Metas Smartglasses: Ein Gadget für den Westentaschen-Bond?

Google Glass ... da war doch was! Als Google 2014 sein infames Wearable als offene Beta auf den US-Markt brachte, sorgte das für teils heftige Reaktionen. Einige der stolzen Besitzer verletzten die Privatsphäre ihrer Mitmenschen, indem sie Fotos und Videos in Bars, Clubs und Schwimmbädern, sogar in öffentlichen Toiletten anfertigten.
Die Folge waren körperliche Übergriffe und allerlei Beschimpfungen, von denen sich "Glasshole" zweifellos am stärksten eingeprägt hat. Bereits 2015 stoppte Google die Produktion des Consumer-Modells wieder . Doch dieser Misserfolg von Google Glass hielt andere Hersteller nicht davon ab, sich ebenfalls in dem Marktsegment zu versuchen.
Auch die erstmals 2017 veröffentlichten Snap Spectacles konnten den Massenmarkt genauso wenig erobern wie Metas 2021 erschienene Ray-Ban Stories. Letztere hat Meta zwar rund 300.000 Mal verkauft, doch nur etwa zehn Prozent der Käufer sollen sie laut internen Unterlagen auch regelmäßig nutzen.
Meta macht weiter, wo Google aufgehört hat
Nun bringen Meta und Ray-Ban neue Smart Glasses auf den Markt . Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung hat die Ray-Ban Meta Aufmerksamkeit eingeheimst - unter anderem, weil Mark Zuckerberg sie zusammen mit der Mixed-Reality-Brille Meta Quest 3 bei der hauseigenen Konferenz in Kalifornien präsentierte.
Auch in Deutschland ist die Brille seit Mitte Oktober 2023 als Sonnen- und als Klarsichtbrille mit eigens geschliffenen Gläsern erhältlich. Die Brille im kantigen Wayfarer-oder leicht rundlichen Headliner-Look kostet in der Basisversion 329 Euro; erhältlich sind beide online, aber auch bei Ketten wie Fielmann und Apollo Optik. Doch was genau kann die Ray-Ban Meta als smarte Brille überhaupt - und an welche Zielgruppen richtet sie sich?
Endlich echte Smartglasses?
Zunächst klingt die Ray-Ban Meta wie eine eierlegende Wollmilchbrille: Man kann mit ihr Fotos und Videos aufzeichnen, Videos live streamen, Musik hören, telefonieren und Nachrichten via Whatsapp und Facebook Messenger senden und empfangen. Ob das jetzt unbedingt smart heißen muss, sei dahingestellt, schließlich bietet die Ray-Ban Meta keine Augmented-Reality-Funktionen. Das Brillenglas ist einfach ein Brillenglas - und kein Display, auf dem sich beispielsweise eine Reiseroute einblenden oder Infos zu einer Sehenswürdigkeit anfordern lassen.
Statt als Smart Glasses könnte man die Ray-Ban Meta derzeit eher als Multifunktionsbrille bezeichnen. Worauf sich auch gleich die Frage nach den möglichen Zielgruppen stellt: Geheimagenten, Stalker, Content Creator - oder einfach der Durchschnittsnutzer von nebenan?
Was kann die Ray-Ban Meta - und was nicht?
Für den Test hat uns Meta eine Sonnenbrille im Wayfarer-Look zur Verfügung gestellt. Mit 48 Gramm ist sie erfreulich leicht und auch über längere Zeit angenehm zu tragen. Für Menschen mit besonders großen Köpfen gibt es zusätzlich eine XXL-Version. Das klassische Ray-Ban-Design wirkt zwar etwas altmodisch, aber auch deutlich gediegener als so manch kreischend designtes Produkt anderer Hersteller .
Die Ray-Ban Meta wird in einem hochwertigen Etui geliefert, das gleichzeitig als Aufladestation dient. Das Etui selbst lässt sich mit einem USB-3.0-Netzteil laden, das nicht im Lieferumfang enthalten ist. Laut Hersteller wird die Brille im Etui in 75 Minuten komplett geladen; in 22 Minuten sollen es immerhin 50 Prozent sein.
Wer die Brille immer wieder sporadisch nutzt und zwischendurch lädt, kann mit einer brilleninternen Akkulaufzeit von sechs bis sieben Stunden rechnen. Power-User, die permanent Videos aufnehmen, Musik hören oder telefonieren, werden die Brille nach drei bis vier Stunden aufladen müssen.
