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Ferngesteuertes Auto ausprobiert: Wenn 4G für das Autofahren nicht ausreicht

Der Carsharing -Anbieter Elmo zeigt uns seine Lösung für ferngesteuertes Fahren in Städten und stößt dabei an die Grenzen der deutschen Mobilfunknetze.
/ Martin Wolf
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Mit Gaminghardware ein echtes Auto steuern: der Prototyp von Elmo (Bild: Martin Wolf / Golem.de)
Mit Gaminghardware ein echtes Auto steuern: der Prototyp von Elmo Bild: Martin Wolf / Golem.de

Die Botschaft der Republik Estland ist ein hübscher Altbau und liegt einen Katzensprung vom Berliner Tiergarten entfernt. Hier befand sich für einen Junitag die Steuerungszentrale des neuen Geschäftsmodells von Elmo(öffnet im neuen Fenster) . Der Carsharing-Anbieter mit einer Flotte von rund 140 Elektroautos in der estnischen Hauptstadt Talinn und der zweigrößten estnischen Stadt Tartu will einen Teil seiner Fahrzeuge auf Fernlenkung umrüsten und hat seinen Prototyp nach Berlin gebracht.

Dieser besteht aus zwei Komponenten: einem umgerüsteten Nissan Leaf, der mit Kameras, Rechner, Funktechnik sowie einem Mikrofon ausgestattet ist, und einem PC samt Gamingzubehör und Breitbildmonitor für die Steuerung.

Der Nissan Leaf steht einige Kilometer weiter auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel und ist aus Sicherheitsgründen mit dem Technikchef von Elmo besetzt - auf dem Beifahrersitz. Wir können aus der Ferne in das Cockpit schauen und schließlich sogar die Steuerung übernehmen. Bis es soweit ist, müssen jedoch noch einige Hürden genommen werden. Während die Techniker im Hintergrund hektisch über die fehlende Verbindung zum Auto beraten, erklärte CEO Enn Lansoo seine Vision für den neuen Service.

"Wir wollen einen Car-Sharing-Dienst anbieten, bei dem die Kundschaft das Elektroauto direkt vor die Haustür geliefert bekommt, dann damit fährt und es zum Beispiel in einem Wald abstellen kann. Wir übernehmen dann das Steuer aus der Ferne, bringen es zur Ladestation, laden es auf und fahren es zum nächsten Einsatzort."

Elmo profitiert von einer Gesetzeslücke in Estland: Ein Fahrzeug muss von einem realen Menschen gelenkt werden, es ist jedoch nicht festgelegt, wo sich dieser befindet. So konnte das Unternehmen seine ersten Tests ziemlich schnell auf öffentlichen Straßen durchführen und Daten sammeln. Dabei stieß man auf einige Hindernisse. So reflektierten beispielsweise hohe Gebäude das Funksignal und verursachten Verbindungsprobleme - allerdings ohne, dass es zu Zwischenfällen kam. Elmo will solche Gebiete kartieren und die Lieferrouten entsprechend planen. In Berlin beträfe das beispielsweise auch Tunnel.

Auto-Fernsteuerung per 4G ausprobiert
Auto-Fernsteuerung per 4G ausprobiert (02:59)

Für die Verzögerung unserer Pressedemonstration war ein anderes Problem verantwortlich: Weil Elmos Prototyp beidseitig auf das 4G-Mobilfunknetz angewiesen ist, braucht er eine stabile Verbindung und mindestens 5 Mbit/s an Bandbreite. Die gibt es am Tiergarten zu diesem Zeitpunkt nicht.

Schuld ist vermutlich die tragische Amokfahrt(öffnet im neuen Fenster) , die sich kurz zuvor ereignet hat und wegen derer etliche Touristen und Anwohner des Gebietes rund um Zoo und Tiergarten für erhöhte Last auf dem Netz von O2 sorgen. Nach einer halben Stunde und unter Nutzung etlicher verschiedener SIM-Karten können die Techniker aber erfolgreich Bilder aus dem Auto übertragen. Enn Laansoo atmet auf und bittet uns, den Prototypen testen.

Wir fahrn fahrn fahrn auf der Landebahn

Die Verbindung basiert auf zwei Modems in Auto und Steuerung. So sollen stets eine genügend hohe Bandbreite und besserer Empfang sichergestellt werden. Das klappt beim Ausprobieren nicht immer perfekt. Zwar können wir dank der sechs verbauten Kameras unsere Strecke und das gesamte Umfeld gut erkennen, aber während unserer Probefahrt kommt es immer wieder zu starker Artefaktbildung, die die Sicht verschlechtert. Der Videostream passt sich der vorhandenen Bandbreite an, die Auflösung verringert sich, wenn nicht genügend Daten übertragen werden können.

Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein sogenannter Handover(öffnet im neuen Fenster) passiert: der Wechsel von einem Mobilfunkmast zum nächsten. In der finalen Version kommt dann auf der steuernden Seite natürlich keine Mobilfunktechnik zum Einsatz.

Die dadurch mitunter auftretenden Bildstörungen nennt Enn Lansoo "Schnee" und sie sind neben echtem Schnee eines der größeren Probleme des Prototyps. Letzterer kann bei den Kameras am Auto dazu führen, dass die Person im Fernsteuerungscockpit die Straße lediglich als weiße Fläche sieht. Das fanden die Techniker von Elmo im winterlichen Tallinn heraus, wo die ersten Probefahrten stattfanden.

