Leistungsschutzrecht: Die fast 100 Jahre alte Debatte um den Nachrichtendiebstahl

Mit der Klage der VG Media und einer Kartellbeschwerde gegen Google geht die Diskussion um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR) in die nächste Runde. Es ist eine alte Debatte, die erstmals in der Weimarer Republik aufkam.

Artikel veröffentlicht am , Heidi Tworek/Vocer/Christopher Buschow
Googles Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht
Googles Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht (Bild: Google/Screenshot: Golem.de)

Seit längerem schon streiten sich die deutschen Presseverlage mit Google um dessen Geschäftsmodell. Schauplatz der Auseinandersetzung ist nicht nur das Feuilleton. Während sich auf europäischer Ebene unter anderem im Open Internet Project für die kartellrechtliche Regulierung der Suchmaschine und ihrer Trefferlisten eingesetzt wird, soll in Deutschland ein Leistungsschutzrecht (LSR) die kostenpflichtige Lizenzierung von Snippets - kurze Textausschnitte etwa bei Google News - durchsetzen. Die Diskussion um das Gesetz ist alt. Google verweigert weiterhin jede Lizenzzahlung.

Inhalt:
  1. Leistungsschutzrecht: Die fast 100 Jahre alte Debatte um den Nachrichtendiebstahl
  2. Genese der Gesetzentwürfe

Die Verlage antworten unterdessen juristisch: Als zuständige Verwertungsgesellschaft hat die VG Media jüngst Klage gegen den Suchmaschinenanbieter eingereicht. Im gleichen Atemzug legten zwölf Großverlage auf Bundesebene eine Kartellbeschwerde vor. Diese Versuche einer strategischen Institutionalisierung zielen darauf ab, die Wertschöpfung der Verlage, insbesondere ihre Distribution von Inhalten, vor dem Zugriff durch neue Wettbewerber zu schützen. Kommentatoren beschreiben die Auseinandersetzung daher auch als Reibung zwischen alten und neuen Medien. Doch ist die Debatte um das Leistungsschutzrecht ein Novum? Ein bisher unbeachteter und überraschend ähnlicher Gesetzentwurf aus den 1920er Jahren hilft, die Auseinandersetzungen um den Schutz journalistischer Inhalte besser zu verstehen.

Neue Konkurrenz

Mit der Markteinführung des Radios war es damals möglich geworden, per Radio verbreitete Nachrichten einfach mitzuhören und abzuschreiben - für die Nachrichtenagenturen eine Bedrohung ihres Geschäftsmodelles. Sie fürchteten "Nachrichtendiebstahl" durch "hinterlistige" Konkurrenten, die die "Früchte unserer Arbeit" ausbeuten könnten, wie es der Geschäftsführer der Associated Press, Kent Cooper, formulierte. Diskutiert wurde, ob das Abschreiben von Inhalten mit dem Diebstahl eines materiellen Objektes vergleichbar sei. So entstand die Forderung nach einem rechtlich geregelten Nachrichtenschutz.

Die Rhetorik aus den 1920er Jahren ähnelt auf erstaunliche Weise den Vorwürfen, die die Verlage heute gegen Google erheben. So hieß es zu Beginn der aktuellen Diskussion, "Internetpiraten" betrieben eine "schleichende Enteignung" der Presse. Im Jahr 2013 verglich Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, den Suchmaschinenanbieter mit einer "Hehlerbande" und Googles Geschäftsmodell mit "Ladendiebstahl". Daher sei ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage notwendig.

Gleichermaßen schwierig gestaltete es sich jedoch in beiden Fällen, die "unentgeltliche Ausnutzung" empirisch nachzuweisen. Das "Raubrittertum im Internet" ist heute ebenso unbelegt wie die damalige Feststellung, der Nachrichtendiebstahl sei um 1920 auf ein "zuvor unvorstellbares Volumen" angewachsen, wie der Ministerialrat im Reichsinnenministerium, Kurt Häntzschel, sagte.

Strategische Maßnahmen

Die Idee des Nachrichtenschutzes blieb damals dennoch auf der Tagesordnung. Zum Ort der Verhandlung wurde die Pressesachverständigenkonferenz des Völkerbundes (PDF) im August 1927 in Genf. Dort kamen internationale Vertreter aus Politik und Presse zusammen, um medienpolitische Richtungsentscheidungen zu treffen. Eine führende Rolle kam der größten privatwirtschaftlichen (jedoch offiziösen) Nachrichtenagentur Deutschlands, Wolff's Telegraphisches Bureau, zu. Ihr Direktor Heinrich Mantler vertrat die Meinung, der Nachrichtenschutz sei "einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Punkt, auf der Tagesordnung". Seine Aussage erinnert frappierend an die Einordnung deutscher Pressemanager, die das Leistungsschutzrecht als "die wichtigste medienpolitische Initiative seit Jahrzehnten" (Bodo Hombach, Geschäftsführer WAZ-Mediengruppe) und als "in seiner strategischen Bedeutung kaum zu überschätzen" (Döpfner) bezeichneten.

Wolff's Telegraphisches Bureau verfolgte ähnliche Interessen wie die deutschen Regierungsvertreter, die die Weimarer Republik auf internationaler Ebene als Pionier in der Gesetzgebung profilieren wollten. Ähnlich produktiv gestaltete sich das Zusammenspiel zwischen Verlagen und (nationaler) Politik im Falle des Leistungsschutzrechtes. Erstere, allen voran der größte europäische Verlag Axel Springer, entwickelten die Regulierungsidee und unterbreiteten sie zentralen Persönlichkeiten wie dem damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), der anschließend forderte, die verlegerische "Rechtsposition angemessen zu schützen". Kritische Stimmen waren Mitte 2009 noch nicht zu vernehmen - möglicherweise auch, da der Meinungsbildungsprozess der Parteien mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009 zusammenfiel. Im Resultat fand die Forderung der Presseverlage Eingang in den Koalitionsvertrag aus dem Oktober 2009, der die Umsetzung des Gesetzes festschrieb.

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Genese der Gesetzentwürfe 
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GodsBoss 07. Jul 2014

Diese Behauptung konnte ich auch schon in einer Diskussion zu einem anderen Golem.de...

mnementh 07. Jul 2014

Auch bei den DPA-Artikeln werden üblicherweise drei Wörter umgestellt oder noch zwei...

spagetti_code 04. Jul 2014

Google hat da genug Ansatzpunkte: 1. Listung bei Google News nur gegen einer variablen...

Gamma Ray Burst 03. Jul 2014

Sehr Schoen. Wird wahrscheinlich von einer Besitzstandswahrer Generation an die nächste...



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