Internet Yami-Ichi: Schwarzmarkt für gebrauchte Passwörter

Auf dem Internetschwarzmarkt trifft die digitale die analoge Welt. Zu kaufen gibt es gecrackte Youtube-Videos, gebrauchte Passwörter und Cloud-Space in Form von Zuckerwatte.

Artikel veröffentlicht am ,
Auf dem Internet Yami-Ichi werden virtuelle Gegenstände real verkauft.
Auf dem Internet Yami-Ichi werden virtuelle Gegenstände real verkauft. (Bild: Fabian Hamacher/Golem.de)

Was machen Internetkünstler und Webdesigner, wenn ihnen das Geld ausgeht? Sie verkaufen ihre Produkte auf dem Flohmarkt. Ganz real und zum Anfassen werden dann Facebook-Likes und Cloud-Space. Das in Japan initiierte Kunstprojekt nennt sich Internet Schwarzmarkt. Künstler stellen ihre Werke zur Schau - und zum Verkauf.

Viel Ulkiges ist dabei, etwa Macbook Air Air; Luft aus einer Plastiktüte, in der der mobile Rechner von Apple gesteckt hat - garantiert in Tokio in kleine Glasflaschen abgefüllt. Oder Cloud-Space für einen Euro: Dem Käufer wird Zuckerwatte in die Hand gedrückt.

Flohmarkt der geheimen Gesellschaft

Der Internet Yami-Ichi - so der japanische Name - wird von einer geheimen Organisation gesteuert, die es "schon seit über hundert Jahren gibt." Wir haben einen der Initiatoren auf der Transmediale ausgemacht: Shunya Hagiwara kam auf die Idee für das Kunstprojekt, als Apple eine seiner Apps ablehnte, die als Verkaufsplattform dienen sollte. "Im Internet gibt es unterschiedliche Empfindungen und Eindrücke: 'Das ist gut', oder 'Das ist niedlich'. Diese Eindrücke noch einmal offline hervorrufen zu können, ist ein neues Gefühl", sagte Hagiwara.

Analoges Crowdsourcing

Auf der Transmediale 2014 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin hat der Internet Schwarzmarkt das erste Mal außerhalb Japans stattgefunden - insgesamt zum dritten Mal. Der japanische Künstler Hoji Tsuchiya will seinen Animationsfilm per Crowdfunding finanzieren. Für einen Euro verkauft er Plastikbecher mit Popcorn und Erdnüssen. Beim Verzehr können die Besucher des Internet Yami-Ichi die ersten Bilder des Kurzfilms auf einem Bildschirm ansehen, der mit einem kleinen Theaternachbau aus Pappe umrahmt ist. Der Film ist nach traditioneller Holzschnittkunst gemacht, kein modernes Anime. Er erzählt das japanische Märchen "Mimi nashi Houichi" nach. Ein handgemaltes Bild des Künstlers kostet 100 Euro. Er habe ausprobieren wollen, ob er auch so seine Projekte finanzieren könne, sagt er. Andere Künstler belächeln uns, als wir etwas kaufen wollen - sie wollen ihre Kunst hier nur ausstellen.

Youtube-Cracks

Auch Künstler aus Europa sind dabei, die "über das Internet" die japanischen Mitglieder der Geheimorganisation kennengelernt haben. Der Künstler Niko Princen hat populäre Youtube-Videos auf CD gebrannt, zusammen mit einer selbst gemachten Animation - einem sogenannten Cracktro - , die aus der Commodore-C64-Zeit stammen könnte, als die pixeligen Spiele noch massenweise über Kassettenbänder und später über Disketten weitergegeben wurden. Der aus Amsterdam stammende Princen nennt die selbst gebrannten und mit einem Stift beschrifteten CDs Youtube-Cracks.

Virtuelle Mauern

Etwas ernster meint die in Deutschland studierende Japanerin Mei Fujita ihr Ausstellungsstück. Sie habe sich gewundert, dass sie über Youtube keine ihrer Lieblingsvideos aus Japan ansehen könne, sagt sie. Die seien fast alle von der Gema gesperrt. In Deutschland habe sie von der Berliner Mauer erfahren und von der DDR. Ihr Lehrer habe damals Musik aus dem Westen in Polen kaufen müssen. Diese Mauer um die DDR sei deshalb vergleichbar mit der digitalen, die die Gema aufgebaut habe, sagt Fujita. Sie will auf die Trennung von Kulturen und Informationen aufmerksam machen, die es auch in der digitalen Welt gibt. Bei ihr gibt es die Gema-Meldung ausgedruckt in einem Umschlag mit dem stilisierten ernsten Smiley. In Japan würden zwar auch Youtube-Inhalte gesperrt, sagt sie, aber nicht so streng.

