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Iris²-Satellitenkonstellation: 10,6 Milliarden Euro sind zu viel Geld für zu wenig Leistung

Es soll das europäische Starlink sein. Aber mit nur 282 Satelliten zeigt Iris², wie groß der Rückstand der europäischen Raumfahrt ist.
/ Frank Wunderlich-Pfeiffer
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Die EU bewirbt Iris² als kostengünstig. (Bild: EU Space and Defense / Screenshot: Golem.de)
Die EU bewirbt Iris² als kostengünstig. Bild: EU Space and Defense / Screenshot: Golem.de

Die EU will eine eigene Satellitenkonstellation(öffnet im neuen Fenster) haben und nennt sie Iris 2 . Das steht für Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite - Infrastruktur für Widerstandsfähigkeit, Verbindung und Sicherheit durch Satelliten. Die Konstellation soll 10,6 Milliarden Euro kosten und aus 264 Kommunikationssatelliten im niedrigen Erdorbit sowie 18 Satelliten im mittleren Erdorbit bestehen(öffnet im neuen Fenster) . Noch 2023 wurden die Kosten für Iris 2 mit rund sechs Milliarden Euro beziffert. Die Kosten sind mit Starlink vergleichbar, die Leistung nicht im Ansatz.

Die Iris 2 -Konstellation soll erst ab 2029 gestartet und 2030 fertiggestellt sein. Kurzfristig sollen deshalb für Regierungszwecke Kapazitäten einiger nicht mehr ausgelasteter geostationärer Satelliten bereitgestellt werden. Wenigstens zehn weitere kleine Satelliten sollen außerdem in niedrigeren Orbits ausgesetzt werden, für Tests und spezialisierte Nutzlasten, die noch nicht feststehen. Space News vermutet(öffnet im neuen Fenster) , dass Startaufträge für diese kleinen Satelliten an kleinere europäische Raketenbauer gehen werden, der Rest an Arianespace mit der Ariane 6.

Trotz der geringen Zahl von Satelliten kann Iris 2 durchaus in der Lage sein, eine ähnlich gute Abdeckung wie Starlink in Europa im Jahr 2024 zu gewährleisten, falls die Orbits der Konstellation darauf optimiert werden. Der Grund ist die mehr als doppelt so hohe Flughöhe von 1.200 km im Vergleich zu den 550 km von Starlink, weshalb ein Iris 2 -Satellit in diesem Orbit mehr als die vierfache Fläche abdecken kann.

Zudem muss nur die Versorgung von Europa und nicht der gesamten Welt sichergestellt werden. Wobei die 18 noch höher fliegenden Satelliten unabhängig davon ebenso eine weltweite Abdeckung gewährleisten.

Weniger Satelliten bringen weniger Bandbreite

Der Nachteil ist, dass die Bandbreite von Satelliten durch die Entfernung von der Erde, die Größe der beteiligten Antennen (und damit deren Antennengewinn) und die Sendeleistung begrenzt wird.

Erstens muss die Bandbreite eines Satelliten die vierfache Fläche und womöglich die vierfache Zahl von Empfängern versorgen. Zweitens sinkt durch die doppelte Entfernung auch die Signalstärke - und damit die Bandbreite - bei der gleichen Antennengröße auf ein Viertel.

Um die gleiche Bandbreite zu erreichen, ist entweder am Boden oder am Satelliten eine Antenne mit der doppelten Kantenlänge nötig. Eine größere Antenne ist aber schwerer, was besonders für den Satelliten ein Problem ist, weil damit weniger Gewicht für Stromversorgung und Leistungselektronik zur Verfügung steht.

Selbst dann müsste die größere Antenne auch viermal so viele Beams generieren (also mehr Radiosignale in verschiedenen Richtungen), was zumindest komplexere Elektronik erfordert.

Andererseits könnte die Bodenstation größere und teurere Antennen verwenden, die stärkere Signale zum Satelliten senden und schwächere Signale empfangen können. Aber das macht die Antennen der Bodenstation ohne zusätzlichen Nutzen größer, schwerer und teurer als jene für Starlink.

