Lou Ottens gestorben: Klack, die Kassette ist zu Ende
Ihn nervten die großen Tonspulen, ich habe davon profitiert. Der Erfinder der Kompaktkassette ist gestorben.

Wen keine nostalgischen Gefühle überkommen, wenn er sich daran erinnert, mit Hilfe eines Bleistifts Magnetband wieder zurück in eine Kassette zu spulen, der ist einfach zu jung. Der Niederländer Lou Ottens hat die Kompaktkassette maßgeblich mitentwickelt. Wie jetzt bekanntwurde, ist er am 6. März 2021 im Alter von 94 Jahren gestorben. Ich sage: Danke für die Erinnerungen!
Bei Philips war Ottens als Ingenieur in den 1960er Jahren maßgeblich an der Entwicklung der Kompaktkassette beteiligt - später auch an der Entwicklung der CD. Dem niederländischen Portal Netherlandsnewslive zufolge war er von den unhandlichen Tonbandgeräten mit den großen Spulen genervt und beschloss, es müsse etwas Handlicheres geben. "Das Kassettenband wurde aus Verärgerung über das bestehende Tonbandgerät erfunden, so einfach ist das", sagte Ottens später laut der niederländischen Zeitung NRC.
Bandsalat und Geheimnachrichten
Was aus seinem Ärger folgte, hat meine gesamte Kindheit und Jugend geprägt. Die erste Kompaktkassette wurde am 28. August 1963 auf der Internationalen Funkausstellung in Westberlin vorgestellt und mit dem Slogan beworben: Kleiner als eine Packung Zigaretten. Über 100 Milliarden Kassetten wurden im Laufe der Zeit verkauft - und nicht wenige davon landeten in den 80er Jahren, ebenfalls in Westberlin, bei mir. Ich schlief mit Kinderliedern von der Kassette ein und wachte mit Die Drei ??? auf.
Unentspannt wurde es immer, wenn der Ton plötzlich hoch und das Band schnell wurde - dann musste ich aufspringen und sofort auf Stopp drücken - Bandsalat! Dann kam der Bleistift zum Einsatz.
Ich erstellte mit Freunden eigene Radiosendungen auf Band und bannte auf meine Kassetten, was immer mir im echten Radio gefiel. Wir zogen die Bänder aus den Kassetten, schnitten zusammen, klebten mit Tesafilm und spulten die Bänder wieder auf, um wie die Beatles Nachrichten in der Geheimsprache rückwärts auszutauschen. Apropos Beatles: Im Keller habe ich noch eine komplette Sammlung aller Beatles-Alben auf Band. Denn damals in den 80ern bekam man eine Sammlung inklusive seltener Stücke zusammen, indem man quer durch Europa Bänder verschickte, deren Qualität von Aufnahme zu Aufnahme ein bisschen nachließ - und die dennoch oder gerade dadurch etwas ganz Besonderes hatten.
Ottens arbeitete derweil schon an einem Medium, das eine bessere Tonqualität liefern würde: der CD. "Nichts kann mit dem Klang der CD mithalten", sagte er NRC. "Sie ist absolut rausch- und rumpelfrei. Das hat mit Tonband nie funktioniert."
Ich freute mich derweil über den ersten Walkman zum Geburtstag und transferierte manisch die gesamte Plattensammlung auf Leerkassetten. Ottens soll übrigens enttäuscht gewesen sein, dass nicht sein Arbeitgeber Philips, sondern Sony den ersten Walkman auf den Markt brachte. Mir war das ganz egal: Ich hatte meine Kassetten jetzt überall und immerzu.
Die erste Liebe zeigte mir ihre Zuneigung mit einem selbst zusammengestellten Mixed Tape - nur echt mit abrupt abbrechenden Musikstücken am Ende der jeweiligen Kassettenseite. Von etlichen Songs habe ich erst als Erwachsene das Ende kennengelernt.
"Das dudelt ja unangefochten weiter"
Auf einer geliebten Dire-Straits-Kassette hat sich mitten in "Brothers in Arms" meine vor vielen Jahren verstorbene Mutter für immer verewigt, als sie versuchte, meinen Walkman auszuschalten - es ist ein Band, das ich nie wegwerfen werde. Man hört sie darauf sagen: "Das dudelt ja unangefochten weiter hier!" Dann ihre Freundin: "Du musst diesen Knopf drücken, um es auszuschalten." Dann wieder meine Mutter: "Aber ich habe doch gerade ..." Dann rappelt es, klackt - und die Musik geht weiter.
Was damals Hightech war, die die Alten nur unzureichend bedienen konnten, ist schon lange von viel praktischerer und moderner Technik abgelöst worden. Selbst die CD spielt im Leben meiner Töchter aus der Generation Spotify keine Rolle mehr. Und sie können sich die Mühe kaum vorstellen, die man für derart eingeschränkten Musikgenuss in meiner Kindheit und Jugend auf sich genommen hat. Aber für mich wird es immer etwas Besonderes bleiben: das Rauschen, das zusätzliche Knacken des Plattenspielers, von dem die aufgenommene Musik abgespielt worden war, das abrupte Abbrechen und das Klack, wenn die Kassette zu Ende ist.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
- ohne Werbung
- mit ausgeschaltetem Javascript
- mit RSS-Volltext-Feed
So wie es aussieht ist bei den Altgeräten größtenteils der Riemenantrieb im Eimer, sollte...
Kasetten haben den "nachteil" halt nicht instant kaputtzugehen (Auser jetzt der Player...
Ja daher meine Behauptung (sicher wissen tu ich das nicht), dass das Sharing...
Seltsam, denn vor 35 Jahren gabs noch garkeinen Loudness War, das fing erst in den...
Lange Zeit habe ich genau das an der Kasette geschätzt. Tatsächlich ist Spotify...
Kommentieren