Hochwasser-Katastrophe: Telekom bezweifelt Sinn von Warn-SMS
Mit dem Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen stellen sich auch Fragen an die Netzbetreiber. Die Grünen wollen wieder Sirenen zur Warnung der Bevölkerung.

Die Deutsche Telekom nutzt in ihren Netzen die Funktion Cell Broadcast nicht. Das sagte Telekom-Sprecher Philipp Kornstädt Golem.de am 19. Juli 2021 auf Anfrage. "Beim aktuellen Katastrophenfall wurde die Infrastruktur so stark beschädigt, dass viele Netzkomponenten ausgefallen sind. Hier würde auch eine Funktion Cell Broadcast nicht funktionieren."
Vor der Katastrophe könne eine entsprechende Warnung über Handynetze koordiniert und netzbetreiberunabhängig durch die Nina-App des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) durchgeführt werden, erklärte Kornstädt.
Man kann zudem an jedem Mobiltelefon noch vor dem Login das Notrufsystem unter 112 anrufen, was mit Quality of Service ermöglicht wird. Das Endgerät bucht sich dann in das beste verfügbare Mobilfunknetzwerk ein. Ist das Handy 4G/5G-fähig, sendet es auch die Standortdaten mit. Falls der Dienst nicht gleich funktioniert, sollte das Handy aus- und wieder eingeschaltet werden, um Hilfe zu rufen.
Cell Broadcast ist als unidirektionaler Dienst im Katastrophenfall auch bei überlasteten Netzen verfügbar. In LTE-Netzen wird Cell Broadcast mit MME (Mobility Management Entity) erzeugt. In 5G-Netzen heißt die Mehrpunktverbindung AMF (Access and Mobility Management Function). Das 3G-Netz ist in Deutschland weitgehend abgeschaltet, doch BSC (Base Station Controller) in GSM-Netzen (2G) funktioniert weiter.
SMSCB, häufiger Cell Broadcast genannt, sind Eins-zu-viele-Nachrichten. Sie lassen sich in wenigen Sekunden für ein gesamtes Land oder begrenzt auf bestimmte Gebiete aussenden. "Die Telefone müssen nicht einmal in einem bestimmten Netz registriert sein, um diese Nachrichten zu empfangen, und Alarme mit der höchsten Priorität lösen sogar einen Alarm aus, wenn das Telefon stumm geschaltet ist. Außerdem haben solche Broadcasts im Gegensatz zu SMS und mobilem Internet einen reservierten Kanal, der auch dann funktioniert, wenn die Funkzellen mit vielen eingewählten Geräten und Nachrichten überlastet sind", erklärte die Free Software Foundation Europe (FSFE) im November 2020. Da es sich um eine Eins-zu-viele-Kommunikation handelt, gebe es auch keine Datenschutzbedenken.
Die Behörden könnten per Apps wie Katwarn und Nina gezielt vor Unwettern warnen, erklärte auch Vodafone-Sprecher Volker Petendorf. Bei Katwarn erfolge dies postleitzahlengenau per SMS, E-Mail oder über eine Handy-App. Nina steht ausschließlich über eine Handy-App zur Verfügung. Beide Apps nutzen die Daten des Deutschen Wetterdienstes, um vor Unwetterlagen zu warnen.
Behörden lassen Cell Broadcast implementieren
"In den Katastrophengebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz standen unsere Netze - und damit auch die Warn-Apps- vor dem Unwetter komplett zur Verfügung. Andere technische Systeme wie Cell Broad Cast und Location Based Services wurden in Deutschland von den Behörden nicht implementiert", sagte Petendorf.
Cell Broadcast ist aktuell auch nicht im Telefónica-Netz aktiviert. "Sollten die Behörden künftig weitere beziehungsweise zusätzliche digitale Kanäle - wie etwa die Cell-Broadcast-Technologie - nutzen wollen, stehen wir selbstverständlich für einen Dialog zur Implementierung und Ausgestaltung des Verfahrens zur Verfügung", sagte Florian Streicher.
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen fordern, als Konsequenz aus den Katastrophenfällen nach dem Unwetter wieder Sirenen zur Warnung der Bevölkerung aufzustellen. "Es ist dringend notwendig, das System der Warnsirenen wieder aufzubauen", sagte die Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Verena Schäffer, dem Kölner Stadt-Anzeiger.
"Das funktioniert natürlich nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger darüber aufgeklärt werden, welcher Warnton wie zu verstehen und wie darauf zu reagieren ist", erklärte Schäffer. Da es künftig wegen der Klimakatastrophe häufiger Extremwetterereignisse geben werde, "müssen wir über Konsequenzen für den Katastrophenschutz diskutieren, dazu gehören unter anderem verpflichtende Katastrophenschutzbedarfspläne für die Städte und Kreise". Vor den Überflutungen hätten die Unwetterwarnungen rechtzeitig vorgelegen. Es stelle sich die Frage, "wann genau das NRW-Innenministerium von den Unwetterwarnungen wusste und mit welchem Nachdruck es die Städte und Kreise als Katastrophenschutzbehörden zum Handeln aufgefordert hat".
FDP: Cell Broadcasting hätte möglicherweise Menschenleben retten können
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, forderte die Bundesregierung auf, ihr Katastrophen-Informationssystem zu reformieren und die Bevölkerung per Textnachricht zu warnen. "Die Hochwasserkatastrophe ist eine furchtbare Tragödie", sagte Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Viel Leid hätte verhindert werden können, wenn die Opfer frühzeitig gewarnt worden wären." Er fügte hinzu: "Ich habe nichts gegen Sirenen. Aber eine Textnachricht aufs Smartphone kann viel präziser warnen."
Die Bundesregierung müsse deshalb ihren Sonderweg beenden und wie andere Länder sowie die Europäische Union auf eine einfache Warntechnologie setzen. "Mit Cell Broadcasting können konkrete Warnhinweise ohne Handynummern gezielt in betroffenen Gebieten verschickt werden." Diese - von Experten befürwortete, aber teure - Technologie müsse jetzt konsequent genutzt werden. "Der Einsatz dieser Technologie hätte möglicherweise Menschenleben retten können."
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Hier als einfacherer Link: https://en.wikipedia.org/wiki/File:COVID19_-_Cell_alert.jpg...
Ach? So einfach ist das? Wir haben z.B. kein Radio mehr. In meinem Bekanntenkreis haben...
Man benötigt eh beides. Szenario 1, in dem CB nicht funktioniert: Wenn ich eine Warnung...
Den Film finde ich nicht gut, zum einen weil die Kamera die halbe Zeit sinnlos durch die...