Kassenärzte-Chef will Praxen entlasten: Krankschreibung erst ab Tag sechs

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, dringt auf eine grundlegende Reform der Krankschreibungsregeln. Arbeitnehmer sollten künftig erst ab dem sechsten Krankheitstag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen müssen, forderte er. Die bisherige Praxis führe zu zig Millionen vermeidbaren Arztbesuchen und überflüssigem Bürokratieaufwand.
Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland(öffnet im neuen Fenster) kritisierte Gassen die aktuelle gesetzliche Regelung. Diese erlaubt Arbeitgebern, bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Attest zu verlangen. "Diese Ausnahmemöglichkeit führt zu einer massiven Überlastung der Praxen" , sagte der Kassenärzte-Chef. "Zehntausende Arztbesuche sind medizinisch völlig unnötig." Ohne spezielle Vereinbarung im Arbeitsvertrag gilt eine Karenzzeit von drei Tagen, in der kein Attest vorgelegt werden muss.
Abschaffung der Ausnahmeregelung gefordert
Gassens Lösungsvorschlag sieht so aus: Die Ausnahmeregelung solle komplett aus dem Gesetz gestrichen werden. Stattdessen müsse die Krankschreibung grundsätzlich erst ab dem vierten Tag verpflichtend sein. Das Attest würde dadurch wieder zu einer echten ärztlichen Beurteilung statt zu einem reinen Verwaltungsakt.
Auch die derzeitige Dreitagesfrist könne auf vier oder fünf Tage ausgeweitet werden. Arbeitnehmer sollten eine solche Karenzzeit eigenverantwortlich handhaben dürfen – ohne Gang zum Arzt und ohne Attest. Würde die Frist ausgeweitet, müsste die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst nach dem fünften beziehungsweise sechsten Tag vorgelegt werden.
40 Millionen Krankschreibungen für Bagatellerkrankungen
In Deutschland werden jährlich rund 116 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Etwa 35 Prozent davon – also mehr als 40 Millionen – entfallen auf Krankheitszeiten von maximal drei Tagen. Das sind Millionen Praxisbesuche, bei denen meist nur Schnupfen, leichte Erkältungen oder Magen-Darm-Infekte dokumentiert werden.
Würden diese Kurzzeit-Krankschreibungen entfallen, ließen sich laut Gassen etwa 1,4 Millionen Arbeitsstunden im Gesundheitswesen einsparen. Die Kostenersparnis beziffert er auf rund 100 Millionen Euro jährlich. Vor allem aber hätten Ärzte mehr Zeit für wirklich kranke Patienten, und die Wartezimmer wären leerer.
Vertrauen statt Kontrolle
Die chronische Überlastung der Arztpraxen ist ein Dauerthema in der Gesundheitspolitik. Besonders während der Erkältungswellen im Herbst und Winter sind die Wartezimmer extrem voll – oft mit Menschen, die nur dort sind, um sich den Zettel für den Arbeitgeber zu holen. Mediziner beklagen regelmäßig, dass sie zu Stempelstellen degradiert würden.
Gassens Reform würde beide Seiten entlasten: Leicht erkrankte Beschäftigte müssten nicht mehr angeschlagen in überfüllte Wartezimmer, Ärzte gewännen Kapazitäten für echte Behandlungsfälle. Der Vorschlag setzt allerdings auf Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.



