Allein und krank im Homeoffice

Der Trend zur Entsozialisierung des Arbeitsplatzes verstärkt sich, damit treten Krankheiten wie Depressionen seit der Pandemie immer häufiger auf. Auch wenn ein Zusammenhang mit Remote-Arbeit nicht nachgewiesen werden kann, so haben alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich spreche, das Gefühl, früher mehr Zusammenhalt bei der Arbeit gespürt zu haben. Die Avatare aus den Onlinemeetings werden austauschbarer, wir alle fühlen uns anonymer. Die Kamera bleibt immer häufiger aus. All das kann sogar krank machen.

Ebenfalls krank machen kann es, wenn die Arbeit nie wirklich endet. In einem meiner Projekte erlebte ein Kollege einen Hörsturz. Der Arzt sagte, dass der Hörsturz auch durch die Arbeit ausgelöst worden sein könnte. Der Kollege selbst reflektierte, dass er gar nicht mehr wirklich unterscheiden könne, wann er privat Zeit am Computer verbringe und wann beruflich. Man sei eben zu Hause und beschäftigt bis in den späten Abend. Das schlechte Gewissen, wenn man mal ein oder zwei Dinge im Haushalt tagsüber erledige, werde dann mit Überstunden am Abend kompensiert.

Die räumliche Trennung von Privatleben und Arbeit ist nicht mehr möglich. Am Rechner sind die beruflichen Programme ohnehin immer geöffnet, und durch die flexiblen Arbeitszeiten ist dauernd jemand aus dem Team online. Mein Kollege arbeitete faktisch mehr als zwölf Stunden am Tag, war ständig erreichbar und ansprechbar. Die Pausen verbrachte er meist allein am Küchentisch oder mit dem Essen direkt vor dem Rechner. Wer für die Mittagspause keinen Blocker in seinem Terminkalender habe, werde eben gebucht, hieß es.

So geht es also auch nicht. Der Weg liegt in der Mitte, wie so oft. Erste Ideen gibt es, aber sie reichen noch lange nicht. Mit einem Team habe ich es beispielsweise geschafft, einen Vorort-Workshop zu organisieren. Ich bat darum, dass wir vorher gemeinsam zu Mittag essen und auf Wunsch nach dem Workshop gemeinsam ein Getränk nehmen. Der Workshop war ein Erfolg, der Abend war unterhaltsam und das erste Mal kam wieder ein Teamgefühl auf. Von diesem Event profitierten unsere Zusammenarbeit mehrere Wochen. Man kannte sich besser, nur weil man einander persönlich getroffen hatte. Das Dartspielen in der Kneipe hatte mehr Zusammenhalt geschaffen als jedes Onlinemeeting vorher.

Ich rate daher immer dazu, dass es mindestens ein reales Treffen mit Raum und Zeit für Gespräche auch abseits der Arbeitsinhalte geben sollte - egal, woher die einzelnen Teammitglieder anreisen und wie groß der Anteil der Remote-Arbeit ist.

Mehr Zeit für Nebensächlichkeiten einplanen

Nicht immer ist es möglich, reale Treffen zu veranstalten, vor allem, wenn die Teams international zusammengesetzt sind. Aber wie können wir dann eine Entsozialisierung vermeiden? Wie begegnen wir diesem Trend und was können wir tun, um die Arbeitszeit abseits der eigenen vier Wände wieder sozialer zu gestalten?

Ich habe mit jedem meiner Teams mindestens einmal pro Woche eine Stunde Social Time, online. Das ist auch nur ein Meeting, doch es ist verboten, dort über die Arbeit zu sprechen. Ganz wichtig: Es findet während der regulären Arbeitszeit statt. Jeder bringt lustige Youtube-Videos mit, wir schauen gemeinsam zum Beispiel über Sync-Tube oder erzählen uns Geschichten aus dem privaten Leben. Wer hat einen interessanten Artikel gelesen? Wer hat etwas Lustiges erlebt? Dass dieses Treffen während der Arbeitszeit stattfindet, kam nicht überall gut an. Aber der Effekt ist größer, als würde eine solche Veranstaltung nach dem regulären Arbeitstag stattfinden.

So ein Treffen während der Arbeitszeit sorgt natürlich nicht für den gleichen Zusammenhalt wie jeden Tag eine persönliche, gemeinsame Mittagspause. Wenn möglich, versuchen wir uns auch im Büro zu treffen, und ich mache den Teams immer wieder Angebote - für eine Retrospektive vor Ort, einen Workshop mit gemeinsamer Mittagspause, ein Review mit den Stakeholdern im Office.

Auch in den Onlineretrospektiven baue ich bewusst Aspekte ein, die den Zusammenhalt im Team fördern. Das können kleine Spiele sein oder die Möglichkeit, über persönliche Empfindungen im Berufsalltag zu sprechen. Hinzu kommt, dass ich mit allen Teammitgliedern einzeln spreche und sie einlade, das persönliche Gespräch mit den anderen Teammitgliedern zu suchen. Eine Kollegin erzählte mir, dass sie Online-Yoga in einer "bewegten Mittagspause" mit einigen anderen mache. Auch das ist ein interessanter Ansatz. Und wenn jeder die Kamera auf die eigene Yoga-Matte richtet, lässt die Situationskomik alle ein bisschen lockerer werden.

Die Mischung wird entscheiden

Vor allem Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an sich binden und nicht austauschbar sein wollen, stehen vor einer großen Herausforderung: zu viel Office-Zwang oder zu große Online-Anonymität? Führung ist in diesen Zeiten gefragter denn je; es werden neue, andere Skills gefordert sein. Eine Gruppe, die nie zusammen ist und sein wird, zu einem Team zu formen, erfordert Skills, die es vor einigen Jahren noch nicht gebraucht hat.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird es schwieriger, Anschluss zu finden; für die Neuen wird es problematischer, im Job anzukommen. Die neue große Freiheit stellt uns vor soziale Herausforderungen. Es gilt eine neue Balance zu finden, damit sich die veränderte Arbeitswelt gut anfühlen kann - und zwar von den Managern. Freiheit und Führung gehen Hand in Hand, es bedarf neuer Konzepte und Ideen, wie Teams auch ein soziales Gefüge etablieren können, ohne ständig im gleichen Raum sitzen zu müssen. Was wir bisher probieren, ist ein Anfang. Um Remote-Arbeit auf breiter Ebene als Dauerlösung zu etablieren, braucht es mehr.

Marvin Engel ist selbstständiger IT-Projektmanager, Coach, Berater und Trainer. Für Golem.de schreibt er seit 2018 Artikel aus seiner Berufspraxis. Seit Herbst 2020 berät er auch über die Golem Karrierewelt IT-Profis in beruflichen Fragen.

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