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Kfz-Kriminalität: Warum Diebe Elektroautos (noch) verschmähen

Wer ein Elektroauto fährt, muss nur sehr selten den Diebstahl seines Fahrzeugs melden. Das wird aber wohl nicht so bleiben.
/ Friedhelm Greis
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Solche Parkkrallen als Diebstahlschutz sind bei Elektroauto derzeit noch kaum erforderlich. (Bild: JoachimKohlerBremen)
Solche Parkkrallen als Diebstahlschutz sind bei Elektroauto derzeit noch kaum erforderlich. Bild: JoachimKohlerBremen

Wenn die Versicherungen in Kürze ihre Statistik der Autodiebstähle für 2021 veröffentlichen, werden Elektroautos auch dieses Mal nur sehr weit hinten in der Liste zu finden sein. In den Top 100 der am meisten gestohlenen Fahrzeugmodelle sei kein Elektroauto vertreten, sagte ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf Anfrage von Golem.de. Die Gründe für die niedrige Diebstahlquote sind nach Angaben der Versicherungen vielfältig. Auswirkungen auf eine geringe Versicherungsprämie sind jedoch nicht zu erwarten.

Das geringe Interesse von Dieben an Elektroautos geht auch aus dem Bundeslagebild Kfz-Kriminalität 2021 des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. "Immer mehr Fahrzeughersteller produzieren Fahrzeuge mit Hybrid- bzw. zusätzlichem Elektroantrieb sowie reine Elektrofahrzeuge. Trotz des sich vergrößernden Angebots werden Diebstähle solcher Fahrzeuge weiterhin nur recht selten festgestellt" , heißt es in dem 18-seitigen Papier (PDF)(öffnet im neuen Fenster) .

Polizei erfasst keine Antriebsarten

Warum das so ist, wird im Lagebild jedoch nicht erläutert. Auf Nachfrage von Golem.de teilte die Behörde mit: "Dem Bundeskriminalamt liegen keine belastbaren Informationen vor, warum sich die Diebstahlzahlen von Elektroautos auf einem sehr niedrigen Niveau befinden." Grundsätzlich würden die Diebstähle von den örtlich zuständigen Landespolizeidienststellen erfasst und bearbeitet.

Auf Anfrage von Golem.de konnten die Landeskriminalämter Berlin und Brandenburg ebenfalls keine Antwort geben. "In der polizeilichen Kriminalstatistik werden die Diebstähle von Kraftfahrzeugen nicht nach ihrer Antriebsart erfasst." Daher könnten keine weiterführenden Auskünfte erteilt werden, schrieb das LKA Brandenburg.

Keine Infrastruktur in Nachfrageländern

Etwas auskunftsfreudiger zeigten sich die Versicherungen. "Wir haben in unseren Statistiken bisher keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Diebstahlhäufigkeit von Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern festgestellt. Elektroautos machen derzeit allerdings auch nur rund ein Prozent der 46 Millionen zugelassenen Autos aus, von denen im Jahr 2020 coronabedingt nur rund 10.000 kaskoversicherte Autos gestohlen wurden" , sagte die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach. Die Erfahrungen mit Diebstählen von Elektroautos seien dementsprechend noch gering.

Laut Käfer-Rohrbach legen Autodiebe den Fokus eher auf hochmotorisierte SUVs: "Solche Fahrzeugmodelle werden auch auf entsprechende Aufträge hin gestohlen, und in den Nachfrageländern gibt es oft noch wenig Infrastruktur für Elektroautos." Auch die Vollvernetzung moderner Fahrzeuge dürfte es Autodieben schwer machen. Das biete unter anderem die Möglichkeit, gestohlene Autos zu orten und gegebenenfalls sogar stillzulegen.

VW ID.Buzz Probe gefahren
VW ID.Buzz Probe gefahren (03:37)

Ein weiterer Grund, der den Diebstahl von Elektroautos erschweren dürfte: Verschiedene Umfragen unter Fahrern von Elektroautos haben ergeben, dass drei Viertel von ihnen ihr Elektroauto zu Hause aufladen können. Das bedeutet, dass die Fahrzeuge nachts in den meisten Fällen in einer abgeschlossenen Garage oder auf einem privaten Grundstück stehen dürften. Eine zusätzliche Hürde, die die Diebe überwinden müssen. Hängt das Auto während des Diebstahls gar an der Wallbox, bedeutet das weiteren Aufwand.

