Microtargeting: EU-Kommissarin lässt Werbekampagne zur Chatkontrolle prüfen

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will eine Twitter-Kampagne der EU-Kommission zur Chatkontrolle überprüfen lassen. Sie nehme die Vorwürfe, wonach die Kampagne gegen das Gesetz über digitale Dienste (DSA) verstoßen haben könnte, "sehr, sehr ernst" , sagte Johansson am 25. Oktober 2023 in einer Befragung durch den Innenausschuss (Libe) des Europaparlaments(öffnet im neuen Fenster) und fügte hinzu: "Das muss natürlich untersucht und geklärt werden."
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Kampagne am 13. Oktober 2023 schrieb Johansson noch auf X (früher Twitter)(öffnet im neuen Fenster) , dass ihre Behörde die Richtlinien und das Gesetz "hundertprozentig" befolgt hätten. Nun räumte sie ein, dies habe sie auf Basis der damals vorliegenden Informationen behauptet. Dann habe sie jedoch andere Informationen bekommen, wonach es fragwürdig sein könnte, ob der DSA tatsächlich eingehalten worden sei. "Sollte das der Fall, müsste das Konsequenzen haben" , sagte Johansson.
Generell verteidigte sie aber das Vorgehen der Kommission, für ihre Pläne in laufenden Gesetzgebungsverfahren öffentlich zu werben. "Das ist völlig üblich" , sagte Johansson und verwies im Ausschuss und in einem Blogbeitrag(öffnet im neuen Fenster) auf andere Werbekampagnen der EU-Kommission. "So setzt sich die Kommission beispielsweise gegen Klimaleugner für den Green Deal ein und verteidigt unsere Politik zur Unterstützung der Ukraine energisch gegen russische Desinformationen" , sagte die Innenkommissarin.
Werbekampagne auf Twitter
Hintergrund der Vorwürfe sind Medienberichte(öffnet im neuen Fenster) , wonach die EU-Kommission im vergangenen September gezielt Anzeigen in EU-Ländern schaltete, die den Plänen für die Chatkontrolle kritisch gegenüberstehen.
Inwieweit diese Anzeigen gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen haben, ist jedoch unklar. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat zumindest eine Voruntersuchung eingeleitet(öffnet im neuen Fenster) . Den entsprechenden csv-Dateien zufolge(öffnet im neuen Fenster) richteten sich die Anzeigen beispielsweise an niederländische Nutzer, die älter als 18 Jahre sind.
Allerdings sollten die Anzeigen nicht erscheinen, wenn Suchbegriffe wie "Alternative für Deutschland" , "Nazi" , "Brexit" oder "Julian Assange" eingegeben würden. Eine Auswahl anhand von Suchbegriffen nutzt aber keine sensiblen personenbezogenen Daten der Nutzer und dürfte daher zulässig sein.
Sechsmal mit Google getroffen
Viele kritische Fragen musste sich Johansson in der Sitzung auch hinsichtlich der Lobbyismusvorwürfe gefallen lassen. Das betrifft beispielsweise die mögliche Bevorzugung von Organisationen wie Thorn, das selbst Softwareprodukte anbietet, um Material mit sexuellem Kindesmissbrauch erkennen zu können.
Johansson sagte im Ausschuss, sie habe sich wegen der geplanten Verordnung sechsmal mit Google, je dreimal mit Microsoft, Meta und Tiktok, je zweimal mit Twitter, Thorn und Brave Movement sowie je einmal mit ICANN, Apple, Amazon und Tech Alliance getroffen. Auf die Frage, warum sie sich nicht mit dem Dachverband netzpolitischer Organisationen, Edri, getroffen habe, sagte Johansson, sie könne nicht jede Einladung annehmen, habe aber einmal mit einem Edri-Vertreter in einer Diskussionsrunde gesessen.
Die erwähnte Initiative Brave Movement wurde offenbar eigens zur Unterstützung der Kommissionspläne gegründet. Die Organisation erhalte wiederum Geld von der Oak Foundation, hieß es in einem Bericht, der im September 2023 unter anderem auf Balkaninsight.com(öffnet im neuen Fenster) (Englisch) und Zeit.de (Paywall)(öffnet im neuen Fenster) erschienen war. Johansson sagte dazu, dass sie vor der Lektüre des Artikels noch nie etwas von der Oak Foundation gehört habe.



