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Koalitionsvertrag: CDU und SPD planen Fusionsreaktor und bemannte Mondmission

Innovation, Forschung oder zukünftige Energieversorgung erhalten viel Platz im Koalitionsvertrag. Zwischendurch hat aber der Übermut Einzug gehalten.
/ Mario Petzold
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Die Koalition hat sich viel vorgenommen. Manches davon bleibt hoffentlich Wunschdenken. (Bild: Reuters/A. Hilse, Pixabay/P. de Vink, Bearbeitung: Golem)
Die Koalition hat sich viel vorgenommen. Manches davon bleibt hoffentlich Wunschdenken. Bild: Reuters/A. Hilse, Pixabay/P. de Vink, Bearbeitung: Golem

Fefes Blog(öffnet im neuen Fenster) hat von einer Hightech-Agenda für Deutschland berichtet, von unbegrenzter Energie, unbegrenzter Mobilität und wenig gehaltvollen Zukunftsvisionen. Das alles soll detailliert im Koalitionsvertrag(öffnet im neuen Fenster) stehen, den wir uns mit Fokus auf Forschung und technische Entwicklung genauer angeschaut haben.

Und tatsächlich stolpern wir auf 146 Seiten Ausführungen immer wieder über Wünsche, die wie zufällig eingestreut wirken. Zwischen hehren Zielen wie besserer Präventionsmedizin und klimaneutraler Mobilität findet sich zum Beispiel dieser Satz: "Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen."

Nun wird hier weder von einem kommerziell nutzbaren noch von einem ausreichend großen Reaktor gesprochen, aber der Ton scheint gesetzt. Wobei diese mehr als verwegenen Wünsche im Koalitionsvertrag immer wieder auftauchen, vor und nach absolut nachvollziehbaren Forderungen, die aus Forschung und Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig zu hören waren.

Platz für Windräder und Stromgenossenschaften

Überraschend realistisch wirken die Einschätzungen und Pläne für die Energieproduktion. Die soll zum Beispiel möglichst dort stattfinden, wo der Strom auch verbraucht wird. Wo alte Windräder stehen, dürfen sie durch neue ersetzt werden, ohne übertriebene Prüf- und Genehmigungsverfahren.

Zudem gibt es den Wunsch, dass lokal Bürgerenergie produziert werden kann, auch als Stromgenossenschaften (g+) bekannt. Die unterschiedlichsten Formen erneuerbarer Energiequellen von Wind und Solar über Geothermie und Wasserstoffproduktion bis zur Abwasserwärme sollen Berücksichtigung finden.

Außerdem wird Batteriespeichern die Bedeutung zuerkannt, die ihnen gerecht wird. Ihnen wird ein überragendes öffentliches Interesse eingeräumt. Intelligente Systeme zum Zwei-Wege-Laden sollen heimische Speicher und die Batterien in Elektroautos ebenfalls in das Stromnetz einbeziehen können.

Nachvollziehbare Ideen

Das liest man so oder so ähnlich auch in diversen Studien zur Netzstabilität. Das Stichwort Überbauung fehlt ebenfalls nicht, womit dem Umstand Rechnung getragen wird, dass Solarzellen und Windkraftanlagen nie durchgehend aktiv sind. Dafür braucht es zwar ebenfalls leistungsstarke Batteriespeicher, spart aber erhebliche Kosten beim Netzausbau.

Dass der Strompreis dadurch um 5 Cent sinken könnte, klingt ebenfalls nicht wirklich utopisch, wenn man zum Beispiel Projekte für Solarstrom (4 bis 8 Cent pro Kilowattstunde) und neue Atomkraftwerke (10 bis 12 Cent) vergleicht. Auch auf Golem.de gibt es dazu eine Analyse. Insgesamt darf man die Vorhaben loben, da die einzelnen Maßnahmen sogar schlüssig wirken und ineinandergreifen.

Müssen sie allerdings auch, denn der Strombedarf in Deutschland wird massiv steigen: "Wir starten eine KI-Offensive mit einem 100.000-GPU-Programm (AI-Gigafactory)." So steht es wortwörtlich im Koalitionsvertrag.

Digitalisierung im Schnelldurchlauf

Das kann man schon machen. Elon Musk hat es im vergangenen Jahr umgesetzt, mindestens 400 Millionen Dollar investiert und genau so ein Rechenzentrum für künstliche Intelligenz aus dem Boden gestampft.

Aber ohne qualifiziertes Personal, ohne die nötigen Daten und ohne das entsprechende IT-Ökosystem wie in den USA erinnert das Vorhaben wieder einmal an den nächsten Bau auf der grünen Wiese, während die Infrastruktur drumherum nicht mitgedacht wurde.

