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Infineon, Siemens und Co: Wie deutsche Top-Tech-Firmen mit Homeoffice umgehen

Kaum haben sich Angestellte an die Vorzüge der Vollzeit-Heimarbeit gewöhnt, berufen viele Firmen ihre Mitarbeiter wieder in die Büros. Ist 100 Prozent Homeoffice in Deutschland noch ein Ding?
/ Florian Zandt
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"Hallo, lange nicht gesehen." In so mancher Firma denkt man darüber nach, die Mitarbeiter wieder dauerhaft ins Büro zu holen - in Deutschland auch? (Bild: Pixabay)
"Hallo, lange nicht gesehen." In so mancher Firma denkt man darüber nach, die Mitarbeiter wieder dauerhaft ins Büro zu holen - in Deutschland auch? Bild: Pixabay

Als Tesla-Chef Elon Musk im Juni 2022 eine Mail mit dem Betreff "Remote-Arbeit ist nicht mehr akzeptabel" an seine Belegschaft schickt, ist er mit seiner Meinung nicht allein. Milliardenschwere US-Konzerne - auch die in der Öffentlichkeit als progressiv und liberal geltenden Big-Tech-Firmen - denken schon länger mehr oder weniger laut darüber nach, ihre Angestellten zurück in ihre teuren Büros zu holen.

Obwohl die flächendeckende Einführung des Homeoffice als eine der wenigen positiven Errungenschaften der Coronapandemie gilt, ist Chefs nach dem Rückgang der gemeldeten Coronainfektionen die Vor-Ort-Präsenz entgegen früheren Versprechen wieder wichtiger geworden.

Apple, Meta, Google, aber auch JPMorgan, Disney oder IBM limitierten die ehemals oft unbeschränkte Heimarbeit im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahre wieder auf ein bis drei Tage pro Woche. Die Investmentbank Goldman Sachs strich ihre Homeoffice-Option im März 2022 sogar komplett.

Und die Ironie, dass sogar eine derart von der Pandemie profitierende Firma wie Zoom seine Beschäftigten ab August 2023 wieder für mindestens zwei Tage die Woche ins Büro beordert, scheint an der Chefetage vorbeizugehen. Aus Heim- wird also bei großen börsennotierten Firmen mehr und mehr Hybrid-Arbeit. Das gilt nicht nur für die USA. Golem.de hat bei zehn der umsatzstärksten deutschen Firmen aus dem Tech- und E-Commerce-Bereich nachgehakt und ein schlaglichtartiges Lagebild skizziert.

Die Mischung macht's

Eines direkt vorweg: Keine der von Golem.de kontaktierten Firmen bietet ein Komplett-Remote-Modell für ihre Beschäftigten an, sei es der Chiphersteller Infineon, der Softwarekonzern SAP oder die Deutsche Telekom. Dennoch lassen sich bei den sieben Firmen, die auf den Fragenkatalog von Golem.de geantwortet haben, gewisse Gemeinsamkeiten herauslesen.

Siemens-Konzernsprecher Wolfram Trost bestätigt beispielsweise, dass alle Angestellten weltweit zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können, "wenn es sinnvoll und machbar ist" . Zalando strebt eine Büropräsenz von 40 Prozent an und möchte laut Head of Culture, New Work und Diversity & Inclusion Veronica Schilling "ein gutes Gleichgewicht zwischen Flexibilität und dem regelmäßigen Austausch mit Kollegen vor Ort ermöglichen."

SAP, die Telekom, Infineon, Mister Spex pendeln sich ebenfalls bei zwei bis drei Tagen Homeoffice oder mobilem Arbeiten pro Woche ein. Lediglich Telefónica Deutschland setzt keine Büroquote und vertraut darauf, dass die entsprechenden Teams für sich passende Lösungen finden.

Dass Remote-Arbeit in der Belegschaft positiv angenommen wird, bestätigen ebenso nahezu alle befragten Unternehmen. "Hybrides Arbeiten ist für uns das 'New Normal' und kommt sehr gut in der Belegschaft an," sagt SAP-Sprecher Hilmar Schepp. "Über 80 Prozent der SAP-Führungskräfte und -Mitarbeitenden berichten, dass sie durch unser hybrides Arbeitsmodell mindestens genauso produktiv oder sogar produktiver sind."

