Mercedes-Benz: Selbst Crashtests bringen Akkus nicht zum Brennen

Es war ein Video, mit dem sich Axa bis auf die Knochen blamierte: Die Schweizer Tochterfirma der Versicherung ließ kürzlich spektakulär einen Tesla auf dem Dach landen und explodieren. Anschließend räumte das Unternehmen ein(öffnet im neuen Fenster) , die Detonation mit Pyrotechnik inszeniert zu haben. Denn der Crash, wie Axa schrieb, verursachte "am Unterboden des Fahrzeugs keine derartigen Schäden, dass ein Brand wahrscheinlich gewesen wäre" .
Das ist kein Zufall. Da die Hersteller um die Brandgefahr durch Lithium-Ionen-Akkus wissen, sind die Akkupakte im Unterboden entsprechend gut geschützt.
Brände können nach Unfällen passieren(öffnet im neuen Fenster) , sind aber bislang eher selten. Zudem sorgen verschiedene Sicherheitskonzepte dafür, dass von dem Strom der Hochvoltbatterien für Passagiere und Rettungskräfte nach einem Unfall keine Gefahr ausgeht.
Seitenaufprall generell gefährlicher
Das bestätigen auch die bisherigen Erfahrungen des Autoherstellers Mercedes-Benz bei den Tests von Elektroautos und der Auswertung von Unfällen. "Bei unseren Crashtests hat sich noch nie ein Akku entzündet" , sagt Sicherheitsexpertin Julia Hinners im Gespräch mit Golem.de. Das gelte sowohl für Frontalzusammenstöße als auch für Kollisionen von der Seite.
Allerdings räumt Mercedes-Benz ein, dass ein Seitenaufprall generell gefährlicher für den Akku sei. Vor allem dann, wenn das Elektroauto nicht mit einem anderen Fahrzeug, sondern beispielsweise mit einem Baum kollidiere. "Bei Seitencrashs haben wir nicht so große Deformationswege wie bei einem Frontalcrash, deswegen ist der Seitencrash für die Hochvoltbatterie schon anspruchsvoller, kommt aber deutlich seltener vor" , sagt Hinners.
Schutz für Zellen und Kabel
Im Bereich der Fahrzeugfront bildet Mercedes-Benz die Knautschzone mit einer Kombination aus verschiedenen Stahl- und Aluminiumprofilen beziehungsweise -blechen. "Die Deformationszone mit den Längsträgern ist anders geformt als bei Verbrennern" , erläutert Hinners. Die Batterie stelle ein sehr steifes Gehäuse dar und werde außen durch Strangpressprofile eingerahmt, die als Kollisionsschutz und Deformationsbereiche dienten. Diese Seitenprofile seien viel massiver ausgeführt als bei Verbrennern.
Die Batterie sei darauf ausgelegt, sich bei einem Crash nicht selbst zu zerlegen. Aber selbst wenn das Batteriegehäuse beschädigt werde, gebe es immer noch ein bisschen Luft bis zur ersten Zelle. "Das Ziel ist, die Zellen sollen auch bei einem schweren Unfall möglichst unbeschädigt sein" , erklärt Hinners.
Der spezielle Schutz betrifft aber nicht nur die Zellen, sondern auch die weiteren Hochvoltkomponenten wie die Kabel. "Wir haben uns aus dem realen Unfallgeschehen angesehen, welche Zonen bei verschiedenen Unfällen deformiert werden, wo Beschädigungen auftreten, und haben die kritischen Komponenten vor allem in die Bereiche gelegt, in denen möglichst wenig Deformationen auftreten sollten" , erläutert Hinners. Die Hochvoltkabel seien verstärkt worden, damit sie nicht aufgescheuert oder aufgerissen werden könnten und es nicht zu Kurzschlüssen komme.

