Kosmologie: Die Raumzeit ist kein Gummituch!
Warum das beliebte Modell von den Kugeln im Gummituch in die Irre führt - und wie man es retten kann.

Das erste Foto eines schwarzen Lochs erregte im Jahr 2019 großes Aufsehen. Zwei Jahre zuvor war der Physik-Nobelpreis für die Entdeckung der Gravitationswellen an Rainer Weiss, Barry C. Barish und Kip S. Thorne verliehen worden.
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In beiden Fällen handelt es sich um die experimentelle Bestätigung von Phänomenen, die vor über 100 Jahren von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt wurden. Albert Einsteins großes Werk ist also auch heute hochgradig aktuell - und geradezu der Inbegriff für schwer verständliche Physik. Um solch komplexe Themen einem breiten Publikum verständlich zu machen, bedienen sich Wissenschaftler und Journalisten zu Recht einfacher Analogien und Modellvorstellungen.
Im Falle der allgemeinen Relativitätstheorie wird die Wirkung der Gravitation häufig mit Hilfe zweier Kugeln in einem elastischen Tuch veranschaulicht, wobei die schwerere das Tuch durch ihr Eigengewicht dehnt und die leichtere in einer gekrümmten Bahn um die schwere herum rollt (siehe Bild 1). Dieses Modell hat leider nur wenig mit den eigentlichen Ideen hinter Einsteins berühmter Theorie zu tun. Durch eine leichte Anpassung kann man es aber doch noch retten.
Die Raumzeit wird entdeckt
Um den Kontext zu setzen, begeben wir uns gedanklich an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Einige Jahrzehnte zuvor hat James Clerk Maxwell mit den nach ihm benannten Gleichungen eine Theorie der Elektrodynamik aufgestellt und damit erklärt, wie elektrische Ladungen, Ströme sowie elektrische und magnetische Felder wechselwirken.
Insbesondere beschreiben seine Gleichungen die Ausbreitungen von elektromagnetischer Strahlung wie Licht oder Radiowellen. Ein nagendes Problem für die Physiker bleibt jedoch die Beobachtung, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Wellen - also die Lichtgeschwindigkeit - in Experimenten stets unabhängig davon war, wie sich Lichtquelle und Beobachter bewegten.
Dies ist mit Maxwells Theorie alleine nicht zu erklären und widerspricht auch unserer Alltagserfahrung: Wenn wir am Bahnhof einem abfahrenden Zug hinterher rennen, ist dessen Geschwindigkeit relativ zu unserer sehr wohl kleiner, als wenn wir stehen bleiben.
Albert Einstein löste dieses Problem, als er im Jahre 1905 seine spezielle Relativitätstheorie (Originalzeitschrift: Annalen der Physik, mit Paywall: alternativ ohne Paywall als PDF) veröffentlichte. Er führte darin Raum und Zeit effektiv zu einer Raumzeit zusammen und beschrieb, wie sich die Raum- und die Zeitkoordinaten von relativ zueinander bewegten Beobachtern unterscheiden.
Der Begriff der Raumzeit rührt daher, dass Raum und Zeit zu einem gewissen Grad ihre Rollen vertauschen können - ähnlich wie sich die Begriffe vorne, hinten, rechts und links für einen Beobachter subjektiv ineinander umwandeln, wenn er sich im Raum dreht. Unter einer Beschleunigung kann man also eine Art Drehung in der Raumzeit verstehen, bei der sich Raum- und Zeitkoordinaten vermischen.
Warum der Apfel vom Baum fällt
Offen blieb in der speziellen Relativitätstheorie jedoch, wie sich die Gravitation in dieses neue Bild von Raum und Zeit einfügen ließe. Gemäß der Newtonschen Gesetze ist die Schwerkraft proportional zur Größe zweier Massen und fällt quadratisch mit dem Abstand zwischen ihnen ab. Allerdings ist laut Einstein gerade dieser Abstand nicht eindeutig bestimmbar: Verschiedene Beobachter, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, messen auch unterschiedliche Abstände.
Zudem wirkt die Gravitation in Newtons Theorie ohne Zeitverzug: Sobald sich eine Masse bewegt, fühlen sich alle anderen Massen sofort zu ihrer neuen Position hingezogen. Auch dies ist aber nach Einsteins Theorie verboten, da sich keine physikalische Wirkung schneller als die Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann.
Einstein selbst fand die geniale Lösung zu diesem Problem: In seiner allgemeinen Relativitätstheorie schaffte er die Newtonsche Gravitationskraft komplett ab und ersetzte sie durch die Fähigkeit der Raumzeit, sich zu verformen. Zentral sind dabei die folgenden Vorgänge:
1. Massen und Energien krümmen die Raumzeit in ihrer direkten Nachbarschaft.
2. Die Raumzeit selbst ist gewissermaßen elastisch und lokale Verformungen breiten sich daher mit Lichtgeschwindigkeit aus (was zu den im Jahr 2015 erstmals beobachteten Gravitationswellen führt).
3. Lichtstrahlen und Objekte, auf die keine Kräfte einwirken, bewegen sich auf sogenannten Geodäten (sprich: so gerade wie möglich) durch die gekrümmte Raumzeit.
Leider sind unsere Gehirne nicht gut dafür ausgestattet, sich eine vierdimensionale Raumzeit vorzustellen - und erst recht keine gekrümmte. Auch die Mathematik, mit der man all diese Mechanismen präzise berechnen kann, ist nicht unbedingt für ihre Einfachheit bekannt.
Andererseits ist zumindest eine grobe Vorstellung von den Grundideen der allgemeinen Relativitätstheorie nötig, um über Phänomene wie schwarze Löcher, Gravitationswellen oder kosmische Hintergrundstrahlung sprechen zu können. Und so begann der Aufstieg des Gummituch-Modells.
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Ein Gummituch macht Karriere |
... hat zum Problem der wissenschaftlichen Vereinfachung ein sehr schönes Video gemacht...
Lieber Helmut, danke für Deine Mühe, diesen Artikel zu schreiben. Er liest sich schön und...
Diese Frage wird nicht beantwortet. Die Physik beschränkt sich darauf, gewisse...
Das Video stellt den Sachverhalt sehr gut dar. Vielen Dank für den Link.