Krypto-Krise: Das steckt hinter dem jüngsten Bitcoin-Crash

Der Höhenflug von Bitcoin ist vorerst vorbei. Am 5. Mai 2022 stürzte der Kurs der größten Kryptowährung binnen weniger Stunden von fast 40.000 US-Dollar um mehr als 10 Prozent ab. Der Abwärtstrend setzte sich einige Tage fort, am 12. Mai wurde mit 26.350,49 US-Dollar der tiefste Stand seit 2020 verzeichnet. Die Kryptowährung ist mal wieder gecrasht.
Heute pendelt der Kurs um die Marke von 30.000 US-Dollar, der mehr als doppelt so hohe Allzeit-Spitzenwert aus dem November 2021 liegt in weiter Ferne. Trotz einer Stabilisierung betrifft diese Entwicklung sämtliche Kryptowährungen. Doch auch wenn der Kryptomarkt schon einige Hochs und Tiefs erlebt hat, haben sich die Grundvoraussetzungen geändert.
Das sagt zumindest Stefan Lübeck. Er ist Analyst beim Krypto-Magazin BTC-ECHO(öffnet im neuen Fenster) , selbst seit Jahren Anleger und beobachtet den Markt. Der aktuelle Abschwung werde schneller wieder vorbei sein als die Crashes der Jahre 2017 oder 2020, prognostiziert er - weil sich der Markt für Kryptowährungen verändert habe. Da sei "jetzt einfach eine andere Dynamik drin" als noch vor wenigen Jahren, meint Lübeck.
So kam es zum letzten Krypto-Crash
Obwohl Bitcoin und andere Kryptowährungen von Ethereum bis Dogecoin, sogenannte Altcoins, sich für ihre Dezentralität rühmen, heißt das nicht, dass sie unabhängig von den Schwankungen anderer Märkte sind. "Sobald Bitcoin in die Knie geht, wie man es in den letzten Wochen gesehen hat, betrifft das die Altcoins noch stärker als Bitcoin selbst" , sagt Stefan Lübeck. "Wenn BTC um 50 Prozent fällt, fallen Altcoins um 80 Prozent."
Aber Kryptowährungen beeinflussen sich nicht nur gegenseitig, sondern hängen mittlerweile immer stärker an den klassischen Finanzmärkten. Wer sich die Entwicklung der Börsenkurse anschaut, erkennt Parallelen. Der US-Technologieindex Nasdaq sackte im letzten Monat um mehr als 12 Prozent ab, der Dow Jones um 8 Prozent. Auch Dax und Tecdax knickten Anfang Mai um mehrere Prozent ein, erholten sich mittlerweile aber wieder.
Dass Bitcoin und Co. solchen Trends folgen, liegt daran, dass dieselben Anleger dahinterstecken. Kryptowährungen sind für viele neben Aktien lediglich eine weitere Investition im Portfolio. Das war nicht immer so. Als viele Aktienbesitzer im Februar und März 2020 aus Angst vor der beginnenden Coronapandemie Anteile abstießen, blieben die Kurse von Bitcoin und Ethereum vergleichsweise stabil.
Bei Großanlegern liegen die Kryptowährungen neben anderen Technologieaktien und werden zusammen mit ihnen verkauft. "Automatisierte Computerprogramme sorgen dafür, dass bestehende Trends verstärkt werden" , erklärt Stefan Lübeck. Gerade im technologieaffinen Geschäft rund um Kryptowährungen sei der algorithmische Handel verbreitet, entsprechend schnell seien die Entwicklungen. Laut US-Börsenangaben handeln 60 bis 73 Prozent der Anleger in den USA(öffnet im neuen Fenster) mithilfe solcher Algorithmen.
Kommt jetzt der lange Krypto-Winter?
"Viele Leute sprechen davon, dass es jetzt einen Krypto-Winter gibt" , sagt Lübeck. Mit dem Begriff wird eine längere Phase bezeichnet, in der die Kurse absacken, ohne sich deutlich zu erholen. Bereits zum Jahresanfang prophezeiten dies einige Analysten(öffnet im neuen Fenster) . Schon damals ging es vom Allzeithoch im November 2021 - noch langsam - abwärts. Lübeck selbst denkt allerdings, dass der Abschwung schneller wieder vorbei sein wird als bei den letzten Crashes.