12 Megapixel und aktueller Qualcomm-Chip
Im Innern der Ray-Ban Meta werkelt ein leistungsfähiger Qualcomm Snapdragon AR1 der ersten Generation. Die Brille verfügt über eine ordentliche 12-Megapixel-Kamera. Zwar reichen die Bilder qualitativ nicht an die Fotos aktueller Smartphones heran, doch das wäre bei dem Gesamtpaket zu viel verlangt. In unserem Test fiel auf, dass helle Stellen überbetont werden.



Ansonsten waren unsere Fotos auch hinsichtlich ihrer Farbtreue und Schärfe erstaunlich annehmbar. Die Brille macht ausschließlich Fotos im Hochkantformat und mit 3.024 x 4.032 Pixeln - eben so, dass man sie problemlos auf dem Smartphone-Bildschirm darstellen kann.
Was man durch die Brillengläser sieht, stimmt deshalb nur teilweise mit dem fotografierten Inhalt überein, weil die Kamera vor dem aus Trägersicht linken Brillenbügel sitzt. Es kann ein Weilchen dauern, bis man diese Perspektivverschiebung verinnerlicht hat und zielgenauer fotografiert. Je nach Frisur kann es vorkommen, dass Haarsträhnen ins Bild hängen.
Die Meta-Brille hat einen internen Speicher von 30 GB. Die Fotos und Videos lassen sich auch in die Begleit-App Meta View importieren. Diese spannt dafür unterwegs kurz ein eigenes WLAN auf. Über die App lassen sich Fotogalerien mit Musik unterlegen und auf Social-Media-Kanälen veröffentlichen.
Metas smarte Brille versteht kein Deutsch
Bei Videos sind bisweilen Atemgeräusche vernehmbar. Ansonsten eignet sich die Brille ganz gut für Content Creator, die beim Backen, beim Basketball oder beim Spielen mit dem Golden Retriever beide Hände frei haben wollen, ohne sich gleich eine Gopro an den Kopf zu schnallen. Außerdem lassen sich in der App diverse Grundeinstellungen vornehmen, wie die Länge der aufgenommenen Videos. Hier lässt sich zwischen 15, 30 und 60 Sekunden wählen - längere Videoaufzeichnungen am Stück sind nicht möglich.
Per Sprachbefehl kann man der Brille einfache Befehle geben, zum Beispiel "Hey Meta, take a photo" oder "Hey Meta, volume up" , wobei die Sprachsteuerung derzeit nur auf Englisch, Französisch und Italienisch funktioniert. US-Nutzer können immerhin schon Gespräche mit dem Meta-AI-Chatbot führen und beispielsweise Recherchefragen stellen. In Deutschland ist diese Funktion momentan noch nicht verfügbar.
Neben der Sprachsteuerung ist eine haptische Bedienung über den rechten Brillenbügel möglich. Ein länglicher Schalter macht bei kurzem Drücken Fotos und startet bei längerem Drücken Videoaufnahmen. Wird die Brille auseinandergefaltet, wacht sie automatisch aus dem Stand-By-Modus auf.



Über eine Touchoberfläche am rechten Brillenbügel lassen sich Musikwiedergabe und Lautstärke steuern. Einmaliges Antippen startet oder stoppt beispielsweise die Wiedergabe von Songs, während Streichgesten die Lautstärke regeln. Zweimaliges Antippen spielt den nächsten Song, dreimaliges den vorherigen. Die Ray-Ban Meta hat standardmäßig nur Spotify integriert. Andere Dienste, wie Soundcloud, muss man über die jeweilige Smartphone-App auf die Brille streamen.
Guter Sound aus den Brillenbügeln
Was den Sound angeht, weiß die Brille durchaus zu überzeugen. Die eigene Telefonstimme war im Test bei Gesprächspartnern klar und deutlich zu hören, immerhin sind an der Ray-Ban Meta auch fünf Mikros verbaut. Die Wiedergabequalität der Anrufer ist ebenfalls sehr gut. Auch wenn die Brille über kein aktives Noise Cancelling verfügt, ist die Stimme selbst bei lokalen Nebengeräuschen klar vernehmbar.
Musik spielt die Brille sehr solide und sogar mit Raumwirkung ab. Zwar sind besonders die Bässe deutlich weniger druckvoll als bei qualitativ hochwertigen Earbuds oder Kopfhörern, doch auch hier kann man angesichts der Bauweise kaum mehr erwarten.
