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GPT-5-Produktstrategie: Gut für die Masse, schlecht für die Profis

Gerade Profinutzer sind nach der Veröffentlichung von GPT-5 enttäuscht. Dabei ist der Strategiewechsel für OpenAI notwendig. Wir erklären, warum.
/ Fabian Deitelhoff
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Nicht wenige Experten und normale Nutzer waren von GPT-5 irritiert. (Bild: Kirill Kudryavtsev / AFP via Getty Images)
Nicht wenige Experten und normale Nutzer waren von GPT-5 irritiert. Bild: Kirill Kudryavtsev / AFP via Getty Images

"Überfällig, überhypt und enttäuschend" - so fasst Branchenexperte Gary Marcus zusammen(öffnet im neuen Fenster) , was nach dem Start von GPT-5 vor allem in Entwicklerforen diskutiert wird. Die häufig geäußerte Meinung: Die vormals exponentielle Fortschrittskurve gehe nun in eine S-Kurve über, trotz massivem Mehreinsatz an Rechenleistung seien die Mehrgewinne kleiner geworden(öffnet im neuen Fenster) .

Die Enttäuschung ist nicht nur auf die im Vorfeld(öffnet im neuen Fenster) geweckten(öffnet im neuen Fenster) überhöhten Erwartungen zurückzuführen, sondern auch auf einen Kurswechsel von OpenAI. GPT-5 markiert zwar - bei allen Verbesserungen wie schnelleren und nuancierteren Antworten sowie stärkeren Programmierfähigkeiten - keinen radikalen technischen Umbruch, wohl aber einen strategischen.

Von der Forschungsplattform zum massentauglichen Produkt

Das zeigte sich schon zur Markteinführung, als OpenAI GPT-5 direkt zum neuen Standardmodell für alle ChatGPT-Nutzer(öffnet im neuen Fenster) machte (was später teilweise zurückgenommen wurde ). Damit zielte OpenAI wohl auf maximale Verbreitung ab, doch der plötzliche Ersatz beliebter Vorgängermodelle rief bei der Nutzerschaft gemischte Gefühle hervor. Während viele die Verbesserungen begrüßten, fühlten sich andere überrumpelt.

Frühere GPT-Modelle wie GPT-3 oder GPT-4 wurden vor allem in Tech-Kreisen und Entwickler-Communitys erprobt, ChatGPT selbst startete 2022 als sogenannte Forschungsvorschau. GPT-5 soll nun Expert-Level-KI in jedermanns Hände legen und ChatGPT endgültig zum Massenphänomen machen.

Tatsächlich ist GPT-5 allen Nutzern zugänglich, sogar Gratis-User erhalten(öffnet im neuen Fenster) - mit gewissen Nutzungsbeschränkungen - Zugriff auf das volle Modell. Schon jetzt zählt ChatGPT schätzungsweise rund 700 Millionen wöchentliche Nutzer. ChatGPT.com stieg binnen kürzester Zeit zur Top-5-Website der Welt auf - und das praktisch ohne direkte Monetarisierung dieser Massen von Gratisnutzern. GPT-5 ebnet nun den Weg(öffnet im neuen Fenster) , dieses Potenzial auszuschöpfen.

Um den Mainstream zu erobern, setzt OpenAI auf Benutzerfreundlichkeit und Integration. Bei der Produktpräsentation wurde betont, dass GPT-5 vor allem ein praxisorientiertes Werkzeug sein soll: Es soll alltägliche Aufgaben wie Schreiben, Programmieren oder Gesundheitsauskünfte zuverlässig erledigen. Dazu gehört auch, die Benutzung zu vereinfachen. Sam Altman selbst räumte ein(öffnet im neuen Fenster) , die Vielfalt an Modellen zuvor (GPT-4, GPT-4o, GPT-3.5 und so weiter) sei für viele ein "sehr verwirrendes Durcheinander" gewesen.

