Zum Hauptinhalt Zur Navigation

GC32-Regatta: Lass das Boot fliegen!

Diese Boote haben Flügel: Auf ihren gebogenen Schwertern fliegen die GC32-Katamarane über das Wasser. Die Geschwindigkeiten, die sie dann erreichen, sind atemberaubend. Golem.de ist an Bord gegangen.
/ Werner Pluta
15 Kommentare News folgen (öffnet im neuen Fenster)
Schwebender GC32-Katamaran (am 1. August 2015 auf der Kieler Förde): Hightech auf dem Wasser (Bild: Werner Pluta/Golem.de)
Schwebender GC32-Katamaran (am 1. August 2015 auf der Kieler Förde): Hightech auf dem Wasser Bild: Werner Pluta/Golem.de

In Führung liegend steuern wir auf die Luv-Tonne zu. Die Kommandos kommen mit Countdown. "In fünf, vier, drei, zwei, eins - jetzt!" Dann kreischen die Fallen und in Sekundenschnelle ist der Gennaker gesetzt. Der Katamaran beschleunigt. Jetzt ist es so weit: Das Boot steigt hoch. Immer weiter, bis beide Rümpfe aus dem Wasser sind. Nur noch die beiden Schwerter und das Ruder sind im Wasser.

Das Boot ist zehn Meter lang und wiegt eine knappe Tonne

Das Boot, das jetzt noch einmal deutlich beschleunigt, ist eine Great Cup 32(öffnet im neuen Fenster) (GC32), ein zehn Meter langer und sechs Meter breiter Katamaran. Der Mast mit dem ovalen Profil ist 16,5 Meter hoch. Das aus Verbundwerkstoffen wie kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff gebaute Boot wiegt 950 Kilogramm. Gesegelt wird es von einer fünfköpfigen Besatzung.

Das Besondere an diesen Booten befindet sich unter Wasser: Die Rümpfe haben nicht wie konventionelle Boote gerade Schwerter, die die Abdrift verringern, wenn das Boot auf einem Kurs am Wind segelt. Die Schwerter der GC23-Katamarane(öffnet im neuen Fenster) sind gebogen und haben die Form eines V. Die beiden Ruderblätter haben am unteren Ende jeweils ein querliegendes Foil, so dass sie aussehen wie ein umgekehrtes T.

Der Gast wechselt die Seite

"Guest!" , gellt der Ruf herüber. Alle anderen sind jetzt auf der anderen Seite des Bootes. Jetzt gilt es. Ich stehe auf, trete auf einen der beiden Träger, die die beiden Rümpfe miteinander verbinden, passe auf, dass ich auf keine der Leinen trete, die dort entlanglaufen. An der Seite des Mastes ist eine dünne Stahltrosse. Daran, so haben mich die Besatzungsmitglieder eingewiesen, soll ich mich festhalten.

Meine Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt: Ich trage eine eng anliegende Schwimmweste, die gleichzeitig eine Art Brustpanzer ist. Auf dem Kopf sitzt ein Helm. Ich drücke mich zwischen Mast und Vorsegel hindurch. Noch ein Schritt auf dem Träger, dann lasse ich mich in das rot umrandete Feld plumpsen.

Foils an den Ruderblättern stabilisieren das Boot

Beim Segeln arbeitet nur das Schwert an Lee, also der dem Wind abgewandten Seite. Das Luv-Schwert wird nach oben gezogen. Das V-förmige Schwert werde von unten angeströmt und hebe so den Katamaran aus dem Wasser, sagt Helge Sach im Gespräch mit Golem.de. Die Querfoils an den Ruderblättern stabilisierten das Foilen und verhinderten, dass das Boot nach hinten absacke oder nach vorne eintauche. Sach ist selbst erfahrener Katamaran-Segler(öffnet im neuen Fenster) und wurde unter anderem zusammen mit seinem Bruder Christian 2006 Weltmeister in der F18-Katamaran-Klasse.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit rast das Boot jetzt auf die Kiellinie zu, die Uferpromenade an der Förde. Von dort aus verfolgen mehrere Tausend Besucher das Geschehen auf dem Wasser. Gerade fliegt die grüne Fahrwassertonne an uns vorbei. Es sieht aus, als könnte man sie vom Boot aus mit der Hand berühren.