Hinter Quantenkryptografie steckt einfache Technik

Ein Satellit in der doppelten Entfernung kann zwar die gleiche Fläche wie vier tiefer fliegende Satelliten abdecken, aber bei der gleichen Baugröße niemals deren Leistung erreichen. Für den 8.000 km hohen Orbit gilt das umso mehr, in dem nur 18 Satelliten zwar eine dauerhafte, weltweite Abdeckung sicherstellen, dabei aber nur eine stark begrenzte Bandbreite bieten können.

Anders als die geostationären Satelliten in rund 36.000 km Entfernung, die Signallaufzeiten um rund 500 ms verlängern, werden die 264 Satelliten in rund 1.200 km Höhe die Laufzeiten nur um rund 20 ms verlängern. Die 18 weiteren Satelliten in 8.000 km hohen mittleren Orbits verursachen immerhin noch weniger als 150 ms zusätzlicher Verzögerung.

Quantenkryptografie passt auch in kleine Cubesats

Zusätzlich zur reinen Datenübertragung sollen die Satelliten außerdem kryptografische Quantenschlüssel verteilen. Das ist ein einfaches Verfahren(öffnet im neuen Fenster) , bei dem beispielsweise ein Laserstrahl mit 775 nm Wellenlänge auf einen Kristall aus Aluminium-Gallium-Arsenid gerichtet wird und Photonenpaare mit 1.550 nm Wellenlänge erzeugt, die im Übrigen mit kommerziellen Telekommunikationssystemen kompatibel sind und über sie verteilt werden können. Der gesamte Rest der Quantenkryptografie geschieht am Boden mit herkömmlichen Teleskopen, Polarisationsfiltern und empfindlichen Lichtdetektoren.

Auf Seiten des Satelliten ist das System kaum komplizierter als herkömmliche Laserterminals und wurde bereits so weit miniaturisiert, dass es selbst in Cubesats integriert werden kann(öffnet im neuen Fenster) . Verschlüsselt werden kann damit allerdings nur die Kommunikation zwischen den beiden Bodenstationen. Die Kommunikation zwischen Sender oder Empfänger bis zur Bodenstation muss mit weiteren Maßnahmen sichergestellt werden.

Von Iris 2 profitieren fast nur alte Unternehmen

Gebaut und betrieben wird die Iris 2 von einem Konsortium namens Spacerise, das aus den großen europäischen Satellitenbetreibern SES, Eutelsat und Hispasat besteht. SES wird die 18 größeren Satelliten für den mittleren Orbit herstellen und Eutelsat die 264 kleineren Satelliten für den niedrigen Orbit. Beide Unternehmen haben bereits eigene vergleichbare Konstellationen aufgebaut.

SES baut die O3B-mPower-Satelliten, die ebenso wie die 18 Iris 2 -Satelliten in rund 8.000 km Höhe operieren, vermutlich ähnlich aufgebaut sein werden und ähnliche Infrastruktur am Boden benötigen. Eutelsat hat Oneweb aufgekauft und betreibt dessen Konstellation ebenso in rund 1.200 km Höhe, plante aber längst den Ausbau mit einer neuen Generation größerer und leistungsfähigerer Satelliten, die ebenso denen von Iris 2 entsprechen dürften.

Weitere Aufträge gehen an die etablierten Raumfahrtunternehmen als Subunternehmer, wie Thales Alenia Space, Thales SIX, OHB, Airbus, Hisdesat, Telespazio, Deutsche Telekom und Orange.

Kleinere Unternehmen gehen praktisch leer aus

Andere Unternehmen bleiben bei dem Investitionsvolumen von 10,6 Milliarden Euro weitgehend außen vor. Die 264 Satelliten im niedrigem Orbit sollen laut Space News(öffnet im neuen Fenster) mit zehn Ariane-6-Raketen starten. Diese Rakete wurde nicht für Flüge in niedrige Orbits optimiert und hat trotz der hohen Startmasse von rund 800 Tonnen nicht mehr Nutzlast als die etwa 550 Tonnen schwere Falcon 9.

