Gesundheit im Job: 21 Minuten Bewegung am Tag sind doch zu schaffen?

"Ausdauer-Bingo" heißt das Stichwort, das die Mitarbeiter der kleinen Korbacher IT-Firma Rkcsd auf die Strecke bringt. Gut ein Dutzend Mal pro Jahr laufen die fünf Mitarbeiter während der Arbeitszeit einige Kilometer gemeinsam über die Feldwege der nordhessischen Kleinstadt. Zwischendurch gibt es unter fachmännischer Anleitung Gymnastik- und Dehnübungen. "Vor drei Jahren haben wir damit angefangen. Mittlerweile machen das alle gerne" , sagt Geschäftsführer René Knipschild, selbst begeisterter Freizeitsportler.
Sein Erfolgsrezept für den Betriebssport: "Jeder so wie er kann. Man darf niemanden überfordern." Belohnungen sind dennoch möglich. Einmal im Jahr werden besondere Leistungen zum Beispiel mit einer Medaille gewürdigt. Die erhält jedoch nicht, wer am schnellsten war oder am längsten durchgehalten hat, sondern wer im Verhältnis zu seiner Leistungsfähigkeit Besonderes geschafft hat. "So nehmen wir auch die mit, die den Schulsport in schlechter Erinnerung haben" , sagt Knipschild.
Der Betriebssport hat für ihn einen willkommenen Nebeneffekt: Die Mitarbeiter ernährten sich nun auch gesünder und das Team funktioniere besser. " Sich regelmäßig in Sportklamotten zu sehen, schafft Vertrauen" , sagt Knipschild. Die Begeisterung der Rkcsd-Belegschaft für den Betriebssport ist in Deutschland allerdings noch die Ausnahme.
Viele ITler bewegen sich zu wenig
Das belegt eine Studie von Golem.de. Demnach sind viele IT-Fachkräfte bewegungsscheu. Nur 48 Prozent treiben regelmäßig Sport. 57 Prozent geben an, zu wenig Sport zu machen. Dabei sind jüngere ITler nicht aktiver als ältere. Das ist ein Ergebnis der Golem-Studie Kerngesund oder kurz vor dem Systemabsturz? , für die fast 7.000 Berufstätige befragt wurden.
Eng damit verknüpft: Einer von drei IT-Berufstätigen stuft seinen Gesundheitszustand als schlecht ein. Zudem ist die Bereitschaft der Beschäftigten gering, am Arbeitsplatz die eigene Fitness zu verbessern. 31 Prozent der Befragten sind an Sport- oder Fitnessangeboten des Arbeitgebers nicht interessiert. Nur zehn Prozent finden, dass der Arbeitgeber Räumlichkeiten am Arbeitsplatz für Sport einrichten sollte, um den Gesundheitszustand der Mitarbeiter zu fördern.
Erstmal: aufstehen!
Dabei sitzen Beschäftigte ihren verbesserungswürdigen Gesundheitszustand buchstäblich aus. Im vergangenen Jahr ergab ein Report der Deutschen Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung(öffnet im neuen Fenster) (DKV), dass Erwachsene hierzulande gut neun Stunden an Werktagen sitzen, bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar mehr als zehn Stunden täglich.
Das ist weder im Sinne der Beschäftigten noch der Arbeitgeber. Auch für sie birgt die bewegte Belegschaft Vorteile: "Es lohnt sich, in die Gesundheit von Mitarbeitenden zu investieren, weil sich die Produktivität erhöht" , sagt Ingo Froböse, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln.
Wie also lassen sich bewegungsunwillige IT-Beschäftigte motivieren, sich mehr zu bewegen?
Raus aus dem Meeting-Raum!
Mit einem auf Ergebnis getrimmten Betriebssportprogramm in Trikot und Turnschuh dürfte dies eher nicht gelingen. Denn oft haben vor allem unsportliche Beschäftigte Hemmungen, sich vor Kollegen zu zeigen. Firmensport kann behutsam eingeführt werden und beginnt bereits mit etwas mehr Bewegung am Arbeitsplatz. Dementsprechend sollten erste Angebote niederschwellig sein.
Die Initiative Gesundheit und Arbeit (Iga) empfiehlt(öffnet im neuen Fenster) Beschäftigten und Arbeitgebern daher im ersten Schritt, sogenannte Zwangshaltungen zu vermeiden. Sie entstehen bei langanhaltender Ausübung der gleichen Tätigkeit. So leiden Dauersitzer oft unter Verspannungen und Rückenschmerzen.