AKW-Globus

Etwas abseits finden wir noch Michael Saup, der sein Projekt 1001suns vorstellt. Wir sehen ein Plakat mit einer Fotografie einer Weltkarte. Die Ansicht ist ungewöhnlich, in der Mitte ist der Nordpol. Aus dem Plakat lässt sich die Weltkarte ausschneiden und zu einem mehreckigen Globus zusammenkleben. Bei näherem Hinsehen entdecken wir bunte Punkte auf der Weltkarte - Standorte aktiver AKWs, sagt Saup.

Saup und sein Kollege Acci Baba haben mehrere Programme entwickeln müssen, um die Informationen über die Kernkraftwerke zu sammeln. Denn selbst bei der um Transparenz bemühten International Atomic Energy Agency (IAEA) seien nicht alle Informationen so aufbereitet, dass sie ohne weiteres und an einer zentralen Stelle zugänglich sind. Seine Anwendungen sammeln aber nicht nur Informationen von verschiedenen Stellen aus dem Internet, sie bereiten die Informationen auch auf. Später soll eine interaktive Karte daraus entstehen.

Gebrauchte Passwörter und Morsezeichen aus Wikipedia

Die Berliner Künstlergruppe Terrorbyte.org verkauft gebrauchte Passwörter, auf Post-its, Bierdeckeln oder Tickets, fein säuberlich in einem Ordner gesammelt. In einem anderen Umschlag gibt es blattweise vierstellige Nummern - garantiert gültige PINs-Codes. Woher die stammen? Könnten sie nicht sagen, sie funktionierten aber in jedem Fall. Außerdem gibt es Wikipedia-Artikel in Morsezeichen, reinen Krach und 1.000 PGP-Follower. Wie viele Besucher denn gefragt hätten, was PGP sei, fragen wir Linus Neumann vom CCC und Mitglied von Terrorbyte.org. Ehrlich gesagt habe bislang kaum einer der Besucher das Projekt wirklich kapiert, sagte Neumann.

Bitte aktivieren Sie Javascript.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
  • ohne Werbung
  • mit ausgeschaltetem Javascript
  • mit RSS-Volltext-Feed


Aktuell auf der Startseite von Golem.de
Nammo
TikTok-Strombedarf bremst Expansion von Munitionshersteller

Der norwegische Rüstungskonzern Nammo kann nicht expandieren, weil ein Tiktok-Rechenzentrum die restliche Stromkapazität der Umgebung benötigt.

Nammo: TikTok-Strombedarf bremst Expansion von Munitionshersteller
Artikel
  1. GPT-4: Funken von allgemeiner künstlicher Intelligenz
    GPT-4
    "Funken von allgemeiner künstlicher Intelligenz"

    Microsoft Research enthüllt eine umfangreiche Sammlung von Fallbeispielen, die mit dem ChatGPT-Nachfolger GPT-4 erzeugt wurden. Die Ergebnisse sind beeindruckend.
    Eine Analyse von Helmut Linde

  2. X-59: Nachfolger von Concorde ermöglicht leisen Überschallknall
    X-59
    Nachfolger von Concorde ermöglicht leisen Überschallknall

    Das raketenbetriebene X-59-Flugzeug soll noch in 2023 starten. Trotz Überschallgeschwindigkeit soll der Concorde-Nachfolger der Nasa leise fliegen.

  3. Jugendschutz: Behörden gehen verstärkt gegen Twitter-Pornografie vor
    Jugendschutz
    Behörden gehen verstärkt gegen Twitter-Pornografie vor

    Mit einem KI-Tool suchen Medienanstalten nach jugendgefährdenden Inhalten. Derzeit erhalten Betreiber ungeschützter Accounts Briefe von der Polizei.

Du willst dich mit Golem.de beruflich verändern oder weiterbilden?
Zum Stellenmarkt
Zur Akademie
Zum Coaching
  • Schnäppchen, Rabatte und Top-Angebote
    Die besten Deals des Tages
    • Daily Deals • Große Amazon Rabatt-Aktion • Monitore bis -50% • Windows Week • Logitech bis -49% • Radeon 7900 XTX 24 GB günstig wie nie • Alexa-Sale bei Amazon • Kingston Fury 16GB DDR4-3600 43,90€ • MindStar: AMD Ryzen 7 5800X3D 309€ • 3 Spiele kaufen, 2 zahlen • MM-Osterangebote [Werbung]
    •  /