Dazwischen fängt man sich innerhalb des Vertrages wieder. Da sollen private Investments in Start-ups staatlich abgesichert werden. Der Staat soll für neu entwickelte Produkte auch als Kunde bereitstehen. Das hilft bei der Standortsicherheit und der Planung für die Zukunft.

Auf ins Weltall

Sicherlich nicht verkehrt sind Forderungen, die europäische Weltraumagentur Esa mit mehr Geld und Personal zu unterstützen. Die Esa will zwar keine Menschen in den Orbit bringen, und auch die Kolonisierung des Sonnensystems steht nicht auf der Agenda.

Ein satellitengestützter Mobilfunk, hochpräzise Satellitennavigation oder die Überwachung des Wetters und die Dokumentation des Klimawandels gehören dafür zu den Kernkompetenzen der Agentur. Das klingt, als könne ein größerer Teil der Menschheit von solchen Projekten profitieren.

Leider wird schnell klar, warum die Esa so viel mehr Geld bekommen soll: "Wir streben an, dass eine deutsche Astronautin oder ein deutscher Astronaut im Rahmen einer internationalen Mission zum Mond fliegt."

Auch das kann man machen und sicherlich ist es besonders wichtig, dass bei einer baldigen Mondlandung auch jemand aus Deutschland aussteigt, im Sinne des Zusammenhalts natürlich mit einer Mutter aus Thüringen und dem Vater aus Hessen. Es muss ja nicht alles einen Nutzen für die Menschheit, das Klima und die Umwelt haben.

Mobilität im Übermorgen

Wie wir uns zukünftig fortbewegen, wird ebenfalls klar umrissen. Es geschieht elektrisch, auch wenn von alternativen Kraftstoffen und Biokraftstoffen kurz die Rede ist. Worte wie Verbrenner oder Verbrennungsmotor haben es jedenfalls nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Stattdessen geht es um Steuererleichterungen für die Elektromobilität und das Auto als zentralen Mobilitätsfaktor. Dass die Ambitionen für klimaneutrales Fliegen zurückgefahren werden sollen, fällt fast gar nicht auf.

Dafür darf sich die Schiene auf große Investitionen freuen, auf den zweiten Blick. Auf den ersten Blick sollen bereits geplante Investitionen gezielter ankommen. Dazu steht der Erhalt vor dem Neubau, was vor allem Städte und Gemeinden ohne ausreichende Anbindung weiterhin davon abhält, schneller, günstiger und klimaverträglicher erreichbar zu sein. Dafür gibt es dann genügend E-Autos.

Wobei all das in Zukunft unnötig werden könnte: "Wir errichten eine Nationale Hyperloop-Referenzstrecke." Kein Wunder also, dass im Koalitionsvertrag das Geld für den Schienennetzausbau knapp ist.

Allerdings gibt es diese Teststrecke(öffnet im neuen Fenster) zum Glück schon. 27 Meter lang, unterstützt von mehreren Universitäten und zu besichtigen in Emden.

Leider steht zu befürchten, dass damit tatsächlich die alte Transrapid-Versuchsanlage Emsland(öffnet im neuen Fenster) gemeint ist. Die kostete schon damals ein inflationsbereinigtes Milliardenvermögen.

Als Hyperloop wird sie nicht günstiger und droht an der technischen Umsetzung zu scheitern, vielleicht aber auch nur am praktischen Nutzen. Schnellzüge fahren schließlich schon, verbinden sogar Großstädte miteinander bei Reisezeiten von wenigen Stunden und sind bezahlbar, sollten aber auch instandgehalten und ausgebaut werden.

Ausgang ungewiss

Also, ja, folgt man dem Koalitionsvertrag, wird unser Energiesystem nachhaltiger, resilienter und günstiger. Die Forschung erhält eine breite Förderung, nicht nur für Quantensysteme, KI und Kernfusion, auch für Demokratieforschung und Sozialwissenschaften.

Die Gründung von Start-ups soll erleichtert werden. Die Fokussierung auf bereits vorhandene Spitzentechnologie aus den Bereichen Pharmazeutik, Medizin oder Chemie soll gestärkt werden. Der Elektromobilität und Batteriesystemen wird eine größere Bedeutung eingeräumt. Dem Recycling und der Steigerung der Energieeffizienz wird ebenfalls Raum gegeben.

Und wenn dann noch Zeit und Geld übrig sind, bauen wir den ersten Kernfusionsreaktor, eine KI-Gigafactory, überholen die USA bei den Cloudsystemen, schicken einen repräsentativen Kosmonauten und eine Astronautin zum Mond und verbinden München und Hamburg mit einem Hyperloop.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach).


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