Diebstahlszahlen bei Tesla rückläufig

Ein Blick in die Diebstahlstatistik von 2020(öffnet im neuen Fenster) macht aber deutlich, dass Elektroautos durchaus für Diebe attraktiv sein dürften. Schließlich gibt es inzwischen vergleichbare SUVs und Limousinen als Elektromodell, wie die Tesla-Modelle S und X, den Audi E-Tron, den Porsche Taycan oder den Mercedes-Benz EQS, um nur einige wenige zu nennen.

Nach Angaben des GDV sind die Diebstahlzahlen bei Tesla jedoch in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen. Wurden im Jahr 2018 noch acht Diebstähle gemeldet, waren es 2019 noch sechs und 2020 sogar nur vier. Damit sank die Diebstahlhäufigkeit pro 1.000 zugelassener Fahrzeuge von 1,1 auf 0,2.

Wegfahrschutz per Pin möglich

Dazu haben sicherlich die Bemühungen Teslas beigetragen, den Diebstahl der Fahrzeuge zu erschweren. So kann ein Besitzer über die GPS-Ortung in seiner Tesla-App problemlos erkennen, wo sich das Fahrzeug aktuell befindet. Vorausgesetzt, die Diebe haben die eingebaute SIM-Karte noch nicht deaktiviert. Zudem ist es inzwischen nicht mehr so einfach, das Fahrzeug zu starten, wenn man sich beispielsweise über ein abgefangenes Funksignal die Türen geöffnet hat.

Denn kontakt- und schlüssellose Zugangssysteme von Fahrzeugen weisen immer wieder Sicherheitslücken auf. So konnten Tesla-Modelle immer wieder gehackt werden . Mit der Funktion Zum Fahren PIN eingeben(öffnet im neuen Fenster) lässt sich jedoch eine weitere Diebstahlhürde einrichten.

Fast alle gestohlenen Teslas wieder aufgetaucht

Gegen einen Diebstahlversuch mit gehacktem Zugangsschlüssel würde auch der umstrittene Wächtermodus nicht schützen. Doch laut Tesla soll das System "verdächtige Aktivitäten rund um Ihren Tesla erfassen können, wenn er an bestimmten Orten geparkt und abgeschlossen ist" . Damit könnte zumindest Alarm geschlagen werden, falls ein Dieb versuchen würde, das Fahrzeug aufzubrechen. Das soll unter anderem den Diebstahl von Fahrzeugteilen wie Airbags erschweren. Zahlen aus dem Jahr 2018 zeigten(öffnet im neuen Fenster) , dass von 115 in den USA gestohlenen Tesla 112 wieder aufgetaucht sind. Eine Quote von 97 Prozent.

Wie das BKA-Lagebild zeigt, haben sich Autodiebe jedoch schon darauf eingestellt, die Diebstahlsicherungen auszuhebeln. "Mithilfe moderner technischer Hilfsmittel sind selbst kleine, unstrukturierte Tätergruppen in der Lage, Sicherheitsvorkehrungen hochpreisiger Fahrzeuge ohne Verursachung von Schäden zu überwinden. Mithilfe solcher technischen Hilfsmittel, die sich zu erschwinglichen Preisen im Internet beschaffen lassen, können z. B. neue Schlüssel für die Entwendung des Fahrzeugs codiert werden" , heißt es.

Nio ET7 angesehen
Nio ET7 angesehen (02:31)

Weitere Möglichkeiten ergäben sich durch Anwendung eines sogenannten Funkwellenverlängerers, was auch als Relay Attack(öffnet im neuen Fenster) bezeichnet wird. "Bei dieser Methode wird das Signal des Schlüssels bei Fahrzeugen, die über ein Keyless-Entry-System verfügen, verlängert - das Vorhandensein des Schlüssels wird auf diese Weise simuliert" , schreibt das BKA.

