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Gasversorgung in der Schweiz: Mehr Methan aus Klärschlamm

Biogasanlagen könnten auf eine neue Technik umgerüstet werden, bei der mehr Methan und weniger Kohlendioxid entsteht.
/ Wolfgang Kempkens
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Hier wird Klärgas bei der Firma Limeco aufbereitet, um es ins Schweizer Gasnetz einzuspeisen. (Bild: Limeco)
Hier wird Klärgas bei der Firma Limeco aufbereitet, um es ins Schweizer Gasnetz einzuspeisen. Bild: Limeco

Schweizer Forscher und Unternehmer haben für eines der aktuell größten Probleme, die Erdgas-Versorgungssicherheit, einen vielversprechenden Lösungsansatz. Sie wollen die Biogasanlagen im Land, die bis zu 60 Prozent Methan liefern, so umrüsten, dass sie auf 100 Prozent kommen, also zwei Drittel mehr produzieren - und das in einem einzigen Schritt.

Bei einem Großtest in der Abwasserreinigungsanlage des Limmattaler Regiowerks Limeco in Dietikon(öffnet im neuen Fenster) haben sie schon eine Ausbeute von 90 Prozent erreicht. In der Schweiz werden jährlich bereits mehr als 400 Millionen Kilowattstunden Methan aus Biogasanlagen ins Erdgasnetz eingespeist. Mit der neuen Technik könnten es gut 50 Prozent mehr sein.

In zwei Schritten sind es schon 100 Prozent

Momentan sind dafür noch zwei Schritte nötig, was den Energieverbrauch erhöht und damit den Wirkungsgrad senkt. Deswegen lautet das Ziel, 100 Prozent Methanausbeute in einem einzigen Schritt zu erreichen. Die Zwei-Schritte-Lösung haben Fabian Fischer, Professor für Chemische Biotechnologie an der Westschweizer Fachhochschule in Sitten, und sein Team bereits realisiert.

Dabei wird Kohlenstoffdioxid, das meist ungenutzt in die Atmosphäre entlassen wird und die Erderwärmung beschleunigt, gemeinsam mit Wasserstoff in einem Reaktor in weiteres Methan umgewandelt. Ein mit Ökostrom versorgter Elektrolyseur stellt den Wasserstoff umweltneutral her. Bei diesem Verfahren ist das 100-Prozent-Ziel schon erreicht, der Wirkungsgrad ist allerdings relativ gering.

Daher arbeitet Fischer an mikrobiellen Elektrolysezellen. Das sind spezielle Reaktoren, in die Klärschlamm von Abwasserreinigungsanlagen gefüllt wird. Normalerweise wird er in Faultürmen vergoren. Mikroorganismen wandeln die dunkle Masse in einen Mix aus Gasen um, der hauptsächlich aus Methan und Kohlendioxid besteht. Dazu kommen Spuren von Verunreinigungen.

Durch den Klärschlamm fließt Strom

In die MEC-Reaktoren haben die Forscher Elektroden integriert, über die ein schwacher Strom mit niedriger Spannung in den Klärschlamm fließt. Das genügt, um auch das Kohlendioxid in Methan umzuwandeln. In zwei Reaktoren dieser Art erreichten die Walliser Forscher bereits einen Methananteil von 90 Prozent. "Das ist ein Zwischenerfolg, an dem wir nun weiterarbeiten mit dem Ziel, den Methanertrag auf 100 Prozent zu steigern" , sagte Fischer dem Magazin Chemie Extra(öffnet im neuen Fenster) , dem offiziellen Organ des Schweizerischen Chemie- und Pharmaberufe-Verbandes.

Kohlendioxid ist die Leibspeise der Archaeen

Wie der molekulare Mechanismus im MEC-Reaktor genau abläuft, ist laut Fischer bisher nicht endgültig geklärt. Wissenschaftliche Studien deuten jedoch darauf hin, dass die im Fermenter aktiven methanogenen Archaeen CO2-Moleküle, Elektronen und Protonen direkt aufnehmen und daraus Methan produzieren. Der Stoffwechselprozess der Mikroorganismen findet auf der Kathode statt. Diese ist entweder mit Nickel oder hochporösem Kohlenstoff beschichtet.

Archaeen produzieren grünes Methan - Electrochaea
Archaeen produzieren grünes Methan - Electrochaea (02:00)

Methanogene Archaeen leben zwar von Haus aus von Kohlendioxid, doch ihre Aktivität ist nicht so groß, dass sie die gewaltigen Mengen in den Biogasanlagen restlos vernaschen könnten. Elektrische Energie scheint sie dagegen zu Höchstleistungen anzuspornen, so dass ihr Stoffwechsel mehr Kohlendioxid verarbeitet als gewöhnlich.

Elektrischer Wirkungsgrad liegt bei 80 Prozent

Archaeen sind auch sonst genügsam. Sie brauchen nicht wie andere Mikroorganismen zusätzliche Wärme, um zu funktionieren. Das spart Energie. Einziger Verlustbringer ist der aus erneuerbaren Quellen stammende Strom, mit dem sie angeregt werden müssen. Allerdings sind die Mengen überschaubar.

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Gemäß den Messungen der HES-SO Valais-Wallis verbraucht der MEC-Prozess elektrische Energie im Umfang von drei Joule pro Milliliter produziertem Methan. Das ist 13-mal weniger als die Energie, die bei der Verbrennung der gleichen Methanmenge entsteht, um wieder Strom zu erzeugen, und entspricht einem Wirkungsgrad von rund 80 Prozent.

Industrielle Produktion im Visier

Die Walliser Forschungsgruppe arbeitet seit 2004 an der mikrobiellen Elektrolysezelle. Sie demonstrierte deren Funktionstüchtigkeit zunächst an einem MEC-Reaktor mit einem Volumen von 30 Litern und jetzt an zwei Reaktortypen mit je 50 Liter Volumen. Als nächstes wird ein 2.000-Liter-MEC-Forschungsreaktor gebaut und betrieben.

Das Upscaling der Anlage soll die Marktfähigkeit der Technologie nachweisen. Laut Fischer ist die Gründung eines Start-ups geplant, das die Technologie kommerzialisieren soll. Dann lassen sich Wintervorräte leichter anlegen. Und die Sache hat noch einen entscheidenden Vorteil: Bei der Verbrennung zur Erzeugung von Strom und/oder Wärme wird kein zusätzliches Kohlendioxid freigesetzt.


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