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Jobverluste in der Autobranche: E-Autos sind nicht an allem schuld

Die Umstellung auf E-Autos werde Hunderttausende Arbeitsplätze kosten, hieß es zuletzt. Dabei hat der Großteil der drohenden Jobverluste in der Autobranche andere Gründe.
/ Dirk Kunde
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Arbeiter im VW-Werk in Zwickau (Bild: Martin Wolf/Golem.de)
Arbeiter im VW-Werk in Zwickau Bild: Martin Wolf/Golem.de

Wer sich ein Elektroauto kauft, ist ein Jobkiller. Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer das Medienecho über einen Bericht der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität(öffnet im neuen Fenster) (NPM) verfolgte, einem Expertengremium der Bundesregierung. Bis zu 410.000 Arbeitsplätze könnten demnach bis 2030 in der deutschen Autoindustrie aufgrund des E-Autos wegfallen. Das wäre fast jeder zweite Job bei Autoherstellern und Zulieferern. Wer den Bericht und die Hintergründe jedoch genauer betrachtet, dem kommen Zweifel an diesem Horrorszenario.

Die NPM verwendet längst bekanntes Zahlenmaterial. Die Zahl 410.000 Arbeitsplätze stammt aus einem Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Es ist ein Blick von oben auf die Auswirkungen der Elektromobilität in sämtlichen volkswirtschaftlichen Sektoren - nicht nur der Autoindustrie. Ein "unrealistischer Ansatz" , hieß es gleich vom VDA, dem größten Interessenverband der deutschen Autohersteller. Dort bevorzugt man den Ansatz des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

Automatisierung ist der größere Faktor

Grundsätzlich ist es richtig, dass ein Elektroauto einfacher zu bauen ist, also weniger Arbeitskraft erfordert. Ein Verbrennungsmotor hat rund 1.400 Bauteile, ein Elektromotor kommt mit rund 200 aus. Das IAO hat deshalb ermittelt, wie viele Menschen an der Fertigung und dem Einbau von Antrieben beteiligt sind. In Deutschland kommt es auf rund 210.000 Menschen. Bis 2030 könnten 79.000 bis 88.000 davon ihre Arbeit verlieren - immerhin bis zu 42 Prozent. Allerdings geht der größere Teil darauf zurück, dass Unternehmen ihre Produktion immer weiter automatisieren. Nur 29.000 bis 43.000 dieser Stellen entfallen aufgrund des E-Motors.

Was unter dem Schlagwort Industrie 4.0 bekannt ist, wirkt abseits der Fertigungsstraßen noch stärker. In der Arbeitsvorbereitung, Logistik, Wartung der Produktionsanlagen sowie weiteren indirekten Produktionsbereichen entfaltet die Digitalisierung ihre volle Wirkung. Hier werden immer weniger Menschen benötigt - vollkommen losgelöst von der Antriebsart eines Fahrzeugs.

Die Wende zu alternativen Antrieben federt diesen Vorgang möglicherweise sogar ab. Etliche Autohersteller setzen in ihren Werken auf flexible Fertigungslinien, auf denen Autos mit Verbrennungsmotor, Hybridantrieb und Elektroantrieb gebaut werden. "Durch die größere Variantenvielfalt ist eine Automatisierung hier jedoch schwieriger und daher auch teurer" , sagt Manuel Fechter, Geschäftsfeldleiter Automotive beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung.

VW-Elektroautos aus Zwickau - Bericht
VW-Elektroautos aus Zwickau - Bericht (02:44)

Auch Fechter sieht den drohenden Arbeitsplatzabbau, ist aber überzeugt, dass Unternehmen etliche Mitarbeiter umschulen(öffnet im neuen Fenster) können. Schon heute könnten durch Fortschritte in der Automatisierungstechnik geschulte Facharbeiter auch ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse den Arbeitsablauf von Robotern steuern, sagt Fechter.

Die Wertschöpfung geht ins Ausland

"Rationalisierung durch Automatisierung gibt es in der Autoindustrie schon lange" , sagt Axel Schmidt, oberster Berater für den Bereich Automobil bei Accenture. "Doch wurde der Stellenabbau bislang durch steigende Absatzzahlen kompensiert." Inzwischen ist der Zenit der Beschäftigung in der deutschen Automobilbranche überschritten. Der globale Autoabsatz stagniert erstmals. In Europa wurde laut VDA im vergangenen Jahr nur ein Prozent mehr Autos zugelassen als im Vorjahr, in Deutschland immerhin noch fünf Prozent.

Gleichzeitig wurden mit 3,56 Millionen so wenig Autos wie zuletzt vor 22 Jahren in Deutschland gefertigt. "Die Wertschöpfung fließt ins Ausland, vor allem nach Nordamerika und China" , sagt Schmidt. BMW betreibt sein größtes Werk in Spartanburg in South Carolina. Das schützt vor Währungsschwankungen und auch Zöllen, mit denen die US-Regierung immer wieder droht(öffnet im neuen Fenster) . Für Daimler ist China ein größerer Absatzmarkt als Deutschland. Dort hat sich von 2015 bis 2019 Daimlers jährlicher Absatz fast verdoppelt. Um in China verkaufen zu dürfen, waren jedoch lange Zeit Werke als auch Kooperationen mit heimischen Produzenten Pflicht, so dass verstärkt Arbeitsplätze dort entstanden und nicht in Deutschland.

255.000 neue Jobs durch Ladeinfrastruktur

In einer ehrlichen Rechnung sollte außerdem nicht fehlen, dass E-Autos auch neue Jobs schaffen. 255.000 bis 2030, schätzt der Bundesverband E-Mobilität. Zum Beispiel müssen Ladesäulen gebaut, gewartet und überwacht werden. Hier seien Elektriker, Elektrotechniker, Monteure, IT- und Servicekräfte gefragt, sagt Verbandspräsident Kurt Sigl. Mit Blick auf das eigentliche Ziel der NPM habe der Zwischenbericht ihm die Stimme verschlagen, so Sigl. "Es geht doch darum, Chancen aufzuzeigen. Da kann ich die destruktiven Aussagen nicht nachvollziehen" , sagt der Verbandschef.

Tesla-Montagewerk Tilburg - Bericht
Tesla-Montagewerk Tilburg - Bericht (01:40)

Auch Schmidt von Accenture sieht neue Jobs in der Autoindustrie entstehen, vor allem für Softwareentwickler. "Das Auto ist das ultimative mobile Gerät. Schon bald ist es das Smartphone auf Rädern" , sagt er. Es gehe darum, wer den Kontakt zum Kunden habe, wer mit Services und Daten Geld verdient. Apple steht in den Startlöchern. Google bietet mit Android Automotive bereits ein komplettes Betriebssystem für Infotainmentsysteme im Fahrzeug. Neben Tesla kommen mit Byton und Nio, Rivian und Lucid Motors neue Anbieter auf den Automarkt. Kürzlich zeigte Sony auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas, wie sie sich ein Elektroauto vorstellen. Es ist ungewiss, ob der Unterhaltungselektronik-Konzern den Wagen jemals baut. Doch Auftragsfertiger werden Firmen wie Sony umgarnen, wenn Jobs aus der klassischen Autoindustrie ausbleiben. "Der Trend zum Elektroauto ist unumkehrbar" , sagt Schmidt mit Blick auf die neuen, strengen CO2-Vorgaben der Europäischen Union(öffnet im neuen Fenster) . "Man kann sich dem Fortschritt nicht verweigern."


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