Ähnlich sieht es der Deutschland-CEO der Kryptobörse Coinbase, Sascha Rangoonwala. In einem Interview mit dem Magazin t3n(öffnet im neuen Fenster) sagte er im Mai 2022, dass die aktuelle Situation nicht mit den vergangenen Kurseinbrüchen vergleichbar sei. "Im Vergleich zur Situation im Jahr 2020 haben wir jetzt schon eine sehr viel reifere Industrie, viel mehr Kunden und Liquidität, die auch von institutionellen Playern kommt" , sagte er.
Diese institutionellen Großanleger bestimmen den Markt mittlerweile. Selbst nach dem Crash werden heute noch immer Bitcoin im Gegenwert von weit über 500 Milliarden US-Dollar gehandelt, die Marktkapitalisierung der zweitgrößten Kryptowährung Ethereum liegt bei über 200 Milliarden US-Dollar. Auch aus Lübecks Sicht sind die institutionellen Anleger "elementar wichtig" geworden, weil über sie "das große Geld in den Markt kommt" .
Für Großanleger, die ohnehin längerfristig planen, ist der Kurscrash kein Problem, aber "man sieht in den letzten Wochen, dass nicht wenige kleinere Anleger ein Stück weit kapituliert haben" . Wer sein Erspartes in Bitcoin, Ethereum oder kleinere Altcoins investiert hat, kann nicht entspannt auf das nächste Hoch warten.
Der Crash hat Existenzen zerstört
Nach dem Kurseinbruch im Mai 2022 sind 40 Prozent der Bitcoin-Anleger erst einmal unter Wasser, wie es im Börsenjargon heißt, sitzen also auf Kryptowährungsbeständen, die weniger wert sind, als sie beim Kauf gekostet haben. "Sämtliche Anleger der letzten anderthalb Jahre sind aktuell mit ihrer Position im Minus" , schätzt Lübeck.
Der Fear and Greed Index(öffnet im neuen Fenster) erfasst die Stimmung der Märkte und ob sie von Vorsicht und Angst oder Gier nach höheren Gewinnen und steigenden Kursen geprägt ist. Momentan herrscht demzufolge "extreme Angst" . "Das ist ein psychologisches Spiel" , glaubt Lübeck. Noch im April gab es eine Phase der Gier, angetrieben von dem nicht lange zurückliegenden Allzeithoch sowie den verlockend niedrigeren Kursen zum Einkauf.
Laut einer Umfrage unter Kryptowährungsanlegern haben 55 Prozent erst im Laufe des Jahres 2021 mit dem Handel begonnen, berichtet Bloomberg(öffnet im neuen Fenster) . Im November 2021 erreichten Kryptowährungen neue Höchstwerte und ließen die Investition in sie umso verlockender wirken. Der Bitcoin-Kurs war Ende 2021 ein Bullenmarkt(öffnet im neuen Fenster) und ließ manche Analysten bereits von Kursen von 250.000 oder 500.000 US-Dollar träumen.
Der folgende Crash hat vor allem private Anleger hart getroffen. Im Subreddit der völlig untergegangenen Kryptowährung Terra sprechen manche Mitglieder von Suizidgedanken, weil sie ihr gesamtes Erspartes verloren haben. Auf Twitter wurden unter den Hashtags der Kryptowährungen Links zu Hilfsangeboten geteilt. Besonders in Südkorea stehen Kleinanleger vor dem finanziellen Ruin.
Stablecoins in der Krise
Solche dramatischen Berichte kommen im Mai 2022 vor allem von Anlegern von Terra, einem sogenannten Stablecoin. Diese besondere Art von Kryptowährungen setzt, wie der Name schon verrät, auf einen stabilen Kurs. Während starke Kursschwankungen zu den meisten Kryptowährungen dazugehören, orientieren sich Stablecoins am US-Dollar.
