Humane AI Pin: Kann ein KI-Wearable schon ein Smartphone ersetzen?

Humane hat Mitte November 2023 seinen AI Pin(öffnet im neuen Fenster) vorgestellt - ein kleines Gerät , das an der Kleidung befestigt wird und Nutzern mittels künstlicher Intelligenz, einer Kamera, einem Mikrofon und einem Lautsprecher im Alltag helfen soll. Der AI Pin ist ein Standalone-Gerät, das kein Smartphone benötigt, und kostet mit 700 US-Dollar auch so viel wie ein sehr gutes Android-Smartphone.
Im Präsentationsvideo zum AI Pin erklärt Humanes Präsident Imran Chaudhri - der wie seine Frau und Humane-CEO Bethany Bongiorno vorher bei Apple war -, dass der Anstecker für eine zukünftige Welt gebaut wurde. Eine Welt, "in der wir die volle Kraft der KI überall hinnehmen und sie nahtlos in unser tägliches Leben einfügen können" .
Direkt als Smartphone-Ersatz bezeichnet Chaudhri den AI Pin zwar nicht. Die Betonung, dass es sich um ein Standalone-Gerät handelt sowie die gesamte Art und Weise der Präsentation deutet dies aber an - die Frage ist: Taugt Humanes AI Pin als Smartphone-Ersatz? Und falls ja, für wen?
Humanes AI Pin ist ein KI-Helfer im Broschenformat
Bevor diese Fragen beantwortet werden können, lohnt sich ein Blick darauf, was der AI Pin alles können soll. Erstmal soll es sich noch besser in den Alltag integrieren. Nutzer müssen kein Smartphone mehr aus der Tasche ziehen und Eingaben machen - stattdessen tippen sie auf den Pin und stellen ihre Frage. Apps kennt der KI-Anstecker nicht: Alle Anfragen werden von der KI des CosmOS genannten Betriebssystems bearbeitet.







Fragen Nutzer beispielsweise nach einem bestimmten Musikstück, wird es dank einer Kooperation mit Tidal abgespielt. Das Musikabo ist im monatlichen Preis von 24 US-Dollar inkludiert, die für die Nutzung des AI Pins gezahlt werden müssen. Das Abonnement beinhaltet unter anderem die Internetverbindung über T-Mobile sowie den Zugang zu ChatGPT und weiteren Diensten. Auch eine Simultanübersetzungsfunktion ist inkludiert.
Der Lautsprecher des AI Pin ist so ausgerichtet, dass vor allem die Nutzer den Klang hören sollen - der Speaker kann aber auch laut werden. Alternativ können auch Bluetooth-Headsets verwendet werden. Dank der KI lässt sich nach spezifischen Musikstücken fragen, wie Chaudhri in der Demonstration zeigt - etwa nach den besten Stücken aus Science-Fiction-Filmen. Die Musiksteuerung erfolgt über ein Display, das mittels Lasern auf die Handinnenfläche projiziert wird. Über dieses Display können Nutzer auch die Uhrzeit oder das Wetter einsehen.
Die Kamera des AI Pin kann nicht nur Fotos aufnehmen, sie dient der KI auch als Scanner. Nutzer können beispielsweise Lebensmittel in der Hand auf Zuckergehalt analysieren und dies in ihren täglichen Ernährungsplan aufnehmen lassen. E-Mails und andere Nachrichten werden per Spracheingabe diktiert; Nutzer können den Text mittels weiterer Kommandos vor dem Versenden anpassen, um beispielsweise eine andere Tonlage zu verwenden.
Der AI Pin kann einiges - aber vieles auch nicht
All die beschriebenen Funktionen klingen durchaus nach Hilfe im Alltag - ein Blick auf den Startbildschirm eines durchschnittlichen Smartphones zeigt aber die Beschränkungen, die der AI Pin als Standalone aufweist. Einen echten E-Mail-Client oder Whatsapp, Signal etc. gibt es nicht - Nutzer von Humanes Anstecker sollen stattdessen eine Zusammenfassung der täglichen Ereignisse bekommen oder per Sprachkommando nach Inhalten in Nachrichten suchen. Manchmal ist es aber durchaus notwendig, in einen E-Mail-Client oder eine Chat-App zu schauen - und sei es nur, um sich ein Foto anzuschauen.
Apropos Foto: Die mit dem AI Pin aufgenommenen Bilder lassen sich aufgrund des fehlenden Displays des AI Pin unterwegs nicht anschauen, wenn man keinen Rechner dabei hat. Über eine Webseite haben Besitzer des AI Pin Zugriff auf ein Dashboard, das unter anderem Fotos, Notizen und weitere gesammelte Inhalte anzeigt. Ganz Standalone ist Humanes Wearable dann doch nicht.
Schauen wir weiter auf unser Smartphone, finden sich Apps wie Netflix und Youtube - der kurze Videogenuss zwischendurch ist mit dem AI Pin nicht möglich. Instagram, Facebook und andere Social-Media-Apps gehen ebenfalls nicht. Humane betont die Sicherheit des AI Pin - die Verbindung soll verschlüsselt sein, zudem sperrt sich das Gerät, sobald jemand die Hardware manipuliert. Banking-Apps gehen trotzdem nicht, und das ist verständlich: Der Gedanke, eine Überweisung ausschließlich per Sprachkommando durchzuführen, ist nicht besonders verlockend.
Alles, wofür man auf den Bildschirm schauen muss, wird zum Problem
Newsreader können vielleicht bedingt durch Nachrichtenzusammenfassungen des AI Pin ersetzt werden. Auch dann gibt es aber keine Fotos. Spiele dürften wohl grundsätzlich auf dem AI Pin nicht möglich sein, ebenso Apps von Fluggesellschaften oder der Bahn. Der Anstecker hat zwar eine Kamera, für Videokonferenzen dürfte er sich aber dennoch nicht eignen - vor allem, weil man die anderen Teilnehmer nicht sehen kann.