Fünf Boote segeln im GC32 Sailing Cup Kiel(öffnet im neuen Fenster) auf der Förde gegeneinander.

Die Strecke ist kurz und hat je zwei Wendetore

Es ist der dritte von fünf Wettkämpfen in dieser Tour der Rennserie(öffnet im neuen Fenster) . Nach dem ersten Wettkampftag in Kiel liegt Alinghi(öffnet im neuen Fenster) vorn - das Team des Schweizer Industriellen Ernesto Bertarelli, das bekannt wurde, weil es 2003 und 2007 den prestigeträchtigen America's Cup(öffnet im neuen Fenster) gewann. Die Gegner auf der Innenförde sind das Team Oman Sail(öffnet im neuen Fenster) aus dem gleichnamigen Sultanat, die beiden französischen Teams Engie(öffnet im neuen Fenster) und Spindrift(öffnet im neuen Fenster) sowie Armin Strom(öffnet im neuen Fenster) , ebenfalls aus der Schweiz - das Boot, auf dem ich gerade sitze.

Eine Voraussetzung für das Foilen war die Entwicklung von Verbundwerkstoffen wie Karbon. Erst damit sei es möglich geworden, Schwerter zu bauen, die klein sind und dennoch das Gewicht von Boot und Mannschaft sowie den Segeldruck aushalten, sagt Sach. Bekannt wurde das Foilen im letzten America's Cup: Bei der Regatta 2013 wurden erstmals Katamarane mit den Schwertern eingesetzt, die das Foilen ermöglichen - nur waren diese Boote noch ein Stück größer: Sie waren 22 Meter lang. Mit den Budgets, die die Teams im America's Cup zur Verfügung haben, war es möglich, die Foiling-Technik zur Serienreife zu entwickeln.

Früh foilen bringt Vorteile

Das nächste Manöver steht an - wenige Meter vor der Kaimauer. Präzise gefahrene Manöver sind einer der Schlüssel zum Erfolg. "Wenn man ein gutes Manöver fährt und dann früh auf das Foil kommt, dann gewinnt man viel" , sagt Jakob Gustafsson nach der letzten Wettfahrt im Gespräch mit Golem.de. Der Profisegler aus Schweden bedient die Schwerter auf dem Armin-Strom-Boot.

Countdown, dann geht das Boot mit dem Heck durch den Wind. Jetzt liegt das Gewicht auf dem anderen Rumpf. Das 60 Quadratmeter große Großsegel, das 23,5 Quadratmeter große Vorsegel und der Gennaker wechseln im Nu die Seite. Der 60 Quadratmeter große, durchsichtige Gennaker wird nur auf Kursen vor dem Wind, also wenn der Wind von hinten kommt, gesetzt.

Ein guter Start ist auch wichtig

Ein anderes wichtiges Element ist ein guter Start, vor allem auf einer so kurzen Strecke wie hier auf der Kieler Förde. Wer beim Start nicht unter den ersten drei sei, habe kaum eine Chance auf ein gutes Ergebnis, sagt Gustafsson. Etwas Spielraum für taktische Manöver bietet noch das Layout der Regatta-Strecke: An den beiden Wendepunkten liegt nicht jeweils eine Tonne, sondern jeweils zwei Tore. Die Teams können sich für eines der beiden entscheiden.

Wer hinten liege, wähle das Tor, das weniger Boote ansteuern, um so möglicherweise einen Vorteil herauszufahren. "Man kann sich vom Feld trennen. Das ist eine Möglichkeit, etwas zu gewinnen" , sagt Gustafsson. "Aber natürlich auch eine zu verlieren."

Armin Strom überholt Alinghi

Bis jetzt macht das Team Armin Strom alles richtig: Das Boot ist sehr gut gestartet - mit einem fulminanten Manöver hat es gleich den Konkurrenten Alinghi überholt, der die Rennen in Kiel bisher souverän beherrscht hat. Die Manöver an Toren und auf der Kreuz sitzen - weiterhin liegt in dieser vierten Wettfahrt des Tages kein anderes Boot vor uns. Die Bedingungen sind sehr gut an diesem Samstagnachmittag: Der Seewind aus Richtung Osten steht durch.

