Verschwindende Webseiten und politische Fehlsteuerung
GF-Pressesprecherin Karin Raths ließ knapp wissen, man habe "für den Fall eines Versorgungsengpasses Vorsorge getroffen, so dass wir derzeit davon ausgehen, dass die Fertigung nicht beeinträchtigt wird". Zudem sei man ohnehin gerade dabei, die Energieversorgung in Dresden zu erneuern. Das hatte das Unternehmen bereits am 16. Dezember 2021 in einer Pressemitteilung angekündigt. Das Gaskraftwerk am Dresdner Standort sollte effizienter werden - aber immer noch Gas verbrennen (oder Wasserstoff).
Und davon nicht gerade wenig - eine Terawattstunde Energie benötigt die Fab 1 im Jahr. Die Pressemitteilung rechnete auch gleich um: Das ist so viel wie 125.000 Haushalte, inklusive Heizung. Also hakten wir nach, ob das der aktuelle Stand sei oder die Pläne überarbeitet worden seien.
Auf die Rückfrage kam von der Pressestelle keine Antwort mehr - dafür verschwand die Pressemitteilung und es ist nur noch eine Fehlermeldung zu sehen. Allerdings findet sie sich noch über eine andere URL.
Haben die Unternehmen Fehler gemacht?
Es drängt sich die Frage auf: Haben die von einer möglichen Einschränkung der Gasversorgung betroffenen Unternehmen sich sehenden Auges in eine missliche Lage manövriert? Die politischen Spannungen mit Russland bestehen schließlich nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine.
Es kommt auf die Betrachtung an. Ein Bekannter, lange Jahre als Wirtschaftsprüfer tätig, sagte mir einmal: Ein Unternehmen muss nach den Interessen seiner Anleger handeln. Betriebswirtschaftlich ist egal, wo die Energieträger herkommen - was zählt, ist lediglich die günstigere Variante. Betriebswirtschaftlich haben die Unternehmen alles richtig gemacht, es wäre an der Politik gewesen, passende Bedingungen zu schaffen.
Darüber hinaus gilt, darauf wies Uta Steinbrecher von X-Fab hin, dass "auf Unternehmensebene der Handlungsspielraum eher beschränkt" ist. Zwar versucht jedes Unternehmen, die Situation so gut wie möglich zu meistern. Auch gaben sich alle angefragten Firmen zuversichtlich, dass keine Produktionsausfälle zu erwarten seien. Einige der Reaktionen auf unsere Anfragen sprechen allerdings eine andere Sprache. Dass GF lieber versucht, Pressemitteilungen verschwinden zu lassen, statt auf Fragen einzugehen, legt den Schluss nahe: Hier ist man im Krisenmodus.
Die Handlungsspielräume der Unternehmen sind aktuell tatsächlich sehr begrenzt. Konkret gibt es für sie nur drei Möglichkeiten, die Situation zu meistern: Energie zu sparen (zum Beispiel weniger zu heizen), andere Energieträger zu verwenden und zu versuchen, neue Bezugswege für Erdgas zu finden. Die anderen Energieträger sind dabei jedoch weiter fossil, Öl aus autokratischen Monarchien ist ebenfalls problematisch - auch wenn sie aktuell keinen offenen Krieg führen. Jetzt schnell auf ganz andere Energieträger umzusteigen, ist aber rein praktisch unmöglich.
Es hätte anders laufen können
Dabei mangelt es in vielen Bereichen nicht an Alternativen zum Erdgas, sie müssen allerdings attraktiv sein. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen setzen. Nur geschah hier jahrelang das Gegenteil. Eine Umstellung auf regenerative Energien - und damit eine Unabhängigkeit von problematischen Außenhandelsbeziehungen - wurde nicht verschlafen, sondern regelrecht blockiert.
In den letzten Jahren kam der Ausbau erneuerbarer Energien unter Peter Altmaier fast zum Stillstand, er ist allerdings nur das prominenteste Beispiel. Seit dem Ende der rot-grünen Koalition waren besonders CDU/CSU und FDP bestrebt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zurückzudrehen, Olaf Scholz hielt an der Kohle fest. Veränderungen in der Energieversorgung waren in den vergangenen 15 Jahren vornehmlich "by disaster" statt "by design" - Fukushima lässt grüßen.
Stets waren die Argumente: Geht nicht, zu teuer, wir haben keine Speicher (obwohl es auch hier an Ideen nicht mangelt), es muss Wasserstoff sein. Ansätze wie der CO2-Zertifikatshandel wurden durch großzügig verschenkte Emissionsrechte einer möglichen Lenkungswirkung beraubt. Anstatt das Mögliche zu tun, wurde stets argumentiert, die Technik sei noch nicht so weit.
Nichts tun kann teuer werden
Jetzt zeigt sich aber: Nichts tun kann deutlich teurer werden, als etwas Mögliches, aber noch nicht Perfektes zu machen. Wenn ein milliardenteures Halbleiterwerk drei Jahre lang stillsteht - so lange dauert es, die Reinräume nach einer Abschaltung der Luftfilteranlage wieder sauber zu bekommen -, ist das wesentlich teurer, als vorher beispielsweise Solarzellen zu installieren. Natürlich muss es nicht zu diesem schlimmsten Fall kommen, auszuschließen ist er allerdings auch nicht.
Zumal es nicht nur um die Fabs an sich geht - sie sind nur das anfälligste Glied der Kette. Alle angefragten Unternehmen betonten, dass die Halbleiterbranche einen moderaten Gasbedarf habe - was sich auch lesen lässt als: "Schaltet erst einmal andere ab." Für Zulieferer wie Waferhersteller oder die Chemieindustrie gilt das nicht. Silizium zu schmelzen, erfordert hohe Temperaturen, die nur mit Erdgas erreichbar sind, bei einigen Chemikalien ist es Ausgangsprodukt.
Wieder einmal wird die Anfälligkeit der Industrie durch die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern deutlich. Dank Klimawandel könnte der Winter wieder mild werden, der Gasbedarf also gering bleiben. Dann würde weniger Erdgas verheizt und stünde beispielsweise der Halbleiterindustrie zur Verfügung, vielleicht geht am Ende also alles gut. Aber vorsorglich ist unser nächstes Recherchethema: Gibt es einen Schutzheiligen für die Energieversorgung?
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Halbleiterfertigung & Gaskrise: Ohne Gas keine Chipfertigung |
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Es sind einfach Anforderungen die man nicht mit seinen Alltagserfahrungen vergleichen...
Danke. Ich habe mehrfach ähnliche Erfahrungen gemacht. Wozu gibt es Basel2?
wenn man sich so die wirtschaftsentourage ansieht, die bei jeder reise eines ministers so...
Das ist mal nen gute Beitrag
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