Krümmung ist nicht gleich Krümmung
Im Deutschunterricht haben wir gelernt, dass ein Roman eine innere und eine äußere Handlung hat. Nicht ganz unähnlich dazu gibt es in der Mathematik eine innere und eine äußere Krümmung.
Von äußerer Krümmung spricht man, wenn ein Objekt in einen höherdimensionalen Raum eingebettet ist, aber darin nicht entlang gerader Linien verläuft - wenn man also die Krümmung sozusagen von außen sieht.
Innere Krümmung bedeutet vereinfacht gesagt, dass in einem Raum unsere Schulgeometrie nicht gilt: Dreiecke haben dort nicht immer eine Winkelsumme von 180 Grad, der Satz des Pythagoras ist aufgehoben und so weiter.
Willkommen in Flachland!
Ein Beispiel kann helfen, die beiden Krümmungsbegriffe besser zu verstehen: Wir beginnen mit einem leeren Blatt Papier, welches flach auf dem Schreibtisch liegt und daher weder eine innere noch eine äußere Krümmung aufweist.
Auf das Papier zeichnen wir einige Strichmännchen und nennen sie die "Flachländer". Wir stellen uns vor, dass diese Wesen in der zweidimensionalen Welt des Blattes leben, so dass all ihre Sinneswahrnehmungen, Bewegungen und Interaktionen entlang der Papierebene verlaufen.
Von einem dreidimensionalen Raum haben die Flachländer noch nie etwas gehört und sie haben auch keine Möglichkeit, ihn zu erkennen oder gar ihre flache Welt zu verlassen. Damit sich die Flachländer nicht langweilen, zeichnen wir noch einige Dreiecke auf das Blatt, an denen unsere zweidimensionalen Freunde Winkel- und Längenmessungen vornehmen können.
Nun rollen wir das Blatt zu einem Zylinder zusammen. Als Objekt im dreidimensionalen Raum ist das Blatt dann offensichtlich nicht mehr gerade - es besitzt also eine äußere Krümmung. Die Winkel und Seitenlängen der Dreiecke auf dem Blatt sind aber dieselben wie vor dem Zusammenrollen. Die Schulgeometrie gilt also noch und das Blatt weist daher keine innere Krümmung auf. Auch die Flachländer bemerken nicht, dass ihre Welt nun aufgerollt ist.
Anders sieht es bei der Oberfläche einer Kugel aus: Diese besitzt offensichtlich ebenfalls eine äußere Krümmung - aber im Gegensatz zum Papierzylinder weist sie auch eine innere Krümmung auf: Zeichnet man ein großes Dreieck auf einen Globus, so ist dessen Winkelsumme nicht mehr 180 Grad - die Schulgeometrie ist also verletzt! Auch die Flachländer könnten an solchen Dreiecken Messungen vornehmen und feststellen, dass ihre Welt gekrümmt ist.
Wenn in der allgemeinen Relativitätstheorie von "Krümmung der Raumzeit" die Rede ist, dann ist immer die innere Krümmung gemeint. Da die Raumzeit selbst schon vierdimensional ist (drei Raumdimensionen plus die Zeit), müsste ein umgebender Raum ja mindestens fünfdimensional sein. Und einen solchen Raum können wir genauso wenig beobachten wie die Flachländer über den Tellerrand ihrer zwei Dimensionen blicken können.
Gerade ist nicht gleich Gerade
In den Beispielen oben sind wir nonchalant über ein wichtiges Detail hinweg gegangen, nämlich über die Frage, was in einem gekrümmten Raum eigentlich unter einer geraden Linie zu verstehen ist. Die Flachländer auf dem Papierzylinder merken ja wie gesagt nichts von der äußeren Krümmung. Daher gibt es in ihrer zweidimensionalen Welt natürlich gerade Linien (zum Beispiel die Seiten der Dreiecke, die wir auf das Blatt gezeichnet haben). Nur sind diese Linien von außen (also aus dem dreidimensionalen Raum) betrachtet natürlich nicht mehr gerade - es sei denn, sie verlaufen zufällig parallel zur Achse des Zylinders.
In der Mathematik nennt man solche Linien "Geodäten": Wenn man selbst in einem gekrümmten Raum lebt, dann erscheinen sie als Geraden. Wenn allerdings der gekrümmte Raum in einen höherdimensionalen eingebettet ist, dann sind sie von außen betrachtet nur so gerade wie möglich. Wie oben schon kurz angedeutet, besagt die allgemeine Relativitätstheorie, dass sich Licht und freischwebende Objekte auf Geodäten durch die Raumzeit bewegen.
Wir können das Problem mit dem Gummituch-Modell jetzt also noch ein wenig mathematischer formulieren: Darin wird die Bahn der Murmeln von der lokalen Neigung des Gummituches und damit letztlich von dessen äußerer Krümmung beeinflusst. Worauf es in der Relativitätstheorie aber ankommt, ist die innere Krümmung!
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Ein Gummituch macht Karriere | Wie die Raumzeit doch zum Gummituch wird |
... hat zum Problem der wissenschaftlichen Vereinfachung ein sehr schönes Video gemacht...
Lieber Helmut, danke für Deine Mühe, diesen Artikel zu schreiben. Er liest sich schön und...
Diese Frage wird nicht beantwortet. Die Physik beschränkt sich darauf, gewisse...
Das Video stellt den Sachverhalt sehr gut dar. Vielen Dank für den Link.