Wir haben Platz in Tegel

In unserem Berliner Gamingstuhl fühlen wir uns auf der weitläufigen Fläche des ehemaligen Flughafen Tegel jedoch ziemlich sicher. Das liegt auch daran, dass das Auto unsere Eingaben trotz einer Latenz von rund 100 Millisekunden zügig umsetzt. Wir können auf einem separaten Bildschirm den leeren Fahrersitz betrachten und sehen, wie das Lenkrad reagiert. Problematisch finden wir die fehlende Rückmeldung auf unsere Aktionen.

Wir können mangels Kopfhörer weder hören, was in und um das Auto vorging, noch gibt es haptisches Feedback wie beispielsweise einen ruckelnden Sitz oder Widerstand am Lenkrad. Die Komponenten des virtuellen Cockpits sind ebenso wie die eingesetzte Hardware am Auto Standardgeräte. Das senkt den Preis der Umrüstung auf geschätzte 4.000 Euro.

Was wir ebenfalls hilfreich fänden, wäre eine Möglichkeit der Draufsicht, wie sie moderne Autos beim Einparken bieten.

Wir fahren trotzdem problemlos ein wenig Slalom um die für uns vorbereiteten Leitkegel und können uns des Eindrucks nicht erwehren, ein Videospiel zu spielen. Im echten Leben dürfte die fernlenkenden Fahrerinnen und Fahrer von Elmo allerdings ein weniger entspanntes Arbeitsumfeld erwarten.

Wir stellen es uns außerordentlich schwierig vor, so im dichten Stadtverkehr zu navigieren. Auch wenn man sich vermutlich an die ungewohnte Umgebung, die Rundumsicht des Monitors und die am oberen Bildrand befindlichen Statusanzeigen gewöhnt, bleibt doch unserer Meinung nach ein großes Problem: Wer für Elmo fernsteuert, muss voraussichtlich in einer Schicht etliche Wagen durch die Gegend fahren, die alle mit unterschiedlichen Orten, unterschiedlichen Situationen und vielleicht sogar wechselnden Wetterbedingungen aufwarten. Elmo hat mangels umgerüsteter Autos noch keine genaue Idee, wie Arbeitsplatz, Fahrzeiten und Umfeld der künftigen Chauffeure beschaffen sein müssen.

Eines scheint uns jedoch sicher: Der Job dürfte wesentlich höhere Anforderungen an die Konzentration stellen als ein realer Lieferservice.

Auf Kundenseite können wir hingegen die positiven Aspekte erkennen: Wer möchte nicht ein vollgeladenes, sauberes Auto zu einem Zeitpunkt seiner Wahl vor die Türe gestellt bekommen? Zumal Enn Lannsoo dank der niedrigeren Kosten der ferngesteuerten Lieferung nicht von Mehrkosten ausgeht. Die neun Jahre Erfahrung im Geschäft hätten gezeigt, dass die Autos Geld kosteten, wenn sie herumstünden. Immer mehr Autos zu kaufen, um näher bei der Kundschaft zu sein, brächte aber neue Probleme und koste viel Geld. Die neue Methode mache das nicht nur günstiger, sondern auch bequemer für die Nutzerschaft. Er sagt: "Wir bieten einen ähnlichen Service ja auch schon jetzt an. Dafür brauchen wir allerdings ohne ferngesteurte Autos jedes Mal zwei Autos und zwei Menschen, die fahren. Es wird mit unserer Technologie also eher billiger."

Erste Fahrten innerhalb der nächsten sechs Monate

Der Fahrzeugprototyp und die Demostation waren außer in Berlin in mehreren europäischen Städten unterwegs, die gesammelten Daten sollen bei der Umrüstung und Probe mit den ersten 20 regulären Autos von Elmo helfen. Die werden in den kommenden sechs Monaten in Estland auf die Straßen kommen. Im Falle eines kompletten Verbindungsabbruchs bleiben die Nissans übrigens einfach sofort stehen, was je nach Situation auch zu Unfällen führen könnte. Das ist nicht der einzige Grund, warum wir Elmos Fernsteuerung und auch andere derartige Ideen in naher Zukunft in Deutschland eher nicht im Einsatz sehen. Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr teilte uns dazu mit, dass zwar zeitlich begrenzte und Halter- sowie fahrzeuggebundene Ausnahmegenehmigungen durch die jeweiligen Landesbehörden erteilt werden können, es fehle jedoch noch an einer allgemein gültigen Rechtsgrundlage.

Das Unternehmen will die Technologie auch an andere Anbieter lizenzieren, aber weder ist ihr großflächiger Einsatz hierzulande derzeit legal noch scheint uns der Einsatzzweck mit der Lieferung von Carsharing-Fahrzeugen überzeugend genug. Eine Nutzung für Taxizwecke schließt Elmo hingegen aus. Die Logistikbranche arbeitet an ähnlichen Verfahren , aber auch hier sind die Hürden hoch. Vodafone und Sony haben in einem Experiment mit 5G bereits ein Auto aus Japan ferngesteuert.

So schnell werden wir also auf hiesigen Straßen keinen Nissan Leaf mit leerem Fahrersitz sehen - aber bei einer Reise ins schöne Estland(öffnet im neuen Fenster) könnte das durchaus passieren. Also Augen auf im Straßenverkehr!


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