IMHO: Gema und Youtube - der Kampf ums Urheberrecht
Nach der Urteilsverkündung im Rechtsstreit zwischen Youtube und Gema fühlten sich beide Seiten als Gewinner. In Wahrheit gibt es aber nur einen Verlierer, bloggt Medienrechtsexperte Thomas Hoeren: die Gema.

Da hatte sich die Gema zu früh gefreut. Als die Richter am Landgericht Hamburg die Sperrung illegaler Musikvideos durch Youtube anordneten (Urteil vom 20. April 2012 - 310 O 461/10), frohlockte die klagende Musikverwertungsgesellschaft über ihren Präzedenzsieg und sprach von einem Urteil mit großer internationaler Signalwirkung. Dem ist aber nicht so.
Was war wirklich geschehen? Die Gema hatte sich bei Youtube darüber beschwert, dass dort 258 Musiktitel aus dem Gema-Repertoire auftauchten. Daraufhin wurden die Videos gesperrt; doch zwölf Videos tauchten kurze Zeit später wieder auf. Wieder kam es zur Sperrung, diesmal allerdings mit einem deutlichen Zeitabstand von mehreren Wochen. Dies erschien der Gema als zu lang. Außerdem suchte sie nach Möglichkeiten, den festgefahrenen Vertragsverhandlungen einen gerichtlichen Schub zu geben, und versprach sich viel von einer Klage beim Landgericht Hamburg, das traditionell im Urheberrecht als verbotsfreudig bekannt ist.
Doch die Musikverwertungsgesellschaft hatte die Rechnung ohne die Richter gemacht. Diese lehnten zunächst einmal die Hauptargumentationslinie der Klägerin ab, Youtube unterliege der sogenannten Täterhaftung (anders noch LG Hamburg, Urteil vom 03.09.2010 - 308 O 27/09). Für die Vertragsverhandlungen der Gema mit dem Videoportal hätte diese Konstruktion dazu geführt, dass die Videos als eigene Inhalte von Youtube anzusehen gewesen wären und das Portal damit wie iTunes/Apple oder andere Musikanbieter zur Kasse hätte gebeten werden können.
Dem Gericht gefielen diese Überlegungen nicht. Youtube habe keine redaktionelle Kontrolle über die eingestellten Videos; auch wirtschaftlich seien dem Unternehmen die präsentierten Inhalte nicht zuzuordnen. Youtube sei Störer, nicht Täter. Damit entfällt die Pflicht von Youtube, der Gema Lizenzgebühren zu entrichten - ein echter Pyrrhussieg der Münchner.
Youtube hat sieben einzelne Musikvideos zu spät gesperrt
Als Störer muss sich Youtube allerdings einige Fragen gefallen lassen. Nach der herrschenden Auslegung des hier einschlägigen Telemediengesetzes muss ein Hostprovider zumindest auf Zuruf illegale Inhalte "unverzüglich" sperren. Youtube ließ sich mit der Sperrung im vorliegenden Fall mehrere Wochen Zeit.
Das ist - wie das Gericht zu Recht betont - zu lang und nicht mehr "unverzüglich". Damit ist der Kern der bis dahin sehr korrekten und ausgewogenen Entscheidung umschrieben: Youtube hat sieben einzelne Musikvideos zu spät gesperrt. Was in der Presse darüber hinaus als Gema-Sieg kolportiert wurde, entstammt mehrheitlich der Schreibe überhektischer Journalisten.
Das Urteil enthält dann aber auch noch eine Überraschung. Das Gericht macht sich nämlich auch dazu Gedanken, was Youtube von sich aus hätte tun müssen, um eine künftige illegale Verbreitung der streitgegenständlichen Musiktitel zu verhindern. Das Gericht betont dabei mehrfach, dass diese Überlegungen für die Lösung des Falls keine Rolle spielen. Es handelt sich insofern um reine obiter dicta ohne Bindungswirkung, Vorschläge des Gerichts für Youtube, ohne Unterfütterung durch Sachverständigengutachten.