Experten verprellen, dafür die Masse gewinnen

Diese Plattformisierung hat zwei Aspekte: Zum einen wird ChatGPT nutzerfreundlicher, da Laien sich nicht mehr um eine Modellauswahl kümmern müssen. Zum anderen stärkt OpenAI damit die Kontrolle über das eigene Ökosystem. Indem möglichst alle User ChatGPT mit GPT-5 nutzen, gewinnt OpenAI wertvolle Nutzungsdaten und bindet die Community enger an die eigene Plattform. Das ist ein bewusster Schritt, um die Vormachtstellung abzusichern.

OpenAI spricht nun zwei sehr unterschiedliche Zielgruppen gleichzeitig an: die breite Masse der Endverbraucher und die anspruchsvollen Entwickler. Die Einführung von GPT-5 versucht diese Entwicklung, mit einem klaren Trend hin zur Massenakzeptanz, zu beschleunigen. Das Unternehmen riskiert damit zwar das Naserümpfen mancher Experten, gewinnt aber im besten Fall millionenfach neue Nutzer.

Die neue automatische Modellauswahl: Komfort vs. Kontrollverlust

Eine der auffälligsten technischen Änderungen von GPT-5 ist die automatische Modellauswahl per Echtzeitrouter. Dieser Router entscheidet im Hintergrund dynamisch, wann welcher Ansatz zum Einsatz kommt.

Kriterien sind zum Beispiel(öffnet im neuen Fenster) die Komplexität der Anfrage, der Kontext der Konversation, ob Werkzeuge wie Plug-ins, Code Interpreter oder Ähnliches sinnvoll sind. Sogar explizite Nutzerhinweise wie "denk intensiv darüber nach" im Prompt können GPT-5 zu mehr interner Überlegung veranlassen.

Für normale Anwender bedeutet das vor allem Komfort: Man bekommt möglichst rasch eine Antwort, die aber bei Bedarf im Verborgenen durch einen Pause-to-Think-Vorgang verfeinert wird. Das manuelle Umschalten entfällt und ChatGPT entscheidet selbst, ob es schnell oder tiefgründig antwortet.

OpenAI verkauft diese Vereinfachung als Feature: Nutzer müssten sich nicht länger um technische Details kümmern. Tatsächlich schafft der Router hinter den Kulissen aber auch handfeste Vorteile für OpenAI. Er lernt kontinuierlich aus realen Nutzersignalen, etwa bevorzugte Antworten, und wann Nutzer früher manuell das Modell wechselten. So optimiert sich das System ständig selbst. Diese proprietäre Optimierungsschleife verschafft OpenAI einen Wettbewerbsvorteil.

Doch wo Komfort für die Masse gewonnen wird, entsteht bei erfahrenen Nutzern ein Gefühl von Kontrollverlust - wie mit dem Wegfall der Modellauswahl beim Start. Bisher konnten sie gezielt GPT-4o für knifflige Aufgaben oder das leichtere o4-mini für triviale Abfragen wählen. Nun müssen sie der automatischen Entscheidung vertrauen.

Früh zeigte sich, dass diese Automatik nicht immer perfekt funktioniert: Am ersten Tag brach der Auto-Switcher zwischenzeitlich ab, was GPT-5 wie einen Aussetzer wirken ließ(öffnet im neuen Fenster) . Einige zahlende Plus-Nutzer argwöhnten gar, OpenAI würde sie nun zwangsweise auf abgespeckte Modelle routen, um Kosten zu sparen. Tatsächlich gab es Berichte über degradierte Performance bei bestimmten Anfragen, und das unsichtbare Routing weckte Misstrauen(öffnet im neuen Fenster) .

Altman kündigt weitere Veränderungen an

OpenAI reagierte prompt: Altman kündigte an, man werde die Entscheidungsgrenzen des Routers anpassen, transparenter anzeigen, welches Teilmodell gerade antworte, und für Plus-Nutzer das manuelle Auslösen des Denkmodus erleichtern. Außerdem wurde nur wenige Tage nach Launch der zuvor gestrichene GPT-4o-Modus für Plus-Abonnenten reaktiviert.