Dabei hatte es am Vormittag gar nicht so ausgesehen, als könne überhaupt gesegelt werden. Mit etwa 4 Knoten, knapp 7,5 Kilometern pro Stunde, wehte der Wind - Windstärke 2. Dazwischen gab es immer wieder Flauten. Das Wasser wechselte zwischen leicht gekräuselt und fast glatt. Die erste Wettfahrt wurde abgebrochen, noch bevor die Boote die erste Tonne erreichten. Zwei Tage zuvor waren noch Sturmböen über die Förde gebraust und hatten das Alinghi-Boot sogar zum Kentern gebracht.

Trimmen und Gewichtsverteilung sind wichtig für das Foilen

Der Katamaran foilt inzwischen wieder. Die Mannschaft hängt über der Kante. Trimmen und Balance seien wichtig, um das Boot in der Luft zu halten. Meine Anwesenheit sei nicht ideal gewesen, mit einem Gast sei das Foilen schwieriger, da er relativ weit vorne sitze, sagt Gustafsson. "Es ist viel einfacher, wenn nur wir fünf an Bord sind: weniger Gewicht, und das ist hinten."

Außerdem braucht das Boot den richtigen Windstoß. Den bekommt es: Der Wind weht mit etwa 10 Knoten, etwa 19 Kilometern pro Stunde - das ist Windstärke 3 bis 4. Wellen gibt es fast keine, ab einer Wellenhöhe von einem Meter bestehe die Gefahr, dass das Boot bei Segeln vor dem Wind den Auftrieb verliere, eintauche und dann in der nächsten Welle kentere, erzählt Gustafsson. Aber auf der Förde sind die Bedingungen für GC32-Katamarane fast ideal. Perfekt wären 20 bis 25 Knoten, 37 bis 46 Kilometer pro Stunde, also Windstärke 6. Dann schafft der Katamaran 40 Knoten - das sind 74 Kilometer pro Stunde.

Der Wind singt in den Tauen

So schafft der Katamaran "nur" etwa 27 Knoten, knapp 50 Kilometer pro Stunde. Laut singt jetzt der Wind in den Tauen. Wieder ein Countdown, wieder der Ruf "Guest" . Bei dieser Geschwindigkeit vom Boot zu fallen, wäre wie auf Beton aufzuschlagen. Ich greife nach dem Stahltau und ziehe mich auf die andere Seite hinüber.

Das Armin-Strom-Boot rast durch die letzte Tonne. Immer noch kein Boot vor dem Bug - wir führen weiter. Das Startboot fliegt heran, eine Hupe ertönt: Armin Strom hat die vierte Wettfahrt des Tages gewonnen.

Alinghi patzt in der letzten Wettfahrt

Beinahe hätte Team Alinghi den Gesamtsieg am 1. August geholt. Im sechsten und letzten Rennen des Tages waren die Schweizer jedoch zu aggressiv und kollidierten mit dem Team aus dem Oman. Die Boote belegten in dieser Wettfahrt die beiden letzten Plätze, Spindrift schnappte sich den Tagessieg. Nach dem dritten von insgesamt fünf Wettkämpfen führt das Team aus dem Oman vor Alinghi und Spindrift. Armin Strom belegt Platz vier. Vorletzter ist Engie, letzter das US-Team Argo 32, das in Kiel nicht dabei war.

Die beiden letzten Rennen dieser dritten GC32-Rennsaison finden im Mittelmeer statt: Ende August wird vor Fiumicino bei Rom(öffnet im neuen Fenster) gesegelt, Ende September/Anfang Oktober vor Marseille(öffnet im neuen Fenster) . Der Auftakt der Tour fand Ende Mai auf dem Traunsee in Österreich(öffnet im neuen Fenster) statt. Es folgten Cowes auf der südenglischen Isle of Wight(öffnet im neuen Fenster) Ende Juni, und Kiel.

Ein Motorboot kommt heran. Ich steige von dem schwankenden Katamaran in das ebenso schwankende Zodiac. Danke Jungs für diese coole Viertelstunde! Der Motorbootfahrer lässt die beiden schweren Außenborder aufheulen und bringt mich zurück an Land. Es dauert noch eine Weile, bis die Wirkung des Adrenalins nachlässt.


Relevante Themen