Eine allgemeine, proaktive Überwachungspflicht lehnt das Gericht zutreffend ab; erst ab Kenntnis von einer konkreten Rechtsverletzung käme eine solche Pflicht in Bezug auf künftige Uploads in Betracht (so auch das vom Landgericht zitierte EuGH-Urteil vom 16. Februar 2012 - C - 360/10 - Sabam gegen Netlog BV). Bei den konkret vorzunehmenden Einzelfallfilterungen war dem Gericht klar, dass Youtube mit dem selbst entwickelten Content-ID-Programm sehr effiziente Tools zur Filterung illegaler Inhalte besitzt. Damit lassen sich Tonaufnahmen identifizieren, die mit einer bei Youtube vorhandenen Referenzaufnahme identisch sind.
Zur effizienten Filterung reicht das Content-ID-System nicht aus
Das System basiert auf einer Kooperation mit den Rechteinhabern, die bereits über 9 Millionen Referenzdateien für die Datenbank bereitgestellt haben. Diese können mit dem System frei entscheiden, ob sie eine entdeckte Raubkopie sperren oder mittels Werbeeinblendungen und damit verbundenen Einnahmen legalisieren wollen. Während in vielen Ländern so enorme Erträge zugunsten der Kreativen generiert werden, fällt diese Option wegen der zentralen Rechts- und Sperrstellung der Gema aus.
Doch zur effizienten Filterung reicht dem Gericht das Content-ID-System nicht aus; es verlangt von Youtube zusätzlich einen Wortfilter, der kumulativ den Titel und den Interpreten der in einem Video beanstandeten Musikaufnahme enthält. Diese Vorschläge sind technisch und rechtlich nicht haltbar. Rein faktisch werden die Nutzer sehr schnell durch falsche oder unvollständige Dateinamen den Filter umgehen. Auch besteht die Gefahr des grundrechtsrelevanten Overblocking, da durch die Wortfilter auch Videos identifiziert würden, die das gesuchte Werk gar nicht enthalten.
So zeigen sich bei Eingabe eines der streitgegenständlichen Lieder "Im Kindergarten" von Rolf Zuckowski 183 Treffer bei Youtube, einschließlich Videos zum hier diskutierten Urteil. All diese müssten erst einmal gesperrt werden. Das Gericht schlägt dann zwar vor, doch die betroffenen User vorab einzubinden und diese verfahrensmäßig vor der Sperrung über die "bedenklichen" Schlüsselbegriffe zu informieren. Doch das ist mühevoll und kompliziert. Wer weiß schon, ob etwas rechtens ist? Und: Rührt sich der User nicht, käme es wohl zur Sperrung. Insofern würden viel Unschuldige durch ein solches Notice-and-Take-Down-Verfahren eingeschüchtert und in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt.
Wie geht's nun weiter?
Gema und Youtube werden sich sicher bis zum BGH streiten; die Gema hat schon die Berufung angekündigt. Dabei käme wegen der europarechtlichen Vorfragen auch eine Vorlage an den EuGH in Betracht. Bis dahin erhalten die Kreativen über Jahre hinweg keinen Cent aus der Youtube-Nutzung, werden User durch Sperrhinweise genervt. In über 40 Ländern ist es Youtube gelungen, den Rechteerwerb mit Musikverwertungsgesellschaften zu regeln - nur in Deutschland nicht, wo die Gema - als weltweit einzige Verwertungsgesellschaft - auf einer hohen Mindestvergütung pro Abruf besteht. Und damit ist der eigentliche Verlierer des vorliegenden Rechtsstreits ausgemacht: die Gema.
Der Autor Professor Dr. Thomas Hoeren ist ein deutscher Rechtswissenschaftler mit Schwerpunkt Informations- und Medienrecht. Er war bis Ende 2011 Richter am OLG Düsseldorf. Seit 2012 ist er Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Hoeren ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift "Multimedia und Recht" und Autor im Beck Blog. Das kostenlose Script "Internetrecht" wird seit einigen Jahren von ihm veröffentlicht. Der Artikel erschien zuerst auf blog.beck.de.
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