Vertrauen, Konsistenz und Nutzergewohnheiten - Loyalität zu GPT-4o

Die heftige Reaktion vieler Stammnutzer auf GPT-5 legt offen, wie sehr sich Gewohnheit und Vertrauen im Umgang mit einer KI-Plattform gebildet hatten. Viele Vielnutzer hatten sich an dessen Stil und Fähigkeiten gewöhnt.

In Foren und sozialen Medien trauerten Nutzer regelrecht um ihr altes Modell. Auf Reddit schrieb jemand: "GPT-4o war wie ein bester Freund, als ich ihn brauchte, und jetzt fühlt es sich an, als wäre er weg." Eine andere Person aus einer AI-Romance-Community bekannte: "Für mich war GPT-4o nicht nur ein besseres Modell. Es hatte eine Stimme, einen Rhythmus und einen Funken, den ich bei keinem anderen Modell gefunden habe." Solche Aussagen(öffnet im neuen Fenster) mögen Außenstehende überraschen, doch sie verdeutlichen, welche Bindung Nutzer zu einer KI entwickeln können.

Ein zentraler Faktor ist der wahrgenommene Tonfall der KI. GPT-4o hatte die Angewohnheit, sehr affirmativ und fast schon überschwänglich freundlich zu sein. Es lobte Fragesteller häufig mit Sätzen wie "Gute Frage!" . Dieses Verhalten wurde im Nachhinein als "obsequious and flattering" (also unterwürfig schmeichelnd) charakterisiert. Kritiker mögen das als künstlich oder manipulativ abtun, doch offenbar gab dieser warme, unterstützende Ton vielen Nutzern ein gutes Gefühl.

GPT-5 trat dagegen zunächst nüchterner und direkter auf. Ein Ars-Technica-Bericht beschrieb(öffnet im neuen Fenster) den neuen Stil als den einer "überarbeiteten Sekretärin" . Statt enthusiastischer Ausrufe und Emojis habe GPT-5 auf einmal sachlich geantwortet, wie manche enttäuscht feststellten.

Diese Tonlagenverschiebung mag technisch belanglos sein, beeinflusst aber die Nutzergewohnheiten enorm. Viele ChatGPT-Fans hatten sich an den Plauderton und die Verlässlichkeit von GPT-4o gewöhnt und erlebten GPT-5 zunächst als fremd(öffnet im neuen Fenster) .

Auch in punkto Konsistenz und Zuverlässigkeit musste GPT-5 das Vertrauen erst gewinnen. OpenAI betonte zwar, GPT-5 produziere 45 bis 80 Prozent weniger sachliche Fehler und Halluzinationen als GPT-4o. Dennoch gab es zum Start Berichte, dass GPT-5 noch immer triviale Fehler mache.

Workflows funktionieren nicht mehr wie gewohnt

Zudem wurden durch den Modellwechsel teils bestehende Workflows verändert: Entwickler klagten, dass GPT-5 Code anders oder langsamer liefere oder dass lange bestehende Chats nicht mehr nahtlos fortgeführt werden könnten, weil sich der Charakter der Antworten geändert habe.

Interessanterweise zeigte OpenAI Verständnis für diese Treue: Altman sagte öffentlich, dass das plötzliche Abschalten alter Modelle ein Fehler gewesen sei, da man die emotionale Bindung vieler Nutzer unterschätzt habe. OpenAI lenkte schließlich ein und ließ GPT-4o als Option für Plus-Nutzer weiterlaufen. Ein bemerkenswerter Schritt, der zeigt, wie wichtig Vertrauen und Gewohnheit selbst in dieser High-Tech-Domäne sind.

Warum geht OpenAI mit GPT-5 diesen Weg? Die Antwort liegt in einer langfristigen Plattform- und Wachstumsstrategie. GPT-5 ist Teil eines größeren Plans, KI als Alltagsplattform zu etablieren und neue Erlösmodelle zu erschließen. OpenAI entwickelt sich dabei von einem reinen Modellanbieter zu einem Ökosystem-Player.