Doppelschlag in der Nacht

Oftmals würden mehrere teure Fahrzeuge in einer Nacht aus Wohngebieten oder Garagen entwendet, was als "Doppelschlag" bezeichnet werde. Um die Ortung der Fahrzeuge zu verhindern, würden die SIM-Karten durch die Täter ausgebaut. Die Ortung lässt sich aber auch mit Hilfe von sogenannten Jammern unterbinden(öffnet im neuen Fenster) . Durch das Störsignal könne das GPS-Signal vollständig blockiert werden.

Dem Lagebild zufolge besteht eine anhaltend große Nachfrage nach Fahrzeug-Ersatzteilen, wie Navigationssystemen, LED-Scheinwerfer, Airbags, Komplettradsätzen sowie Katalysatoren. Doch die Nachfrage nach Ersatzteilen entsteht erst dann, wenn die potenziellen Abnehmer ein entsprechendes Automodell fahren. Solange dies nicht der Fall ist, dürfte der Markt für gestohlene Fahrzeugteile von Elektroautos ebenfalls noch klein bleiben. Zumal sich teure Bauteile wie die Batterie nicht so einfach wie ein Katalysator demontieren lassen.

Zerlegter Tesla im Kleintransporter

Wie die Diebe in solchen Fällen vorgehen können, hat vor einigen Jahren der Fall eines Tesla gezeigt, der in den Niederlanden gestohlen worden war . Damals entdeckten Beamte bei der Kontrolle eines Kleintransporters kurz vor der polnischen Grenze acht Einzelteile eines Tesla Model S auf der Ladefläche. Darunter befanden sich auch Teile des Akkus.

Bei Verbrennern erfolgt der Transport gestohlener Modelle häufig auf eigener Achse. "Unter anderem werden diese durch Fahrzeugkuriere unmittelbar nach Tatbegehung bzw. ehe sie als gestohlen gemeldet werden, ins Ausland verbracht. Dies kann sowohl mit als auch ohne Begleitung durch ein 'Pilotfahrzeug' erfolgen" , heißt es im Lagebild des BKA. Solche Überführungen können bei Elektroautos jedoch zum Problem werden, wenn der Akku nicht ausreichend geladen und ein längerer Ladestopp erforderlich ist.

Diebstähle dürften zunehmen

Die bisherigen Statistiken bedeuten jedoch nicht, dass Elektroautofahrer völlig unbesorgt vor einem Diebstahl ihr Fahrzeug parken können. So ist es in Berlin wegen der zahlreichen Diebstähle fast schon üblich, einen VW-Bulli mit Parkkralle am Straßenrand abzustellen. Das lässt sich inzwischen auch schon bei Elektrotransportern wie dem Mercedes-Benz EQV beobachten. Nicht auszuschließen, dass die Besitzer eines neuen VW ID.Buzz künftig ihr Fahrzeug ebenso absichern müssen.

Denn auf die Dauer dürfte das Interesse von Dieben auch an Elektroautos zunehmen. Vermutlich hängt das jedoch weniger von der Verbreitung der E-Mobilität in Deutschland und Europa als von der Elektrifizierung der Nachfrageländer ab. Was noch einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Noch kein Elektrorabatt in Sicht

Mit geringeren Versicherungsprämien wegen der geringen Diebstahlgefahr ist jedoch nicht zu rechnen. "Diebstähle haben angesichts der aktuell geringen Fallzahlen einen vergleichsweise geringen Effekt auf die Typklasseneinstufung. Entscheidender sind die im Vergleich deutlich höheren Unfallzahlen sowie Schadenursachen wie Glasbruch oder Wildunfälle - also Risiken, von denen Elektroautos genauso betroffen sind wie alle anderen Autos auch" , sagte GDV-Managerin Käfer-Rohrbach.

Positiv auf die Versicherungsprämie dürfte sich hingegen der sogenannte Garagenrabatt(öffnet im neuen Fenster) auswirken. Solange die meisten Elektroautos sicher zu Hause geparkt werden können, können die Halter mit niedrigeren Tarifen rechnen. Doch je mehr Fahrer ohne eigenen Stellplatz sich ein Elektroauto anschaffen, desto leichter könnte es Dieben fallen, die Fahrzeuge zu entwenden. Es ist daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis E-Autos nicht nur die Zulassungsstatistik, sondern auch die Diebstahlstatistik dominieren.


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