Große Autohersteller verdrängen kleinere Kunden
Ob das Engagement der Bundesregierung für die Belange von Herbert Diess und seinen Kollegen doch nicht ausreichend war, ist unklar. Fest steht aber: Allein auf die Hilfe von Wirtschaftsminister Altmaier wollten sich die Autobosse der Ingenieurskunst bei Audi, VW & Co. ohnehin nicht verlassen. Sie beschlossen vielmehr, nicht nur anderen die Schuld für ihre eigenen Versäumnisse zuzuschieben, sondern versuchten vor den Augen der staunenden Marktbeobachter, sich den Weg zu den benötigten Chips mit viel Geld zu erkaufen.
"Um in der gegenwärtigen Situation doch noch bedient zu werden, haben viele Automobilkonzerne und ihre Tier-1-Lieferanten versucht, durch Einmalzahlungen und Investitionsbeteiligungen Druck von ihrer Lieferkette zu nehmen", erklärt Thibault Pucken, Geschäftsführer der auf den Einkauf spezialisierten Unternehmensberatung Inverto.
So steuern laut Recherchen des Redaktionsnetzwerks Deutschland beispielsweise Bosch, NXP, Infineon und andere Kunden ein Drittel zu den 450 Millionen Euro bei, die Globalfoundries demnächst in die Erweiterung der Kapazitäten seines Werks in Dresden investieren will. "In Teilen der Halbleiter-Wertschöpfungskette entsteht so ein Verdrängungswettbewerb, bei dem kleinere Kunden zwischen den Seilen hängen bleiben", sagt Pucken.
Eine Studie des Digitalverbands Bitkom bestätigt das. Darin beklagen drei von vier Befragten, dass die Ungleichheit im Wettbewerb um digitale Technologien zuletzt deutlich zugenommen habe.
Halbleitermangel trifft Autobauer weltweit
Ihre finanziellen Muskelspiele haben der Automobilindustrie allerdings nicht weitergeholfen. Ende April mussten Audi und Daimler ihre Produktion erneut einschränken und Tausende Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, weil der Nachschub an Mikroelektronik ausging.
Mit solchen Problemen sind die deutschen Autobauer nicht mehr allein. Die Konkurrenz in den USA hat aufgrund des Halbleitermangels im ersten Quartal 1,3 Millionen Autos weniger gebaut als geplant, schätzt IHS Markit. Ford muss die Fertigung in manchen Werken noch bis Juli 2020 anhalten.
Auch Fiat, Hyundai und Toyota ließen ihre Fertigungsstraßen zeitweise langsamer laufen. Bei Peugeot setzen Arbeiter inzwischen analoge statt digitale Tachometer in die Armaturenbretter ein, um einen Produktionsstillstand zu vermeiden.
Lösen lässt sich die Halbleiterkrise in der Automobilindustrie jedoch weder durch den Pragmatismus der Franzosen noch durch das Imponiergehabe der Vorstände in Wolfsburg, Ingolstadt und Stuttgart. Dazu müssten sie zunächst verstehen, dass Halbleiterproduzenten nicht auf sie warten.
Wer zu spät kommt, stellt sich hinten an
"Foundries müssen ihre Werke zu wenigstens 85 Prozent auslasten. Sonst machen sie Verluste", erklärt Sven Baumann, Referent für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik beim Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). "Die Fabriken produzieren deshalb 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr." Ungenutzte Kapazitäten, die als Puffer dienen könnten, wenn die Nachfrage unerwartet steigt, gebe es daher in der Branche nicht.
Als Auftragsfertiger ist für die Foundries auch unwichtig, mit den Bestellungen welcher Kunden sie ihre Produktion auslasten. "Sie arbeiten Aufträge in der Reihenfolge ab, in der diese reinkommen, beziehungsweise zu dem Zeitpunkt, zu dem die Fertigung vertraglich vereinbart wurde", ergänzt Baumann. Schließlich funktioniere ihr Geschäftsmodell nur, wenn sie Nachfrageschwankungen bestmöglich ausgleichen.
Deutsche Autobauer müssen die von ihnen benötigte Mikroelektronik also rechtzeitig bestellen oder sich bei den Fabs hinten anstellen. Die Schlange ist lang.
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Halbleiterkrise: Chip-Knappheit ohne Ende | Mining-Farmen, Corona, Trump - der Mangel hat viele Ursachen |
Da haben Unternehmen etwas Spielraum. Sicherlich waren eher die Mitarbeiter (nach Wahl...
Du hast die Kobolde vergessen...
Absolut, wirklich sehr gut recherchiert. Sowas liest man sehr gerne!
Naja, theoretisch würde dafür auch eine einzige CPU/Steuereinheit reichen. Man müsste...