Spannend ist die Frage, ob Meta aus den Fehlern von Google gelernt hat. Eine Brille mit Foto- und Videofunktion hat grundsätzlich ein hohes Missbrauchspotenzial. Denn es wird immer Leute geben, die genau diese Funktionen nutzen, um in anderer Leute Privatsphäre einzudringen. Bei Geheimagenten mag das noch zum Jobprofil gehören, aber was Stalker und Spanner mit solchen Smart Glasses anstellen können, ist ziemlich offensichtlich. Was also tut Meta, um solchen "Glassholes" einen Riegel vorzuschieben?
Smarte Sonnenbrille oder nächster Glasshole-Look?
Bei der Installation von Metas App wird man höflich darum gebeten, die Privatsphäre der Mitmenschen zu respektieren - und vor Aufnahmen im Zweifelsfall um Erlaubnis zu fragen. Das mag zwar all jene sensibilisieren, die sich noch nie wirklich Gedanken über Datenschutz gemacht haben. Doch wer es gerade darauf anlegt, heimlich zu fotografieren oder zu filmen, wird von diesem Disclaimer nicht sonderlich beeindruckt sein.
Zur Sicherheit hat Meta am rechten Bügel der Ray-Ban-Brille eine LED eingebaut, die bei Foto- und Videoaufzeichnungen weiß blinkt. Zusätzlich gibt es eine nach innen gerichtete LED, die dem Brillenträger signalisiert, wenn eine Aufzeichnung stattfindet. Bei Google Glass gab es eine solche LED nicht, das war gewissermaßen ein Anfängerfehler.
Aber auch Meta bietet hier keine ideale Lösung. Erstens wird nicht jeder Zeitgenosse eine pulsierende LED als Aufnahmelicht deuten - ganz im Gegensatz zu einem hochgehaltenen Smartphone, das mittlerweile so ziemlich jeder mit einer Aufnahme assoziiert. Zweitens lässt sich die LED auch böswillig manipulieren, wenn man es darauf anlegt.
Wenn man die LED beispielsweise abdeckt, sollte die Brille theoretisch die aktuelle Aufzeichnung unterbrechen. In unserem Test war das auch der Fall, wenn wir die Hand darüber hielten. Dann forderte uns eine Computerstimme auf, die Abdeckung wieder zu entfernen. Anders sah es aber aus, als wir die LED seitlich mit einer Hoodie-Kapuze bedeckten, wodurch ihr Leuchten zumindest aus bestimmten Blickwinkeln nicht zu erkennen war. In diesem Fall filmte die Brille einfach klaglos weiter.
Die Dashcam fürs Gesicht
Nicht nur aus ethischer, sondern auch aus rechtlicher Sicht ist das mit dem öffentlichen Filmen so eine Sache. Dashcams für Autos sind zwar nicht grundsätzlich verboten, dürfen aber auch nicht permanent Inhalte aufzeichnen . Überwachungskameras auf Privatgrundstücken dürfen keine öffentlichen Straßenabschnitte oder Grundstücksbereiche von Nachbarn abdecken. Und bei vielen öffentlichen Anlässen ist das Filmen oder Fotografieren explizit untersagt. Wer zuwiderhandelt, muss mit rechtlichen Schritten rechnen.
Mit der Ray-Ban Meta lassen sich nur zeitlich stark beschränkte Videos aufnehmen. Außerdem muss man die Aufzeichnung sicht- oder hörbar per Tastendruck oder Sprachbefehl auslösen. Livestreams zu Facebook oder Instagram sind möglich, aber ebenfalls zeitlich begrenzt. Mit diesen Grundeinstellungen wähnt sich Meta offenbar in einem rechtlich akzeptablen Bereich.
Wie der Kurznachrichtendienst Thread oder die lange in Deutschland nicht verfügbaren Quest-VR-Headsets zeigen, ist der Konzern durchaus bereit, auf potenzielle Kunden zu verzichten, um Regulation aus dem Weg zu gehen.
So lässt sich Metas KI-Assistent im Test in Deutschland bislang nur eingeschränkt nutzen. Hierdurch würde das Missbrauchspotenzial noch einmal deutlich erhöht - man denke nur an den Abgleich der Aufnahmen mit Gesichtserkennung .
Die Ray-Ban Meta kann technisch durchaus beeindrucken - und in bestimmten Anwendungsfällen auch sehr praktisch sein. In den falschen Händen könnte sie jedoch erheblichen Schaden anrichten. Deshalb hinterlässt die eierlegende Wollmilchbrille bei uns einen datenschutzrechtlich schalen Nachgeschmack - daran hat sich seit Googles erster Smartbrille nichts geändert.