Klassische Gegenmaßnahmen sind zum Beispiel ergonomische, hochfahrbare Schreibtische. Stehpausen führten nicht nur zu weniger Verspannungen, sondern auch zu einer Verbesserung der Stimmung, heißt es bei der Iga unter Berufung auf Studien.
Auf den Spieltrieb setzen
Das Center for Better Work schlägt zudem sogenannte bewegte Besprechungen vor. Das Institut an der Universität Hamburg sieht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis der Arbeits- und Organisationspsychologie. Warum immer im Meeting-Raum hocken? Mitarbeiter- und Feedbackgespräche lassen sich auch im benachbarten Park bei einem kleinen Spaziergang führen. Damit wäre schon viel gewonnen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO reichen täglich schon 21 Minuten Bewegung, um gesünder zu leben.
Etwas mehr als dieses Minimum an Bewegung könnten Chefs aus ihren Mitarbeitern herauskitzeln, indem sie auf deren spielerischen Impuls setzen. Denn ein kleines Maß informellen Sports kann direkt im Büro stattfinden. Dazu wird der Arbeitsplatz mit geeigneten Geräten ausgestattet: Der Gymnastikball dient dem entspannten Sitzen, der Faszienball lockert die Muskulatur und das Balanceboard fördert den Gleichgewichtssinn. Alle drei Geräte werden von Bildschirmarbeitern nebenbei genutzt.
Das gilt auch für sogenannte Deskbikes. Diese Ergometer besitzen eine Fläche für das Notebook oder ermöglichen es durch ihre Form, unter der üblichen Schreibtischfläche zu strampeln. Netter Gimmick: Neuere Modelle nutzen die durchs Strampeln gewonnene Energie zum Laden von Endgeräten. Wer nicht radeln will, kann joggen.
Neben Deskbikes finden auch Laufbänder zunehmend Verwendung. Sie kombinieren die Funktion des Laufbands mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch.
Geld lockt Sportmuffel aus der Reserve
Für organisierten Teamsport genügt es allerdings nicht, nur Gerätschaften zur Verfügung zu stellen. Chefs sollten ihre Mitarbeitenden frühzeitig in die Entwicklung der Angebote einbinden. "Am besten beauftragen Arbeitgeber einen Verantwortlichen, der die Aktivitäten koordiniert und die Teilnehmer übers Intranet oder über soziale Netzwerke auf dem neuesten Stand hält" , rät die AOK(öffnet im neuen Fenster) . Wichtig sei es, ein abwechslungsreiches Angebot zu schaffen und durch die Qualität der Kurse und Angebote Enttäuschungen vorzubeugen.
Viele Sportmuffel lassen sich aber auch kaufen. Das belegt eine Studie der Marktforscher von Yougov(öffnet im neuen Fenster) . Demnach halten es 55 Prozent der Befragten für wahrscheinlich oder sicher, dass sie mehr Sport treiben würden, wenn es dafür eine Belohnung gabe - also etwa Urlaubstage, eine Sachprämie oder Geld.
Damit macht das Unternehmen Salvia Gebäudetechnik in Eislingen gute Erfahrungen. Dort erhalten Mitarbeiter Punkte für Besuche im Fitnesscenter oder die Fahrt mit dem Fahrrad zu Arbeit. So sind insgesamt pro Jahr 800 Euro an Gehaltsbonus drin.
Nicht nur Beschäftigte müssen zu mehr Sport angefeuert werden, sondern auch die Arbeitgeber. Der Staat räumt ihnen einen Freibetrag von bis zu 600 Euro im Jahr pro Mitarbeiter für Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zusätzlich zum Lohn ein. Viele finanzieren davon Mitgliedschaften ihrer Mitarbeiter in Fitnessstudios - ein wenig aufwendiger Weg, die Fitness der eigenen Mitarbeiter aufzupeppen.
Obwohl Betriebssport meist außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebsgeländes stattfindet, besteht grundsätzlich gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Allerdings sollten die Veranstaltungen regelmäßig stattfinden. Die Zeit des Betriebssports während der Arbeit muss grundsätzlich vom Arbeitnehmer nachgeholt werden. Ob dies in der Praxis so gehandhabt wird, hängt vom Unternehmen ab.
Die vollständige Studie zur Gesundheit von ITlern ist nach einer kostenlosen Anmeldung zum Newsletter der Golem.de Karrierewelt auf Deutsch und Englisch zum Download verfügbar . Die Studie für 2024 wird nicht die letzte bleiben. Golem.de wird auch in den kommenden Jahren IT-Angestellte zu ihrem Gesundheitszustand jährlich befragen und so dokumentieren, ob sich Verbesserungen einstellen.



