Kryptografie: Forscher entschlüsseln Maria Stuarts verschwundene Briefe
Digitale Archive, Computer, Ausdauer und ein wenig Glück: Kommt alles zusammen, erfahren wir Neues zur Gefangenschaft der Königin der Schotten - Spione inklusive.

In historischen Archiven schlummern noch immer bergeweise verschlüsselte Dokumente, oft ist nicht einmal bekannt, wer sie an wen schrieb. Gelegentlich gelingt es, einer größeren Menge an Dokumenten ihre Geheimnisse zu entlocken – und damit unser Bild der Geschichte zu verfeinern. Drei Forscher, ein Informatiker, ein Musikwissenschaftler und ein Physiker, fanden rund 50 Briefe von Maria Stuart, die zuvor als verschollen galten. Auch sie waren verschlüsselt.
Angesichts der Machtkämpfe vergangener Jahrhunderte nutzten viele hochrangige Personen Verschlüsselungssysteme – üblicherweise Eigenentwicklungen. Für Maria Stuart war die Verschlüsselung während ihrer 18 Jahre dauernden Gefangenschaft besonders wichtig, um weiter vertraulich mit Alliierten kommunizieren zu können. Gängig war die Verwendung sogenannter Homophone, das sind Zeichen, welche die Buchstaben des Alphabets ersetzen. Der Schlüssel besteht dann im korrekten homophonen Alphabet. Maria Stuart verwendete für unterschiedliche Empfänger verschiedene Alphabete.
Die unterschiedlichen Alphabete stellten die Forscher vor eine zusätzliche Herausforderung: Gelegentlich tauchen falsche, oft nicht zum Alphabet gehörende Symbole auf. Die Hypothese der Forscher lautet, wie sie im Magazin Cryptologia schreiben, dass der Sekretär, der die Verschlüsselung übernahm, beim Übertragen mehrerer Briefe an verschiedene Empfänger mit den unterschiedlichen Alphabeten durcheinanderkam.
Computer erleichtern die Arbeit
Die drei beteiligten Forscher sind Teil des Projekts Decrypt, in dem interdisziplinäre Teams an der Entschlüsselung historischer Dokumente arbeiten. Bei der Entschlüsselung der in der Bibliothèque nationale de France in einem digitalisierten Archiv entdeckten Texte spielten Computer eine zentrale Rolle.
Im oben verlinkten Artikel beschreiben die Forscher, wie sie mittels Optimierung die Schlüsselalphabete bestimmten: Anhand statistischer Analysen zur Häufigkeit bestimmter Buchstabengruppen wählten sie zufällig ein möglichst vielversprechendes Ausgangsalphabet. Dieses wird dann schrittweise leicht verändert und anhand einer Bewertungsfunktion bestimmt, ob es besser ist als das zuvor gewählte Alphabet. Die Auswahl des nächsten Kandidaten übernimmt ein Optimierungsalgorithmus namens Simulated Annealing, der auch etwa Komponenten beim Chipdesign platziert. Mit vielen Versuchen gelangt der Algorithmus zu einem möglichst guten Ergebnis.
Während die Entschlüsselung großenteils mit Hilfe von Computern erfolgt, leisten Historiker wichtige Vor- und Unterstützungsarbeit: Sie spüren Texte in Archiven auf und ordnen sie historisch ein. So findet sich gelegentlich Klartext, eine Rückübersetzung des verschlüsselten Textes, der die Arbeit deutlich erleichtert. Auch der zeitliche Rahmen, in dem Briefe geschrieben wurden, ist wichtig: Es war durchaus üblich, etwa für wichtige Personen eigene Symbole zu verwenden, was den Computer vor Probleme stellt.
Ein Spion half bei der Entschlüsselung
Auch bei der Entschlüsselung der verschollen geglaubten Briefe Maria Stuarts halfen Klartext-Dokumente. Die fanden sich allerdings in den British Archives. Dorthin gelangten sie, da Francis Walsingham, Sekretär von und Spion für Marias Tante zweiten Grades Elizabeth I., sie zugespielt bekam. Walsingham erhielt sie von einem Agenten in der französischen Botschaft in Großbritannien, an deren Leiter Michel de Castelnau die neu entdeckten Briefe gerichtet waren.
Frankreich zählte zu den Verbündeten Maria Stuarts, da sie bis zu dessen frühem Tod mit Franz II., für ein Jahr König von Frankreich, verheiratet war. Die Forscher schreiben, die jetzt entdeckten Briefe offenbarten bislang unbekannte Details zur Gefangenschaft Maria Stuarts. Was sie dem französischen Botschafter Castelnau in ihren Briefen schrieb, schreiben sie dort allerdings nicht.
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