Gregor Rodehueser von Infineon erläutert die Vorteile hybriden Arbeitens so: "Konzeptionelles Arbeiten ist in einer ruhigen Umgebung der eigenen Wahl oft einfacher. Wenn es aber um Kreativität, innovative Lösungen oder die Einführung neuer Mitarbeiter geht, ist auch die persönliche Interaktion gefragt."

Auch Telefónica Deutschland ist von einer Mischform überzeugt. "Zu hybrid gehört das Homeoffice ebenso wie die soziale Interaktion im Büro. In manchen Situationen ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden als Teams zusammenkommen, um sich beispielsweise kreativ auszutauschen" , so das Unternehmen.

Homeoffice auf wenige Wirtschaftsbereiche und kurze Dauer beschränkt

Der befürchtete Produktivitätseinbruch ist zumindest ausgeblieben. Das legen jedenfalls Studien wie der IW-Report ''Homeoffice nach fast zwei Jahren Pandemie''(öffnet im neuen Fenster) nahe, in dem es unter Berufung auf eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) heißt, dass knapp ein Viertel der befragten Unternehmen (22 Prozent) über positive Auswirkungen auf die Produktivität berichteten.

60 Prozent sahen keinen Unterschied, 13 Prozent eine Verschlechterung. Mitarbeiterumfragen ergeben ein ähnliches Bild: Laut des The-New-Era-of-Work-Reports der HR-Firma Softgarden aus dem Jahr 2021 können sich 67 Prozent der befragten Bewerber zuhause besser konzentrieren.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Umfrage der Krankenkasse DAK, bei der 63 Prozent bestätigten, produktiver als im Büro zu sein. Müssten Firmen ihren Mitarbeitern nicht allein deswegen mehr flexibles, hybrides und vor allem eigenverantwortliches Arbeiten ermöglichen?

Eine breit angelegte Studie des CESifo Research Network kommt zu einem anderen Schluss. Die Ergebnisse zeigen, dass die von Golem.de befragten Firmen noch recht freigiebig mit ihren Homeoffice-Regelungen verfahren. Die für die arbeitende Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Bildung repräsentative Umfrage zeigt, dass Deutschland mit durchschnittlich einem Homeoffice-Tag pro Woche nur knapp über dem 34-Länder-Durchschnitt liegt und sich deutsche Angestellte einen weiteren Tag im heimischen Büro wünschen würden.

Wie viele Unternehmen genau zumindest teilweise Arbeit im heimischen Büro anbieten, lässt sich nicht überprüfen, die Quoten bei entsprechenden Umfragen liegen zwischen 25 und 40 Prozent. Das heißt allerdings nicht, dass 25 bis 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung die Möglichkeit auf Homeoffice hat. Remote-Arbeit gibt es vor allem im Dienstleistungssektor - an der Kasse oder auf der Baustelle lässt sich Präsenz nicht ersetzen.

Die Zukunft der Heimarbeit in Deutschland

Fakt ist: Wenn die Aufgaben es erlauben, dürften die wenigsten Unternehmen im Tech-Bereich in Deutschland von ihren Mitarbeitern verlangen, wieder jeden Tag ins Büro zu kommen. Hybrid bleibt Standard, zwei der sieben von Golem.de befragten Unternehmen bieten außerdem noch 20 bis 30 Tage Arbeiten aus dem Ausland an.

Und selbst Dirk Graber, Co-CEO von Mister Spex, der auf Nachfrage als einziger auch konkrete Nachteile wie die größere Herausforderung bei der Ausbildung von Azubis und jungen Mitarbeitern nennt, will in seiner Firma das hybride Arbeiten nicht gänzlich abschaffen.

Fokussierte Heimarbeit auf der einen und kreativer Austausch im Büro auf der anderen Seite dürften also auch die deutsche Arbeitswelt in den nächsten Jahren weiterhin bestimmen - eine Mischung, die Arbeitgebern vor der Coronapandemie oft unmöglich erschien, aber vor allem für die Angestellten einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität darstellt.

Und dass produktivere und zufriedenere Mitarbeiter letztlich auch der Unternehmensbilanz helfen und für gute Presse sorgen, sollte zumindest in der Theorie auch kritischen Konzernchefs wie Elon Musk einleuchten. Bis diese Erfolgsgeschichte allerdings zur Etablierung mutigerer Konzepte wie der viel diskutierten Vier-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung führt, dürfte noch einiges an Zeit vergehen.

Weitere Informationen zum Thema Homeoffice gibt es hier in unserem Karriere-Ratgeber


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