Die restlichen 18 Satelliten in höheren Orbits werden mit drei weiteren Ariane 6 gestartet. Die Startkosten(öffnet im neuen Fenster) werden sich damit insgesamt auf fast zwei Milliarden Euro belaufen. SpaceX leistet Vergleichbares mit weniger als einem Viertel der Kosten, selbst im Kundenauftrag lägen die Preise nur bei rund einer Milliarde Euro.

Die hohen Kosten sind kaum erklärbar

Für den Bau der 264 Satelliten für den niedrigen Erdorbit und deren Infrastruktur am Boden muss ein Kostenanteil von rund sechs Milliarden Euro angesetzt werden, ohne Startkosten. Das sind 22,7 Million Euro pro Satellit.

Die ähnlich großen Starlink-Satelliten kosten unter einer Million Euro pro Stück. Die dabei unberücksichtigten Kostenanteile für Bodenstationen und Entwicklungskosten können die Differenz nicht erklären, ebensowenig die Laserterminals zur Verteilung der Quantenschlüssel, zumal Eutelsat und SES weitgehend fertig entwickelte Technik und bestehende Fabriken nutzen können.

Bei rund 26 Satelliten pro Start liegen die Startpreise mit Ariane 6 über fünf Millionen Euro pro Satellit. Die Selbstkosten von SpaceX mit der Falcon 9 liegen, je nach Angaben, bei knapp über einer Million US-Dollar pro Satellit der aktuellen Starlink-V2-Mini-Satelliten, die älteren Satelliten waren deutlich leichter und billiger.

Trotz der günstigen Falcon 9 ist der Raketenstart für SpaceX wohl etwas teurer als die Satelliten an Bord, weshalb SpaceX mit dem Starship auf günstigere Starts hofft. Der Aufbau der gesamten Starlink-Konstellation kostet SpaceX vermutlich ähnlich viel Geld wie der Aufbau von Iris 2 , bei deutlich größerer Leistungsfähigkeit.

Der Autor meint dazu:

Iris 2 ist ein exemplarisches Beispiel für den frustrierenden Zustand dysfunktionaler europäischer Politik, die zur Bereicherung und Erhaltung weniger einflussreicher Unternehmen betrieben wird. Sie behindert so den Aufstieg neuer und besser organisierter Unternehmen, mit besseren Ideen und günstigeren Produkten, die etwa den Erfolg der US-Wirtschaft kennzeichnen.

Die Auftragsvergabe für Iris 2 geschah ohne jeden offenen Wettbewerb, in dem neue Unternehmen eine Chance auf große Auftragsvolumen gehabt hätten. Große Investitionen in neue Fabriken oder Infrastruktur können diese kleinen Unternehmen so nicht rechtfertigen und auch keine größeren Kredite erwarten. Stattdessen werden ihnen rein symbolisch wenige Aufträge für kleine Satelliten gegeben, um in der Öffentlichkeit behaupten zu können, man hätte auch etwas für kleine Unternehmen getan.

Das Resultat der Politik, mit überteuren Staatsaufträgen große Unternehmen zu schützen - mit vielen Hinweisen auf Erhalt von Arbeitsplätzen und angeblicher Hightech -, ist, kleine Unternehmen klein zu halten. Dabei ist es egal, ob das mit Absicht oder als Nebeneffekt geschieht.

Denn auch große Unternehmen müssen schrumpfen oder bankrottgehen können, wenn sie schlechte Arbeit abliefern. Nostalgie ist nicht angebracht, wenn Unternehmen für Bau und Start von gerade einmal 282 Satelliten über 10 Milliarden Euro verlangen. Es ist schlechte Arbeit für viel Geld mit wenig Gegenleistung, die langfristig auch keine Arbeitsplätze schützt.


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