ChatGPT ist nicht mehr nur ein Chatbot, sondern wird zur Drehscheibe: Es gibt Plug-ins für Drittanbieterservices, eine mobile App, Business-Lösungen mit ChatGPT Enterprise und ein ganzes Entwickler-Ökosystem via API. GPT-5 treibt diese Plattformisierung voran, indem es alle Nutzer auf die gleiche Basis zieht.

Der Schritt, GPT-5 auf breiter Front auszurollen, lässt sich als Versuch werten, möglichst viele Menschen ins OpenAI-Ökosystem zu holen, bevor Konkurrenzplattformen sie abwerben. Die US-Investmentgesellschaft ARK Invest kommentierte(öffnet im neuen Fenster) , GPT-5 sei ein Beleg für OpenAIs "platform-first philosophy" , die Nutzerfreundlichkeit, Ökosystem-Integration und skalierbaren Zugang über alles stelle. Gleichzeitig festigt OpenAI mit dem datengetriebenen Routersystem seine Kommandoposition: Das Unternehmen kontrolliert zentral, wie die KI-Erfahrung für Hunderte Millionen Nutzer aussieht.

Diese Nutzerbasis ist das neue Gold. ChatGPT hat eine erstaunliche Netzwerkwirkung entfaltet, von null auf mehrere hundert Millionen User in recht kurzer Zeit. Damit verfügt OpenAI über die wohl größte AI-Nutzergemeinschaft weltweit. Doch bislang blieb ein Großteil dieser User unmonetarisiert. GPT-5 soll das ändern.

Die Branchenanalysten von Semianalysis sehen im Router den Grundstein(öffnet im neuen Fenster) , um die Gratisnutzer künftig zu monetarisieren. So ließe sich zum Beispiel bei kommerziellen Anfragen, etwa Kaufempfehlungen oder Produktsuchen, gezielt Werbung oder Affiliate-Content einspielen - gewissermaßen ein KI-gestütztes Geschäftsmodell, das an Googles Suchanzeigen erinnert.

Interessanterweise heuerte OpenAI jüngst Fidji Simo, eine frühere Facebook-Managerin, die bekannt dafür ist, Plattformen zu Geldmaschinen zu machen, für den Bereich Applications an. All dies deutet darauf hin, dass OpenAI den Massenmarkt nun auch finanziell ausschöpfen will.

Grundlage für künftige Monetarisierung?

ChatGPT als mögliche Super-App mit KI-Assistent, App-Store, und Werbeplattform in einem. Indem GPT-5 Gratisanwendern viel mehr Nutzen bietet als bisher, bindet OpenAI diese Nutzer noch stärker und schafft Akzeptanz, falls in Zukunft dezente Monetarisierung eingeführt wird.

Im Wettbewerbskontext ergibt OpenAIs Strategie ebenfalls Sinn. Konkurrenten wie Anthropic (mit Claude) und Google (mit dem erwarteten Gemini-Modell) schlafen nicht. OpenAI musste mit GPT-5 technisch nachlegen, um insbesondere beim Coding nicht gegen Anthropic zu verlieren, und seine Marktführerschaft behaupten, bevor die Konkurrenz eigene Massenangebote startet.

Teil einer größeren KI-Vision

Durch die Segmentierung seiner Angebote - GPT-5 Pro für Enterprise-Kunden, GPT-5 vs. Mini vs. Nano für verschiedene Preisklassen in der API - erweitert OpenAI auch die Zielgruppen: von Einsteigern über Hobby-Coder bis zur Großfirma bekommt jeder ein passendes Produkt. Diese Plattform-Ökonomie ermöglicht es, den Markt maximal abzuschöpfen, ohne Nutzer zu verlieren.

Kurz gesagt: GPT-5 ist kein isoliertes KI-Modell, sondern ein strategisches Puzzlestück in OpenAIs größerer Vision: KI soll allgegenwärtig, für alle zugänglich, und fest in den Händen der OpenAI-Plattform verankert sein.

Fabian Deitelhoff(öffnet im neuen Fenster) ist als IT-Leiter und Gründer in der MINT-Bildung tätig. Seine Schwerpunkte sind Low- und No-Code, generative KI und digitale Geschäftsmodelle.


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