Kernkraft-Utopien: Ein Rückblick auf die nukleare Zukunft

Autos mit Mini-Reaktor, Mars-Reisen mit Atombomben: Wir stellen einstige Kernkraft-Utopien vor, betrachten, warum sie scheiterten und welche noch aktuell sind.

Artikel von Johannes Hiltscher veröffentlicht am
Als Kernkraft noch die Zukunft war, sollten natürlich auch Kinder sie erforschen können.
Als Kernkraft noch die Zukunft war, sollten natürlich auch Kinder sie erforschen können. (Bild: Wikimedia Commons/CC-BY-SA 4.0)

In Deutschland endete mit dem 15. April 2023 eine Ära: Die letzten Kernkraftwerke gingen vom Netz. Über Jahre war die Begeisterung für die Kernenergie hierzulande immer weiter gesunken. Dabei sah einst alles ganz anders aus: In den 1950er und 60er Jahren wollten Ingenieure und Wissenschaftler die Kraft des Atoms im Alltag nutzbar machen. Dem Schock angesichts der zerstörerischen Wirkung der Atombombe wich schnell Euphorie angesichts der gewaltigen Energiequelle Kernkraft.

Inhalt:
  1. Kernkraft-Utopien: Ein Rückblick auf die nukleare Zukunft
  2. Atombomben zu Pflugscharen, nukleare Wärme für Pflanzen
  3. Was aus den Utopien wurde

In wenigen Jahren, so damals die Erwartung, würde Nuklearenergie die Menschen ganz alltäglich umgeben – beispielsweise in Form eines nuklear betriebenen Autos. Gleich eine Reihe von Firmen stellte Konzepte vor, am bekanntesten dürfte der Ford Nucleon sein.

Sein Reaktor sollte, sobald der Brennstoff verbraucht war, ausgetauscht und neu befüllt werden. Wie die anderen Entwürfe fuhr der Nucleon nie mit nuklearem Antrieb. Die technischen Herausforderungen, Abschirmung und Energiewandlung auf ausreichend kleinem Raum unterzubringen, waren schlicht nicht lösbar. Geplant war ein elektrischer Antrieb, vom Reaktor erzeugter Dampf sollte einen Generator antreiben und so Strom für die Motoren erzeugen.

Tatsächlich erprobt wurde das nuklear angetriebene Flugzeug. Geplant wurde es als atomwaffenfähiger Langstreckenbomber von der US-Luftwaffe. Für den Prototyp wurde das seinerzeit größte Flugzeug umgerüstet: die Convair B-36, im Zweiten Weltkrieg entworfen, um Europa von der Ostküste der USA aus bombardieren zu können, sollte England fallen.

Das Projekt verursachte immense Kosten, der Reaktor belegte den kompletten Bombenschacht, nach einigen Testflügen wurde das Projekt eingestellt – allein der Strahlungsschutz für die Besatzung wog 12 Tonnen. Fortschrittliche konventionelle Triebwerke erreichten bald die Leistung, die einst nur mit Kernspaltung möglich schien.

Zum Mars mit der Kraft des Atoms

Nicht nur auf der Erde sollte Kernspaltung die Mobilität revolutionieren. Auch im All, dessen Erschließung gerade begonnen hatte, sollte sie bei der Überwindung ganz neuer Distanzen helfen: Bereits 1946 ersann Stanisław Ulam, im Manhattan-Projekt an der Entwicklung der Atombombe beteiligt, eine friedliche Nutzung für das von den beteiligten Wissenschaftlern nur halb geliebte Kind.

Anstatt Städte in Schutt und Asche zu legen, Tausende Menschen zu töten und noch mehr zu verstrahlen, sollte die Atombombe der Erschließung des Alls dienen. In den folgenden Jahren entwickelten Ulam und andere Wissenschaftler einen nuklearen Antrieb für Raumschiffe, der im Projekt Orion mündete: ein Raumschiff, das eine größere Menge an mit einem Treibstoff kombinierten Atombomben mitführte, gelegentlich eine auswarf, zündete und vom durch die Explosion erzeugten Plasma angeschoben werden sollte. Acht Astronauten hätten mit einem von Ted Taylor und Freeman Dyson entworfenen Raumschiff in nur zwei Monaten den Mars erreichen sollen.

Näher am konventionellen Raketenmotor war der nuklear-thermische Antrieb (Nuclear Thermal Propulsion, NTP), den Wernher von Braun 1961 vorstellte. Anstatt in Form einer Bombe sollte der Kernbrennstoff in einer Brennkammer gespalten werden und einen Treibstoff (Wasserstoff) erhitzen.

Wie bei chemischen Antrieben strömt das heiße Gas durch eine Düse aus und treibt das Raumschiff an. Beide nuklearen Antriebe haben eines gemeinsam: Sie erzeugen mit wenig Brennstoff viel Schub. So sollten sich große Distanzen in kurzer Zeit überwinden lassen, von Braun träumte bereits 1969 von einem bemannten Flug zum Mars. Schon 1981, so seine Prognose, könnten zwei nuklear angetriebene Raumschiffe starten. Innerhalb von zehn Monaten sollten sie eine zwölfköpfige Crew zum roten Planeten bringen.

Auch auf der Erde sollte die gewaltige Sprengkraft von Atombomben Projekte vollkommen neuer Dimension in deutlich kürzerer Zeit möglich machen.

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Atombomben zu Pflugscharen, nukleare Wärme für Pflanzen 
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Kakiss 26. Mai 2023 / Themenstart

Im Prinzip essen wir nichts, dass exakt so in der Natur vorkommt. Natürliche Bananen...

Dwalinn 25. Mai 2023 / Themenstart

Da spielt halt Geld keine Rolle, die neuesten liegen bei über 10 Milliarden

Dwalinn 24. Mai 2023 / Themenstart

Und doch wurde mit Stromexport mehr Geld verdient als mit Stromimport ausgegeben. Jetzt...

McWiesel 22. Mai 2023 / Themenstart

Ja, mal wieder über Kernenergie hergezogen, mehr nicht. Morgen kommt dann der Artikel...

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