Bei einigen Apps können wir uns vorstellen, dass der AI Pin zumindest teilweise einen Ersatz bieten kann. Das betrifft vor allem Musikstreaming, Telefonie oder zu gewissen Teilen auch die Navigation. Die Richtungsanweisungen würden dann per Sprachausgabe an die Nutzer weitergegeben werden.
Unbestritten ist, dass der AI Pin kurze Anfragen wahrscheinlich schneller erledigen kann als ein Smartphone. Andere Funktionen erscheinen uns allerdings als umständlich oder realitätsfern, etwa die Shoppingfunktion. Nutzer können beispielsweise ein Buch vor die Kamera halten und den AI Pin fragen, was es online kostet.
In der Regel dürfte es beim Onlineshopping aber so sein, dass man nicht exakt das Produkt zur Hand hat, das man kaufen möchte. Stattdessen dürften die meisten Nutzer eher verschiedene Produkte anschauen und das passende wählen - wie das mit dem AI Pin gehen soll, ist uns schleierhaft.
Der AI Pin ist nur bedingt ein Ersatz für ein Smartphone
Für den überwiegenden Großteil der aktuellen Smartphone-Nutzer dürfte der AI Pin kein Ersatz für ihr Mobiltelefon sein - es fehlt schlicht das Display. Dass der AI Pin es für manche Nutzer doch ersetzen kann, würden wir aber nicht ausschließen: Wer die oben genannten Anwendungen nicht verwendet und eher einen Begleiter für den Alltag sucht, könnte mit dem AI Pin glücklich werden. Aber auch dann glauben wir, dass es die eine oder andere Situation gibt, in denen Nutzer ein Smartphone eigentlich gut gebrauchen könnten.
Viele der Funktionen des AI Pin lassen sich mit einem herkömmlichen Smartphone auch erledigen, beispielsweise Nachrichten per Sprachkommando versenden oder nach dem Zuckergehalt eines Lebensmittels fragen. Humane ist dabei Smartphones durch die bessere Einbindung von KI noch voraus, was beispielsweise die Umformulierung von Nachrichten zeigt, oder auch die tägliche Zusammenfassung.
Vor allem Google ist aber bereits dabei, KI in seine Produkte einzubinden - und damit auch auf Smartphones zu bringen. Der Google Assistant beispielsweise bekommt gerade eine Bard-Anbindung, was zu vergleichbaren Funktionen wie bei Humanes AI Pin führen könnte.
Preis erhöht sich durch monatliche Gebühr
Bei einem Preis von 700 US-Dollar plus 24 US-Dollar monatlich (das sind 576 US-Dollar in zwei Jahren) ist Humanes AI Pin ein ziemlich teures Extra. Auf Twitter/X(öffnet im neuen Fenster) spricht das Unternehmen von einem "unglaublichen Launch" . Wie gut sich der AI Pin im Alltag schlagen wird, werden die ersten Tests des Gerätes zeigen.
Bei dem KI-Anstecker handelt es sich um das erste Gerät von Humane - Chaudhri und Bongiorno haben im Vorstellungsvideo bereits angekündigt, dass der AI Pin für das Unternehmen nur der Anfang sei. Bei einer der letzten Funding-Runden konnten 100 Millionen US-Dollar an Kapital gesammelt werden - es bleibt abzuwarten, was Humane mit dem Geld noch anstellen wird.