Stablecoins wie USD Coin oder Tether konnten diesen Wert auch durch die Krise in etwa halten oder sich zumindest halbwegs schnell wieder stabilisieren. Terra hingegen verlor 99 Prozent seines Wertes, bevor der Betreiber seine Blockchain und damit den Handel anhielt. Das vermeintlich stabile System aus zwei Kryptowährungen, Terra und Luna, konnte den Panikverkäufen nicht standhalten.
Ausgerechnet ein Stablecoin wurde so zur instabilsten Kryptowährung. Dieses Desaster kann noch größere Folgen für das ganze Ökosystem haben: In Südkorea, wo besonders viele Kleinanleger betroffen sind, wird bereits über eine stärkere Regulierung des Marktes nachgedacht(öffnet im neuen Fenster) . Auch eine Sammelklage gegen Terra-Mitgründer Do Kwon(öffnet im neuen Fenster) wird bereits angestrebt - von einer Gruppe aus 1.700 Betroffenen.
Aus dem Keller ins eigene Kohlekraftwerk
Bestrebungen zur Regulierung von Kryptowährungen gibt es weltweit. Die EU sorgt sich vor allem über kriminelle Aktivitäten , in China hingegen ist das energieintensive Mining zum Problem geworden . Selbst komplette Verbote werden immer wieder diskutiert .
"Die Dezentralität bleibt natürlich bestehen" , sagt Lübeck über eine der Grundideen hinter den Blockchain-Transaktionen. Sie wird allerdings aufgeweicht - nicht durch den Einfluss von Staaten, sondern durch große Kapitalgeber. Insbesondere das Mining, also der Prozess zum Generieren neuer Kryptowährungseinheiten, ist davon betroffen.
Konnten Bitcoin anfangs noch von Privatpersonen auf handelsüblichen Computern erzeugt werden, haben Firmen wie Riot Blockchain, Stronghold oder Marathon diesen Prozess mittlerweile professionalisiert. "Die kleinen Miner, wo Leute mit Grafikkarten im Keller versucht haben, Ethereum oder Bitcoin zu minen, werden mittlerweile von den Großen, die Abermillionen in die Hand nehmen, einfach verdrängt" , sagt Lübeck.
Durch den Einsatz massiver Rechenleistung sitzen diese Unternehmen wiederum auf großen Beständen der jeweiligen Kryptowährungen. Die teure Energie wird dabei teils selbst erzeugt. Das US-Unternehmen Stronghold etwa kaufte dafür ein eigenes Kohlekraftwerk.
"Der Markt wird sich stark konsolidieren"
Auch hier steigen die großen Investoren ein und sitzen damit am Beginn der Bitcoin-Wertschöpfungskette: Blackrock investiert fast 400 Millionen US-Dollar(öffnet im neuen Fenster) in das Mining-Unternehmen Marathon. Das wird die Machtverhältnisse in Zukunft immer weiter weg von kleinen Minern und Anlegern verschieben. Laut einer Studie aus dem Jahr 2021(öffnet im neuen Fenster) hielten 0,01 Prozent der Anleger fast ein Drittel aller Bitcoin.
Das Ende der Kryptowährungen dürfte auch der aktuelle Crash nicht sein, selbst wenn einzelne wie Terra sich wohl (selbst mit einem eilig gestarteten Nachfolger(öffnet im neuen Fenster) ) nicht vom Wert- und Vertrauensverlust werden erholen können. Für den Anleger Stefan Lübeck ist das Teil des Erwachsenwerdens des Marktes: "Wenn wir davon reden, dass es aktuell ungefähr 19.000 Kryptowährungen gibt, dann wäre es schon verwunderlich, wenn im Endeffekt perspektivisch mehr als 1.000 Kryptowährungen übrigbleiben" , sagt der Experte.
Bei dem jüngsten Crash ist deutlich geworden, dass der Handel mit Kryptowährungen sich immer mehr an die klassischen Märkte annähert, schlichtweg, weil das Geld von denselben Anlegern kommt. Bitcoin mag als dezentrale Graswurzel-Idee gestartet sein - mittlerweile ist es im Big Business angekommen.



