Glücksspiel: Legalisierung von Online-Casinos birgt Suchtgefahren

Am 1. Juli legalisiert der Glücksspiel-Staatsvertrag Online-Spielbanken in Deutschland. Forscher warnen vor den Suchtgefahren.

Artikel veröffentlicht am , / dpa
Das Glücksspiel Roulette
Das Glücksspiel Roulette (Bild: Greg Montani/Pixabay)

Für die einen erhöht er die Suchtgefahr beim Spielen, die anderen sehen ihn als Meilenstein für mehr Spielerschutz: Am 1. Juli tritt ein neuer Glücksspiel-Staatsvertrag in Kraft. Damit werden in ganz Deutschland Onlinecasinos legal, verbunden mit einer zentralen Sperrdatei für abhängige Zocker, einem Einzahlungslimit von 1.000 Euro monatlich sowie einer zentralen Aufsichtsbehörde.

Inhalt:
  1. Glücksspiel: Legalisierung von Online-Casinos birgt Suchtgefahren
  2. Pandemie verlagert auch Glücksspiel ins Internet

Auch bei der Werbung für Sportwetten gibt es Neuerungen - so dürfen aktive Fußballer oder Funktionäre keine Wettanbieter mehr anpreisen - Stars ohne aktuelles Amt wie zum Beispiel Lothar Matthäus aber schon.

Mit der Erlaubnis von Internetcasinos folgen alle Bundesländer dem Beispiel Schleswig-Holsteins, das 2012 bereits im Alleingang diesen Weg ging. Begründung damals wie heute: an illegale Anbieter verlorene Zocker zurückzugewinnen.

Glücksspiel ist aber auch ein Milliardengeschäft, von dem der Staat profitiert. Der Fiskus kassierte laut dem Jahresreport der Aufsichtsbehörden 2019 etwa 5,4 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben im erlaubten Glücksspielmarkt. An alkoholbezogenen Steuern seien es im gleichen Jahr nur rund 3,1 Milliarden Euro gewesen, sagt Tobias Hayer. Der Bremer Psychologe forscht seit Jahrzehnten zur Glücksspielsucht.

Staatsvertrag ist "fauler Kompromiss"

"Dieser Staatsvertrag ist ein fauler Kompromiss", kritisiert Hayer. "Er bedient in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen der Glücksspielanbieter, aber nicht die Interessen des Gemeinwohls." Zwar profitiere der Start von den Steuereinnahmen, jedoch würden Spielanreize massiv erhöht. Die aggressive Vermarktung mache neugierig auf Konsumgüter, die mit Suchtgefahren verbunden seien.

Knapp eine halbe Million Menschen in Deutschland gelten als problematische oder sogar abhängige Spieler. Mögliche Folgen sind soziale Isolation, Jobverlust, sehr oft Überschuldung, manchmal auch das Abrutschen in Beschaffungskriminalität. Die Abwärtsspirale kann bis zu Suizidabsichten gehen.

Dabei fängt es häufig harmlos an, wie Betroffene anonym im Forum Glücksspielsucht, einer Internetplattform, beschreiben. So schildert ein nach eigenen Angaben 20-Jähriger, wie er vor Kurzem erstmals im Online-Casino 20 Euro gesetzt und schnell 400 Euro gewonnen habe, bald aber auf seinem Konto 900 Euro im Minus gewesen sei. "Bin kurz davor abzustürzen", schreibt der junge Mann, der nach eigenen Worten seine Ausbildung geschmissen hat.

Andere Teilnehmer berichten davon, ihre gesamten Finanzen an die Partnerin abgegeben zu haben, um nicht wieder rückfällig zu werden. Ein 53-Jähriger erzählt, dass er seit seiner Jugend abhängig sei und rund eine Million Euro verzockt habe - zuerst nur an Automaten, dann Casino, Poker, Onlinecasino, zuletzt allein Sportwetten.

Onlinecasinos sind 24/7 verfügbar

"Durch die Digitalisierung des Glücksspiels besteht die Möglichkeit zu spielen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche", sagt Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht. "Das ist so, also ob Sie in jeder Wohnung neben dem Wasserhahn einen Whiskyhahn einbauen." Sie plädiert für einen besseren Verbraucherschutz, etwa was Kreditkartenzahlungen angeht.

Für die meisten Menschen ist gelegentliches Glücksspiel kein Problem. Bei gewissen psychischen Konstitutionen bestehe ein erhöhtes Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, sagt Alexander Glahn, Leiter der Abhängigenambulanz in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

So sind Fachleuten zufolge besonders Personen mit geringem Selbstwertgefühl und gesteigerter Impulsivität gefährdet. Erste Gewinnerfahrungen aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn.

Unter den glücksspielabhängigen Patienten in der MHH haben mehr als 70 Prozent eine weitere psychische Erkrankung wie Depressionen, Alkoholsucht oder Angststörungen. "Diese Störungen können sowohl vorab bestehen als auch durch das pathologische Spielverhalten entstehen", erklärt der Oberarzt.

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Pandemie verlagert auch Glücksspiel ins Internet 
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smonkey 27. Jun 2021

Lassen wir das mit der Stigmatisierung mal so stehen, wo ich noch immer meine Zweifel...

Garius 25. Jun 2021

Mmm... Dann vielleicht nochmal anders... Beim Lotto kannst du zwar deine Gewinnchance...

Pantsu 24. Jun 2021

Schau halt die Werbung vom ÖR zum Fußball, da geht es nur um Elektroautos und dass wir...

KraftKlotz 24. Jun 2021

+1 Da bin ich ganz bei dir.



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