

Hier fühlt man sich an die legendäre Szene aus dem ersten Robocop (1987)(öffnet im neuen Fenster) erinnert, als der Kampfroboter nicht bemerkt, dass das Gegenüber sich ergibt und fatalerweise das Feuer eröffnet. Noch drastischer setzt 1995 der Film Screamers(öffnet im neuen Fenster) den Horror autonomer Waffensysteme in Szene.

Der moderne Begriff dafür, den wir durch den Ukrainekrieg alle gelernt haben, lautet Loitering Weapons - Waffen, die herumlungern und sich dann autonom auf potenzielle Gegner stürzen, wie die US-amerikanische Aero-Vironment-Switchblade-Drohne (nicht zu verwechseln mit der russischen SS-N-25 Switchblade ).

Bis vor Kurzem galten autonome Waffensysteme noch als moralisch verwerflich und erschreckend, vergleichbar mit Landminen. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine erscheinen sie plötzlich als legitimes Verteidigungsinstrument. Mit einem Stückpreis von etwa 6.000 US-Dollar sind sie viel günstiger als viele Lenkraketen.

Dabei zeigt schon das Seeschwein aus Toys deutlich, was es bedeutet, wenn man die Entscheidung über Leben und Tod aus der Hand gibt - es ist nicht einmal ein Szenario wie im Film Terminator (1984) nötig, in dem Skynet die Waffen bewusst gegen die Menschheit richtet. Eine einfache Fehlfunktion reicht beim Seeschwein aus, um von der eigenen Waffe verfolgt und attackiert zu werden.

Dystopisch - und lustig bis absurd

Trotz aller dystopischer Vorahnung ist Toys aber auch lustige bis absurde Unterhaltung und in vielen Aspekten ganz bewusst der Realität entrückt. Dass die gerade für Anfang der 1990er besonders verrückt konstruierten Szenen die heute aktuellen Themen so punktgenau treffen, ist bemerkenswert.

Ein Beispiel: In einer Szene diskutieren zwei Nebenfiguren die Probleme, die sich durch "Duplikation" ergeben. Sie tun das anhand eines Fotokopierers, stellen damit aber bereits wunderbar den Paradigmenwechsel der Digitalisierung bis hin zu Non-Fungible Tokens (NFTs) komödiantisch dar. Was ist, wenn die Identität von etwas durch beliebige Kopierbarkeit nicht mehr selbstverständlich und eindeutig ist?

Diese philosophische Erschütterung unserer Grundfesten haben wir inzwischen weitgehend durchlaufen. Filesharing hat das Eigentum und die Vermarktungshoheit in Frage gestellt - und Kopierschutzmaßnahmen, Verschlüsselung und NFTs versuchen, die alten Paradigmen zurückzubringen. Mit der philosophischen Rückschau auf die letzten Jahrzehnte könnte man nach dem Anschauen von Toys ganze Bücher füllen.

Der Kopfhörer gehört nicht in die Nase

Auch der Woozyhelm, der im Film eine Art Virtual-Reality-Erlebnis ermöglichen soll, mag 1992 wie pure Science-Fiction gewirkt haben. Heute erscheint er heute so plausibel, dass die Darstellung altbacken erscheinen würde - wären da nicht die Details, die die zeitlosen technischen Tücken jeder Innovation amüsant und treffsicher verdeutlichen: Die unangenehme Sonde im Nasenloch entpuppt sich als einfacher In-Ear-Kopfhörer. Die Szene spiegelt die Verwirrung wider, die heute mancher beim Anlegen komplexen VR-Equipments verspürt.

Sicher: Toys ist keine akribische Prophezeiung und bleibt bei aller Weitsicht ein künstlerischer Film, der eher der Avantgarde zugeordnet werden könnte. Doch der im Film erwähnte, damals brandneue Stealthbomber B-2 Spirit ist bis heute das teuerste Kampfflugzeug und kostet in der Produktion gut 2 Milliarden US-Dollar(öffnet im neuen Fenster) .

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Hinzu kommen horrende Kosten für Wartung, Betrieb, Ausbildung, Treibstoff und Bewaffnung. Die Idee im Film, dass man für das gleiche Geld ja Hunderttausende tödlicher "Spielzeugflugzeuge" bekommen könne, findet sich heute ebenfalls in der Realität wieder, etwa in Form besagter Switchblade-Kamikazedrohnen. Dennoch werden wir wohl niemals ein komplettes Militär zum Preis eines Spielzeugladens bekommen.

Immer auch eine Frage von wirtschaftlicher Überlegenheit

Das liegt auch daran, dass ein Kräftemessen in einem kalten oder heißen Krieg stets auch in Form von wirtschaftlicher Überlegenheit ausgetragen wird. Die Gesamtsumme der Aufwendungen setzt den Gegner unter Druck und zwingt ihn zu Verhandlungen. Sich dabei auch selbst nicht wirtschaftlich zu verausgaben, war die entscheidende Kehrtwende in den letzten 30 Jahren.

Wenn man sich höhere Ausgaben für das Militär leisten kann und der Gegner annehmen muss, dass man die Waffen auch einsetzt und diese einen potenziellen Vorteil bringen, zwingt man den Gegner, ebenfalls Geld zu investieren oder Zugeständnisse bei Verhandlungen zu machen. Dieses komplexe Wechselspiel hat in den Jahrzehnten seit dem Kalten Krieg zu erheblichen Einsparungen geführt, da ein Waffeneinsatz in Europa als weniger wahrscheinlich galt.

Die jetzt kommende Phase erhöhter Ausgaben spiegelt nur wider, dass sich die Wahrscheinlichkeit für einen Waffeneinsatz konkret erhöht hat. Kleinere, günstigere und flexiblere Waffen als ein einzelner Stealthbomber für 2 Milliarden Dollar, die dem Gegner dennoch erheblich schaden können, werden dabei eine größere Rolle spielen als noch vor 30 Jahren.

Toys ist schwierig zu bekommen

Wer sich auf das etwas ungewöhnliche Erlebnis Toys einlassen möchte, muss sich leider ein wenig bemühen, denn außer Disney+(öffnet im neuen Fenster) hat ihn kein großer Anbieter in der Flatrate und selbst als Kauf- und Leihvideo bekommt man ihn weder bei Netflix noch bei Amazon(öffnet im neuen Fenster) . Wer die Mühe nicht scheut, kann versuchen, sich die gebrauchte DVD zu kaufen. Begrenzte Stückzahlen sind meist für ein paar Euro zu bekommen.

Wem ein paar visuelle Eindrücke reichen, der findet auf Youtube einen Trailer(öffnet im neuen Fenster) , der einen guten schnellen Einblick ermöglicht. Den Kern der Kriegsführung durch Drohnen und als Videospiel getarnt fasst ein anderes Youtube-Video gut zusammen(öffnet im neuen Fenster) .

IMHO ist der Kommentar von Golem.de [IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)]


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