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Langer Marsch: Chinas neue Raumfahrt

Am Samstag hat China eine neue Rakete gezeigt, einen neuen Weltraumbahnhof - und eine neue Offenheit.
/ Frank Wunderlich-Pfeiffer
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Start der neuen Rakete Langer Marsch 7 (Bild: Xinhua)
Start der neuen Rakete Langer Marsch 7 Bild: Xinhua

Mit dem Start der neuen chinesischen Trägerrakete Langer Marsch 7 beginnt in China ein neues Kapitel in der Raumfahrt. Der Start vom neuen Raketenstartplatz Wenchang wurde live im chinesischen Staatsfernsehen übertragen, ein bisher sehr seltenes Ereignis. Zum ersten Mal flog damit auch eine chinesische Trägerrakete nach dem Start über das Meer und nicht über Land. Es ist eine mittelgroße Rakete mit einer Nutzlast von bis zu 13,5 Tonnen in niedrige Orbits, sie soll schrittweise die älteren Raketen vom Typ Langer Marsch 2, 3 und 4 ersetzen. Für China ist das der Anfang der Lösung der alten Probleme, die die chinesische Raumfahrt noch einige Zeit begleiten werden.

Auf dem Jungfernflug trug die Rakete eine Testkapsel für ein neues chinesisches Raumschiff und ein Experiment zum Treibstofftransfer in der Schwerelosigkeit in den Orbit. Nach der Entwicklungsphase wird die Langer Marsch 7 vor allem Frachter zur neuen chinesischen Raumstation Tiangong-2 bringen. Später soll sie auch für Flüge mit Besatzung qualifiziert werden. Eine Schwerlastrakete ist auch schon in Planung. In der verworrenen chinesischen Typenbezeichnung ist das die Langer Marsch 5. Die viel kleinere Langer Marsch 6 hatte ihren Jungfernflug schon im vergangenen Jahr.

Abstürzende Raketenteile

Der größte Makel der chinesischen Raumfahrt sind über Land herabstürzende Raketenteile mit Resten giftiger Treibstoffe. Auch wenn die drei alten Startplätze Jiuquan, Taiyuan und Xichang in relativ dünn besiedelten Gegenden stehen, fallen die Teile dennoch immer wieder in unmittelbarer Nähe menschlicher Siedlungen herab. Um dieses Problem zu lösen, sollen insbesondere die Starts von Xichang vollständig nach Wenchang verlagert werden.

Der Startplatz von Xichang war der neueste und wurde 1984 in der Provinz Sichuan eröffnet. Nachdem sich China mit der Sowjetunion zerstritten und verfeindet hatte(öffnet im neuen Fenster) , sollte der nächste Startplatz möglichst weit im Süden gebaut werden, geschützt vor direkten militärischen Angriffen der Sowjetunion und auch für Raketenstarts günstiger gelegen.

In Xichang starben 1995 und 1996 jeweils mehrere Einwohner durch Raketenabstürze nach Fehlfunktionen. Darunter auch der Start von Intelsat 708(öffnet im neuen Fenster) , bei dem westliche Beobachter anwesend waren. Die Rakete stürzte auf ein nur 1,2 Kilometer entferntes Dorf, das aber vor dem Start geräumt wurde. Behauptungen, dass in dem Dorf mehrere Hundert Einwohner getötet worden seien, konnten widerlegt werden(öffnet im neuen Fenster) . Offiziell werden 6 Tote und 59 Verletzte angegeben.

Startplätze sollten vor allem aus militärischen Erwägungen nicht an der Küste gebaut werden. Ausländische Mächte sollten auf keinen Fall Zugriff auf sie haben und die Küste gilt als für jeden zugängliche Grenze als militärisch besonders verwundbar. Erst als die Kritik endgültig zu groß wurde, beschloss die Regierung im Jahr 2009 den Bau von Wenchang.

Weniger giftige Treibstoffe

Mit einer neuen Generation von Raketen wird auch das Problem der giftigen Treibstoffe weitgehend gelöst. Die Treibstoffe der alten Langer-Marsch-Raketen (2,3 und 4) sind unsymmetrisches Dimethylhydrazin und Distickstofftetroxid. Es sind militärische Raketentreibstoffe, die einfache und zuverlässige Triebwerke ermöglichen und bisher in jedem größeren Raumfahrtprogramm im großen Stil Verwendung fanden. Sie sind in einem großen Temperaturbereich flüssig und so können mit ihnen Raketen über lange Zeit aufgetankt und startbereit gehalten werden, außerdem entzünden sie sich beim bloßen Kontakt von allein. Aber die Dämpfe der Treibstoffe sind beim Einatmen stark giftig und Reste von Dimethylhydrazin bilden an der Luft teilweise krebserregende Reaktionsprodukte.