Die Hochvoltkomponenten in weniger geschützten Bereichen seien mit einer festeren Hülle ausgestattet. Ein solcher Schutz kann nach Versicherungsangaben dabei helfen, Schäden durch Marderbisse zu begrenzen. Dann muss nicht der ganze Kabelsatz ausgetauscht werden, was den Schaden von mehreren Tausend auf einige Hundert Euro reduzieren kann.
Trotz aller Sicherheits- und Assistenzsysteme sind moderne Elektroautos natürlich nicht vor schweren Unfällen gefeit.
Akku muss je nach Unfallschwere ausgetauscht werden
In solchen Situationen soll von der Spannung des Akkus keine Gefahr für Passagiere und Rettungskräfte ausgehen. Aus diesem Grund schaltet bei Mercedes-Benz das zuständige Steuergerät das Hochvoltsystem nach fünf Sekunden automatisch ab, wenn ein Airbag ausgelöst hat.
Dabei wird zwischen einer reversiblen und einer irreversiblen Abschaltung unterschieden. Die reversible Abschaltung findet bei leichteren Unfällen statt. Danach ist eine Wiederzuschaltung des Hochvoltsystems möglich, wenn eine vom Fahrzeug vorher durchgeführte Isolierungsmessung keinen Fehler erkennt. Damit sollen fahrfähige Fahrzeuge weiterhin fahrbereit bleiben.
Nur bei schweren Unfällen wird laut Mercedes-Benz das Hochvoltsystem irreversibel abgeschaltet. Ohne Reparatur kann es nicht mehr aktiviert werden.
Steuergerät auch beim Parken aktiv
Andere Hersteller gehen nach Unfällen anders mit Akkus um. Wenn Airbags oder Gurtstraffer ausgelöst wurden, startet der Akku bei Audi einen Diagnosetest . Werden Schäden festgestellt, wird nicht der komplette Akku ersetzt, sondern nur Module mit Schäden. "Das ist vor allem aus wirtschaftlichen und nachhaltigen Gesichtspunkten sinnvoll" , sagt ein Audi-Sprecher.
Anders als bei Verbrennern ist bei Mercedes das Steuergerät auch bei abgestelltem Fahrzeug weiter aktiv. Kommt es dann zu einer Kollision durch ein anderes Auto, könnte beispielsweise ein aktiver Ladevorgang unterbrochen und die Batterie abgeschaltet werden.
Rettungstrennstellen für die Feuerwehr
Doch das reicht als Vorsichtsmaßnahme noch nicht aus. Die Limousine EQS verfügt beispielsweise über zwei sogenannte Rettungstrennstellen, um zusätzlich den Akku abschalten zu können. Eine dieser Trennstellen ist als Schalter ausgeführt und befindet sich an der A-Säule der Beifahrerseite. "An der A-Säule der Fahrerseite kann die Feuerwehr ein Niedervoltkabel durchtrennen, das wiederum dafür sorgt, dass die Schütze der Hochvoltbatterie öffnen" , sagt Hinners.
Die Feuerwehr gelangt über sogenannte Rettungskarten an die Informationen. "Diese Rettungskarten sind einerseits im Internet abrufbar, zudem sind in der Ladeklappe und an der gegenüberliegenden B-Säule QR-Codes angebracht, über die man die Rettungskarten im Internet abrufen kann(öffnet im neuen Fenster) " , erläutert die Sicherheitsingenieurin.

Bei anderen Elektromodellen von Mercedes wie dem EQC findet sich die Hochvolt-Abschaltvorrichtung unter der Fronthaube(öffnet im neuen Fenster) . Diese ist beim EQS jedoch nicht ohne Weiteres zu öffnen, so dass der Schalter an die A-Säule gelegt wurde.
Unfallforscher untersuchen die Akkus
Nach einem Unfall stellt sich häufig die Frage, ob der Akku ausgetauscht werden muss oder weiter genutzt werden kann. Bei Mercedes-Benz gilt bislang die Regel: Hat die Pyrotechnik, also der Airbag, gezündet, muss der Akku getauscht werden. Doch es werde geprüft, ob dies immer erforderlich sei, erklärt Hinners.
"Die Unfallforschung von Mercedes-Benz hat sich inzwischen zum Ziel gesetzt, beschädigte Elektroautos statt im Umfeld von Sindelfingen sogar in ganz Deutschland zu untersuchen" , sagt Hinners und fügt hinzu: "Wir haben jetzt schon einige Elektromodelle und Hybridfahrzeuge nach Unfällen untersucht, haben bei den Untersuchungen noch keine kritisch deformierten Batterien gehabt. Das ist im Feld bei uns bisher nicht aufgetreten."
Mercedes macht laut Hinners bei den Anforderungen an die Akkusicherheit keine Unterschiede je nach Fahrzeugklasse. Allerdings seien die Anforderungen bei einer rein elektrischen Plattform wie EVA2, die der EQS und der EQE nutzen, einfacher umzusetzen als bei umgebauten Verbrennern wie dem EQA oder EQC.
Keine Aussagen zu anderen Akkutypen
Keine Aussagen will das Unternehmen dazu treffen, wie Akkus mit anderer Zellchemie sich auf die Anforderungen auswirken. So gelten Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP) als wesentlich robuster und weniger entflammbar. Auch Natrium-Ionen-Akkus sind in thermischer Hinsicht sicherer.
Allerdings dürften die Autohersteller weiterhin ein großes Interesse haben, den Akku als teuerste Einzelkomponente eines Elektroautos möglichst gut vor mechanischen Schäden zu schützen. Derzeit sollen die Reparaturkosten nach Unfällen bereits im Durchschnitt um zehn Prozent höher als bei Verbrennern liegen . Versicherungen wie Axa sollten schließlich kein Interesse daran haben, spektuläre Crashvideos zu drehen, sondern die Reparaturkosten und damit auch die Prämien möglichst niedrig zu halten.



