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Japanische Jihanki: Hitzetodgefahr lässt Kassen der Automatenindustrie klingeln

Getränkeautomaten retten die Menschen in Japan im heißen Sommer vor dem Verdursten und sind für die Anbieter ein lukratives Geschäft. Es gibt aber auch Herausforderungen.
/ Felix Lill
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Getränkeautomaten sind in Japan omnipräsent. (Bild: Tobias Költzsch/Golem.de)
Getränkeautomaten sind in Japan omnipräsent. Bild: Tobias Költzsch/Golem.de

Tokios Sommer kann temperaturmäßig die Hölle sein. Kaum geht man draußen fünf Minuten zu Fuß, tropft einem der Schweiß von der Stirn, und der Rücken ist nass. Zum Glück steht an fast jeder Straßenecke ein Getränkeautomat. Dort wirft man ein paar Yen-Münzen ein und drückt einen Knopf, dann purzelt eine Dose kalter Grüntee oder ein Isodrink ins Ausgabefach. Die ersten Schlucke wirken fast lebensrettend.

Diese Schilderung ist nicht übertrieben. Für die Menschen in Tokio und anderen Städten Japans gehört das zum Leben - jedenfalls im Juli und August. Die Temperaturen in der Hauptstadt klettern oft auf 37 Grad, die Luftfeuchtigkeit erreicht nicht selten 90 Prozent. Hitzschläge verursachen in Japan jährlich um die 1.200 Todesfälle. Ende Juli 2023 machte eine 13-jährige Schülerin Schlagzeilen, die mit dem Fahrrad fuhr, kollabierte und starb(öffnet im neuen Fenster) . Da Japans Sommer durch den Klimawandel immer heißer werden, denkt die Regierung über Maßnahmen nach(öffnet im neuen Fenster) , wie sie die Zahl der Hitzetode reduzieren kann.

Die Situation wäre noch prekärer, wenn es nicht die praktisch omnipräsenten Getränkeautomaten gäbe. Denn wer zu wenig trinkt, erleidet eher einen Hitzschlag. "Bitte achten Sie auf Ihren Flüssigkeitshaushalt!" , tönt es daher fast minütlich aus den Lautsprecheranlagen der Bahnhöfe in Tokio. Entsprechend wird in die Automaten umso mehr Geld eingeworfen, je höher die Außentemperatur ist. Angeboten wird von Wasser über salzhaltige Litschibrausen bis zu einem auf minus 5 Grad gekühlten Cidersorbet alles Mögliche.

"Im Moment ist unsere mit Abstand wichtigste Jahreszeit" sagt Yoshiki Misue. Der Manager von Asahi, einem der führenden Getränkekonzerne Japans, sitzt in einem angenehm gekühlten Besprechungszimmer eines Wolkenkratzers in Tokio. Für das aktuelle Jahr ist Misue guter Dinge: "Nach der Pandemie kommen endlich wieder viele Touristen nach Japan, obwohl es so heiß ist." Das sei gut fürs Geschäft. Die Touristen seien die Hitze weniger gewohnt und eilten daher häufiger zu einem Automaten.

Yoshiki Misue, ein drahtiger Typ mit gelfrisiertem Haar, ist bei Asahi für das Automatengeschäft zuständig und gehört somit zu den wichtigsten Personen im Konzern. Was in anderen Ländern eher als randständige Tätigkeit eines Getränkeunternehmens gilt, ist in Japan eine entscheidende Einnahmequelle: Von den 1,8 Milliarden Getränkekisten à 24 bis 30 Flaschen, die 2021 japanweit vertrieben wurden, wurde branchenübergreifend fast ein Viertel über die Automaten verkauft. Bei Asahi, dem viertgrößten Player im Geschäft, machen die Maschinen ein Fünftel der Erlöse aus.

Für die Existenz der Jidouhanbaiki oder kurz Jihanki - so heißen die Maschinen hier - ist man in Japan vor allem im Sommer dankbar. Dabei war die Motivation für die landesweite Errichtung der Automaten keine Reaktion auf den Klimawandel. "Das Geschäft begann in den 1970er Jahren zu boomen" , sagt Yoshiki Misue. "Damals ging es vor allem um Komfort. Die Anbieter wollten den Verbrauchern ihre Produkte möglichst überall anbieten können." In den Zeiten von Japans Wirtschaftswunder standen die Jihanki für Automatisierung, Effizienzsteigerung, Modernisierung.

Das Milliardengeschäft, das die Jihanki längst geworden sind, ist indes nicht auf Getränke beschränkt(öffnet im neuen Fenster) . Auch Pommes Frites, Windeln(öffnet im neuen Fenster) und Spielfiguren aus beliebten Animeserien(öffnet im neuen Fenster) sind in den Automaten manchmal zu finden.

Rund die Hälfte der landesweit gut vier Millionen Apparate sind aber auf Getränke ausgerichtet. Im Winter rüsten die Automatenanbieter dann um: Anstelle eiskalter Getränke kommen heißer Kaffee, Maissuppe oder Lachs in der Dose ins Sortiment. Auch Erdbeerkuchen in der Dose oder Fischbrühe(öffnet im neuen Fenster) aus der Flasche sind zu haben.

Geschäfte über den heimischen Markt hinaus

Man könnte denken, das Jihanki-Geschäft hat eine goldene Zukunft vor sich - vor allem mit Blick auf noch heißere Sommer durch den Klimawandel. Doch die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte sahen anders aus. Branchenstatistiken zeigen, dass die Anzahl betriebener Automaten zwischen 2006 und 2021 um fast ein Zehntel sank.

