Merkels NSA-Vernehmung: Die unerträgliche Uninformiertheit der Kanzlerin

Ausgerechnet Angela Merkel, die Aktenfresserin, die Physik-Kanzlerin, die Frau, die die Dinge "gern vom Ende her denkt" präsentierte sich vor dem NSA-Untersuchungsausschuss als Bundeskanzlerin, die von allen kritischen Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes nichts gewusst haben will. Es war ein denkwürdiger Auftritt - und einer der Demokratie verpflichteten Bundeskanzlerin unwürdig.
Merkel sagte, sie habe sich von den zuständigen Mitarbeitern stets ausreichend gut informiert gefühlt. Ehrlicherweise hätte sie sagen müssen, dass sie sich ausreichend wenig informiert gefühlt habe - viele Jahre "plausible deniability" . Der BND hat auch gegen europäische Freunde spioniert? Davon wusste ich nichts!
Es mag durchaus sein, dass Angela Merkel wirklich nichts von alldem gewusst hat, was der BND über Jahre trieb. Doch spätestens, nachdem Medienberichte im Oktober 2014 nahelegten, dass der BND zusammen mit der NSA über Jahre intensiv spioniert hat, hätte die Kanzlerin sich nicht weiter darauf verlassen dürfen, von ihrem Kanzleramtsminister schon rechtzeitig informiert zu werden.
Weisungen nur mündlich - wie praktisch
Pofalla selbst soll die Praxis der möglicherweise illegalen Selektoren abgestellt haben - mit einer mündlichen Weisung. Dem Untersuchungsausschuss gelang es nicht, eine Person zu finden, die von dieser Weisung tatsächlich konkret Kenntnis hatte. Einer der großen Skandale des Bundesnachrichtendienstes wurde also mit einer Anweisung beendet, die weder schriftlich noch mündlich vorliegt? Egal - Merkel vertraut. Details will sie lieber nicht kennen - das macht nur unglücklich und verursacht Probleme.
Merkels gefälliges Schicksal
Merkel selbst sagte dazu im Ausschuss, es sei "ihr Schicksal" , auf ihr zugetragene Informationen zu vertrauen. Im Bereich des BND fügte Sie sich offenbar nur allzu bereitwillig in ihr Schicksal. Zu praktisch allen vom Ausschuss gestellten Detailfragen sprach Merkel ihren Mitarbeitern und anderen Behörden das volle Vertrauen aus, wesentliche Informationen habe sie nicht beizutragen. Es ist zwar zu begrüßen, dass sich Merkel hinter die Behörden stellt. Doch gerade in dem demokratisch ohnehin schwierigen Bereich der Geheimdienste hat die Kanzlerin eine "Holschuld" - sie muss sich aktiv informieren lassen.
Richtlinienkompetenz? - Ich doch nicht!
Doch das wollte sie offenbar nicht. Mehrfach fragte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, ob Merkel nicht von ihrer "politischen Richtlinienkompetenz" Gebrauch machen wolle, um das Justizministerium anzuweisen, endlich ein Gutachten fertigzustellen, in dem geprüft wird, ob Edward Snowden freies Geleit bekommen könnte, um doch noch vor dem Ausschuss auszusagen. Merkel Antwort: "Nein" . Im Übrigen "vertraue Sie den Mitarbeitern" des Justizministeriums ebenso wie den Mitarbeitern des mit der Frage befassten Außenministeriums.
Auch in der Frage der effektiven Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes vertraut Merkel offenbar bedingungslos dem eigenen Stab. Die zuständige Abteilung Sechs des Bundeskanzleramts könne nicht durch mehr technische Expertise "zu einem zweiten BND" gemacht werden. Auch könne man nicht hinter jeden BND-Mitarbeiter einen Überwacher stellen.
Auch den Drehtüreffekt - also den ständigen Austausch zwischen BND und Abteilung Sechs, sieht sie unproblematisch. "Auch in anderen Abteilungen gibt es Freundschaften" - dies mache die Mitarbeiter ja nicht zu schlechteren Beamten. Im Übrigen vertraue sie darauf, von den zuständigen Stellen immer richtig informiert zu werden.
Merkels Vertrauen geht sogar so weit, dass es auch durch offensichtliche Fehlinformationen nicht getrübt wird. Der Leiter der Abteilung Sechs, Günther Heiß, hatte Informationen der US-Seite über die Bereitschaft zum Abschluss eines solchen Abkommens nicht zeitnah weitergegeben.
Die Opposition vermutet: Die Kanzlerin wollte über Probleme nichts wissen, damit sie im Bundestagswahlkampf weiterhin behaupten kann, dass ein No-Spy-Abkommen möglich sei. Merkel sagte: "Ich hatte zu jeder Zeit Vertrauen, dass die Mitarbeiter sehr ernsthaft über ein solches Abkommen verhandelt haben."
Bloß nicht mit Fakten verwirren!
Auch sonst hatte Merkel, die sich üblicherweise nicht vor Detailkenntnissen scheut, erstaunlich wenig den Drang verspürt, sich zu informieren. Der Bericht der Bundesdatenschutzbeauftragten über massenhafte Rechtsverletzungen in Bad Aibling ? Egal. 13 Millionen möglicherweise illegale Selektoren im System des BND? "Nicht durch hohe Zahlen einen irreführenden Eindruck erwecken!" Details im Fall des Doppelagenten Markus R. ? Naja, er wurde doch gefunden.
Es ist unverständlich, dass Merkel, die sonst häufig vom Glück der freiheitlichen Demokratie spricht, ausgerechnet die Aufsicht über die Nachrichtendienste aktiv ignoriert und dafür ihre Leute vorschickt. Im Rechtssystem gilt der Grundsatz: "Ignorantia legis non excusat" . "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht." Angela Merkel kann die Geheimdienste ignorieren, so viel sie will. Die politische Verantwortung liegt trotzdem bei ihr.
IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)



