Gutachten zu Netzpolitik.org: Range kritisiert "unerträglichen Eingriff" in Justiz

Der Streit zwischen dem Generalbundesanwalt und der Regierung eskaliert. Ein neues Gutachten soll bestätigen, dass Netzpolitik.org Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat. Doch die Justiz soll es nicht verwenden dürfen.

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Generalbundesanwalt Harald Range sieht die Unabhängigkeit der Justiz ausgehebelt.
Generalbundesanwalt Harald Range sieht die Unabhängigkeit der Justiz ausgehebelt. (Bild: Sean Gallup/Getty Images)

In der Debatte um das Ermittlungsverfahren gegen das Blog Netzpolitik.org wehrt sich die Bundesanwaltschaft in scharfer Form gegen Anweisungen der Bundesregierung. "Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz", teilte Generalbundesanwalt (GBA) Harald Range am Dienstag in Karlsruhe mit. In den vergangenen Tagen hatten sich mehrere Minister und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von den Ermittlungen gegen die Blogger Markus Beckedahl und André Meister distanziert.

Hintergrund des Streits ist die Frage, ob es sich bei den von Netzpolitik.org im Februar und April 2015 veröffentlichten Unterlagen des Verfassungsschutzes um Staatsgeheimnisse handelt. Um diese Frage zu klären, hatte Range am 19. Juni 2015 ein externes Gutachten in Auftrag gegeben. Dessen vorläufiges Ergebnis liegt nun vor. "Der Sachverständige teilte mir gestern mit, dass es sich nach seiner vorläufigen Bewertung bei den am 15. April 2015 veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige hat damit die Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Verfassungsschutz insoweit vorläufig bestätigt", sagte Range weiter. Dies habe er am Montag auch dem Justizministerium mitgeteilt.

Gutachten muss zurückgezogen werden

Diese Einschätzung hat weitreichende Konsequenzen. Zum einen ist der Generalbundesanwalt dann tatsächlich für die Ermittlungen zuständig, zum anderen kann er sich darauf berufen, dass der Landesverratsparagraf 94 des Strafgesetzbuches (StGB) anzuwenden ist. Auch der Bundesverfassungsschutz hatte in einem Gutachten dargelegt, dass es sich bei den Unterlagen um Staatsgeheimnisse handelt, deren Veröffentlichung "die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" bedeuten könnte, wie es im Gesetz heißt.

Doch die Bundesregierung will das neue Gutachten nicht berücksichtigen. "Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten sofort zu stoppen und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen. Dieser Weisung habe ich Folge geleistet", teilte Range weiter mit. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte am vergangenen Freitag angekündigt, dass sein Haus ein eigenes Gutachten dazu erstellen werde. Maas will dies am Freitag selbst präsentieren.

Weisungsrecht eng begrenzt

Nach Ansicht Ranges verstößt die Regierung mit ihren Anweisungen aber gegen die Gewaltenteilung. Die Pressefreiheit entbinde Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. "Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, ist Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist. Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt wie die Presse- und Meinungsfreiheit", sagte der Generalbundesanwalt.

Nach Angaben des Justizministeriums beschränkt sich das Weisungsrecht auf wenige Fälle. Das Ministerium könne "die Einschätzung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt oder nicht, nicht an die Stelle der Entscheidung des GBA setzen", sagte ein Sprecher am Montag in Berlin. Das Weisungsrecht könne nur innerhalb sehr enger Grenzen, etwa bei Rechtsbrüchen durch die Strafverfolgungsbehörden, Anwendung finden. "Solange sich eine Staatsanwaltschaft nicht rechtswidrig verhält, kommt eine Ausübung des Weisungsrechts nicht in Betracht", sagte der Sprecher. Range sei an Recht und Gesetz gebunden und müsse Ermittlungen aufnehmen, wenn nach seiner Einschätzung ein Anfangsverdacht vorliege.

Offenbar strebt das Ministerium jedoch an, diese Einschätzung nun selbst zu übernehmen. Maas hatte bereits am vergangenen Freitag gesagt, er habe Zweifel daran, "ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt".

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a user 06. Aug 2015

Eigentlich sollte es ja heißen: Recht hat er, der Heuchler. Den beim anderen sehr...

Anonymer Nutzer 05. Aug 2015

Gilt das Einmischungsrecht auch für laufende Ermittlungen? Das er weisungsgebunden ist...

Frank1965 04. Aug 2015

Das ist das eigentlich Lächerliche am Verhalten Ranges, abgesehen davon, dass er nicht...

kernkraftzwerg 04. Aug 2015

Und schwupps, schon ist er weg.



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