Die neuen Raketen Langer Marsch 5, 6 und 7 verwenden stattdessen Kerosin und flüssigen Sauerstoff als Treibstoff, eine wesentlich umweltfreundlichere und leistungsfähigere Kombination. Die YF-100-(öffnet im neuen Fenster) und YF-115-(öffnet im neuen Fenster) Triebwerke dieser Raketen sind eine Weiterentwicklung von russischen RD-120(öffnet im neuen Fenster) -Triebwerken, die am Anfang der 1990er Jahre nach China gelangten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Abgase vom Betrieb der Treibstoffpumpen in die Brennkammer des Triebwerks leiten und dort mit verbrennen. Der Bau solcher Triebwerke galt im Westen als unmöglich, bis die russischen Triebwerke am Ende des Kalten Krieges das Gegenteil bewiesen.

Die Treibstoffpumpen werden mit Turbinen betrieben, wie der Turbolader eines Autos. Das nötige Abgas zum Betrieb der Turbine entsteht durch die Verbrennung von Kerosin und Sauerstoff. In einer optimalen Mischung würden die extremen Temperaturen aber die Turbine zerstören. Stattdessen wird eine große Menge Kerosin oder flüssiger Sauerstoff zusätzlich zur Kühlung zugesetzt. Wenn Kerosin zur Kühlung zugesetzt wird, entsteht Ruß, der die feinen Kühlkanäle und Einspritzdüsen eines Raketentriebwerks verstopfen würde. Es muss dann direkt durch den Auspuff ausgeleitet werden, wie es etwa die Merlin-Triebwerke der Falcon 9 tun. Wenn Sauerstoff zur Kühlung zugesetzt wird, entsteht ein heißes und extrem korrosives Abgas, das alle metallischen Treibstoffleitungen zerstören würde. In der Sowjetunion wurde dieses Problem aber schon in den 60er Jahren gelöst.

Besser als Feststoffbooster

Das Resultat sind Raketenstufen und Booster, die Feststoffboostern weit überlegen sind. Die Triebwerke können mit der gleichen Treibstoffmenge etwa 20 Prozent höhere Geschwindigkeiten erreichen. Gleichzeitig haben sie weniger als die Hälfte des typischen Leergewichts eines Feststoffboosters, wodurch der Vorteil noch größer wird. Außerdem sind die Abgase aus Kohlendioxid und Wasser wesentlich besser verträglich als der Feststoffbooster. Der feste Treibstoff besteht größtenteils aus Ammoniumperchlorat, weshalb etwa ein Fünftel des Abgases von Feststoffboostern aus Salzsäure besteht.

Die schlechtere Leistung der Feststoffbooster muss durch mehr Masse und effizientere Wasserstofftriebwerke in den Raketenstufen ausgeglichen werden. Die Feststoffbooster sollen durch ihren einfachen Aufbau Kosten sparen. Tatsächlich machen sie aber eine komplexere Technik in der ersten Stufe nötig, wo in China die gleiche Technik wie in den Seitenboostern zum Einsatz kommt. SpaceX geht sogar noch weiter und benutzt auch in der zweiten Stufe das gleiche Triebwerk(öffnet im neuen Fenster) wie in der ersten, wo in China ein spezialisiertes, kleineres, Triebwerk zum Einsatz kommt(öffnet im neuen Fenster) .

Mit der Modernisierung der chinesischen Trägerraketen und Startplätze geht auch ein ambitioniertes Raumfahrtprogramm einher. Noch in diesem Jahr soll die zweite Raumstation Tiangong 2 (Himmelspalast 2) gestartet werden. Es ist der Vorläufer für Tiangong 3, der die dafür nötigen Techniken testen soll. Nachdem die Chinesen auf Betreiben der Amerikaner von der Internationalen Raumstation ausgeschlossen wurden, soll im Jahr 2020 die neue chinesische Raumstation Tiangong 3 für die gesamte Welt geöffnet sein. Sie wird modular aufgebaut sein und weitgehend der alten Raumstation Mir(öffnet im neuen Fenster) ähneln.

Bis zum Mond und wie weiter?

Die erste Mission für die Schwerlastrakete Langer Marsch 5 soll der Start der Mondmission Chang'e 5 im Jahr 2017 sein. Es soll die erste Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes werden. Die Sonde soll Bodenproben nehmen, die mit einer kleinen Rakete in den Mondorbit gebracht werden. Dort wird sie sich mit dem Mondorbiter von Chang'e 5 treffen, der die Proben zurück zur Erde bringt. Das Ziel des Programms ist die Landung einer chinesischen Besatzung auf dem Mond.

Die neue chinesische Raumfahrt positioniert sich damit klar als Gegengewicht zum staatlichen US-Raumfahrtprogramm. Sie erweckt dabei auch den Eindruck, sowohl technisch als auch organisatorisch besser aufgestellt zu sein. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das Programm ein höheres Ziel hat, das über den Gewinn an Anerkennung und Prestige hinausgeht. Vieles daran erinnert an die Reisen der chinesischen Schatzflotte unter Zheng He, einige Jahrzehnte, nachdem die Mongolen aus China vertrieben und das Land unter der Ming-Dynastie neu aufgebaut worden war. In ihrem Verlauf zollten Könige und Staatsoberhäupter dem chinesischen Kaiser Tribut und erkannten das Land an, bis die Reisen der Schatzflotte eingestellt und jede Seefahrt verboten wurde.


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