"In den Nullerjahren führte die Regierung automatische Passkontrollen bei Zigarettenautomaten ein" , erklärt Yoshiki Misue. Minderjährige wurden so vom heimlichen Zigarettenkaufen ausgeschlossen. Da Getränke-Jihanki oft neben Zigarettenautomaten stehen, wirkte sich das auch negativ auf die Umsätze von Getränken aus.

Mit Beginn des letzten Jahrzehnts bremste dann eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent das Geschäft aus, selbst wenn der Preis für ein Isogetränk, eine Cola und einen Eistee oft nur um zehn Yen - rund 8 Cent - auf rund 160 Yen stieg. "Unsere Kunden offenbarten sich als sehr preisempfindlich" , sagt Yoshiki Misue. Der nächste Schlag war die Coronapandemie, als viele Menschen plötzlich von zu Hause arbeiteten. Und auf dem Weg zur Arbeit wurden keine Getränke mehr gekauft.

Jetzt, da die Pandemie Vergangenheit ist, soll das Geschäft wieder aufblühen. "Es ist ja bekannt, dass unsere Automaten auch für die allgemeine Gesundheit einen Beitrag leisten" , sagt Yoshiki Misue. Mittlerweile rät auch die Konsumentenbehörde für Touristen auf ihrer Website(öffnet im neuen Fenster) : "Decken Sie Ihren Flüssigkeitsbedarf mithilfe der Verkaufsautomaten."

Dass das einstige Verkaufsniveau der Jihanki wieder erreicht werden kann, gilt trotzdem als unwahrscheinlich. Schließlich schrumpft Japans Bevölkerung seit Jahren. Auch deshalb orientieren sich einige führende Anbieter in Richtung Ausland. GRN, ein kleinerer Wettbewerber auf dem heimischen Markt, beschloss 2022, in Australien ins Geschäft einzusteigen. Neben den Verkäufen in Vietnam und China - wo man geopolitische Risiken sieht - soll Australien das Geschäft stabilisieren(öffnet im neuen Fenster) .

Der Anbieter Dydo, dessen Automaten auf dem Heimatmarkt pro Jahr noch rund 104 Milliarden Yen (über 655 Millionen Euro) umsetzen, schaut sich ebenfalls jenseits der Landesgrenzen um. "Bis vor kurzem haben wir auf dem russischen Markt getestet" , berichtet Hajime Masamoto, der bei Dydo den Salesbereich verantwortet. "Pandemie und Ukrainekrieg haben dem ein Ende bereitet." Vorerst, betont er.

Künftig wolle man sich verstärkt in der Türkei umsehen. Masamoto sieht den europäischen Markt zwar als prädestiniert für sein Geschäft an, hält diesen aber zugleich für noch nicht reif: "In Europa ist man es noch nicht gewohnt, in jeder Straße und in fast jedem Gebäude einen Automaten zu haben. Und man vertraut den darin angebotenen Produkten nicht so, wie man es in Japan tut." Auf dem Heimatmarkt stünden die Automaten von Dydo seit Jahrzehnten für Zuverlässigkeit und Qualität. "Diesen Ruf aufzubauen, erfordert anscheinend viel Zeit."

Plastikverbrauch der Jihanki ist hoch

Tatsächlich könnte es dauern, bis man einen Italiener überzeugt hat, dass ein passabler Caffè Latte auch aus der Dose kommen kann, oder eine Deutsche, dass eine Kartoffelsuppe selbst dann noch bekömmlich ist, wenn sie auf die Käuferin einige Zeit in einem Automaten gewartet hat. Eine weitere Herausforderung sei das höhere Umweltbewusstsein europäischer Konsumenten, sagt Hajime Masamoto. Denn der Plastikverbrauch der Jihanki sei hoch. Aufgeben wolle man bei Dydo aber nicht.

Ähnlich sieht man es bei Asahi, wo man sich eine Expansion in ausländische Märkte mittelfristig als Option offen hält. Dafür spricht nicht nur der daheim schrumpfende Markt, sondern auch eine womöglich zunehmende Nachfrage auf einem Kontinent wie Europa. Neben den heißer werdenden Sommern mangelt es in der EU schließlich - ähnlich wie in Japan - zusehends an Arbeitskräften, von denen man für den Betrieb eines Jihanki jedoch kaum welche benötigt.

Was die Umweltprobleme der Maschinen angeht, bietet Asahi seit diesem Jahr eine erste kleine Lösung(öffnet im neuen Fenster) : "Wir haben neue Maschinen mit Umluftsystemen entwickelt, die jetzt 20 Prozent der durch den Stromverbrauch verursachten CO 2 -Emissionen direkt wieder absorbieren können" , erläutert Yoshiki Misue. Bis 2030 soll der Anteil 100 Prozent erreichen.

Falls die Verkaufsautomaten eines Tages wirklich CO 2 -neutral sind, könnte ein an jeder Straßenecke verfügbarer Eiskaffee aus der Dose wohl auch in Deutschland schneller Freunde finden. Wobei sich ein Bewusstsein für solche noch eher fremden Produkte wohl beschleunigen würde, wenn die Sommer so heiß würden, dass auch hierzulande der plötzliche Hitzetod auf der Straße Schlagzeilen macht.


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