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Fairphone 2 ausprobiert: Fairer Display-Tausch in unter einer Minute

Bei seinem neuen Modell verwendet Fairphone mehr konfliktfrei abgebaute Rohstoffe und eine modulare Bauweise, dank der sich das Smartphone leicht reparieren lässt. Außerdem hat es eine bessere Hardware als der Vorgänger. Golem.de war in Amsterdam und hat sich den neuen zweiten Prototyp angesehen.
/ Tobias Költzsch
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Das neue Fairphone 2 kann leicht in seine Einzelteile zerlegt werden. (Bild: Tobias Költzsch/Golem.de)
Das neue Fairphone 2 kann leicht in seine Einzelteile zerlegt werden. Bild: Tobias Költzsch/Golem.de

Das Fairphone 2 soll wie das erste Fairphone des gleichnamigen niederländischen Startups ein fairer produziertes, nachhaltigeres Smartphone sein. Anders als das erste Fairphone beruht das neue Modell auf einem eigenen Entwurf - die erste Version war im Grunde ein bereits bestehendes Design des chinesischen Herstellers Guohong (vormals Ahong). Golem.de hat Fairphone in Amsterdam besucht, sich mit dem Hersteller über das neue Smartphone unterhalten und sich den neuen zweiten Prototyp ausgiebig angesehen.

Fairphone 2 Prototyp ausprobiert
Fairphone 2 Prototyp ausprobiert (01:18)

Fairphone hat sich bei seinem zweiten Smartphone-Modell für eine modulare Bauweise entschieden. Da das Smartphone komplett selbst entwickelt wurde, konnte eine derartige Konstruktion von Anfang an berücksichtigt und gezielter fair gehandelte Rohstoffen verwendet werden. Das Fairphone 2 wird bei einem neuen Fertigungspartner in China hergestellt: Dieser hat sich bereit erklärt, die Anforderungen Fairphones bezüglich der fair abgebauten Rohstoffe und der Arbeitsbedingungen zu erfüllen und gleichzeitig mit erwarteten 100.000 Geräten pro Jahr eine nur relativ kleine Marge zu produzieren. Wie beim ersten Fairphone wird auch beim neuen Modell versucht, möglichst viele konfliktfrei erwirtschaftete Mineralien zu verwenden, sowie die Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiter zu verbessern.

Äußerlich sah der uns gezeigte Prototyp bereits wie ein fertiges Smartphone aus - lediglich die etwas weiche Hülle wies darauf hin, dass es sich noch nicht um ein Serienmodell handelt. Die Rückseite des Fairphone 2 kann komplett abgenommen werden und ähnelt einer Schutzhülle, wie sie sich zahlreiche Smartphone-Nutzer extra für ihr Gerät kaufen. Auf der Vorderseite erhebt sich die Hülle merklich über den Display-Rand und soll so den Bildschirm schützen.

Stürze sind kein Problem

Dank der Hülle und einer insgesamt robusten Bauweise soll das Fairphone 2 Stürze aus einer Höhe von bis zu 1,85 Metern überstehen - was uns der bei Fairphone für die Produktstrategie zuständige Miquel Ballester bewies. Auch mehrere Stürze auf harten Boden konnten dem Smartphone nichts anhaben. Aufgrund der Hülle ist das Fairphone 2 etwas dicker als andere aktuelle Smartphones, wirkt aber dennoch nicht unhandlich - eben wie ein dünnes Smartphone mit Schutzhülle.

Wird die Hülle abgenommen, hat der Nutzer den kompletten inneren Aufbau des neuen Fairphones in der Hand. Leicht kann jetzt der Akku gewechselt werden - ein absoluter Standard bei Fairphone und Teil der Nachhaltigkeitsbemühungen des Unternehmens. Auch die Einschübe für die SIM- und Micro-SD-Karten findet sich hier. Am unteren Ende fallen zwei blaue Schieberegler auf: Hier beginnt der spannende Teil des Fairphone 2.

Display-Wechsel leicht gemacht

Drücken wir beide Schieber nach innen, lässt sich anschließend das komplette Display durch leichten Druck nach oben problemlos abnehmen. Sollte der Bildschirm kaputtgehen, kann er auf diese Weise tatsächlich sehr leicht und ohne nennenswerte technische Kenntnisse ausgetauscht werden. Die Verbindung zum Hauptgerüst des Fairphones wird über eine Reihe von Pogo-Pins sichergestellt. Der Nutzer muss bei der Demontage also nicht einmal Kabel lösen.

Da das Display eines der am häufigsten beschädigten Teile eines Smartphones ist, ist Fairphone der einfache Austausch dieses Bauteils besonders wichtig. In der Display-Einheit sind zudem nur die für den Bildschirm relevanten Hardware-Teile eingebaut, damit beim Tausch keine noch funktionsfähigen anderen Bauteile verschwendet werden.

Drei leicht ausbaubare Module

Ist das Display ausgebaut, können wir direkt auf die inneren Bauteile des Fairphone 2 schauen - beziehungsweise auf insgesamt drei Module, die durch kleine Torx-Schrauben mit dem Grundgerüst verbunden sind. In diesen Modulen werden Bauteile zusammengefasst, die ansonsten einzeln auf Platinen untergebracht sind und bei Beschädigungen nur mit Mühe oder gar nicht selbst ausgetauscht werden können.

So beherbergt das Modul ganz oben sowohl die Frontkamera mit 2,1 Megapixeln als auch den Lautsprecher zum Telefonieren und die Kopfhörerbuchse. Ist eines der Bauteile kaputt, kann ein neues Modul bestellt werden. Für den Austausch muss der Nutzer lediglich zwei Schrauben lösen. Die Verbindung erfolgt auch hier über Metall-Pins.

Auch konfliktfreies Wolfram soll jetzt verwendet werden

Damit der gesamte Aufbau für den Nutzer übersichtlich und selbst reparierbar bleibt, ließ sich die Zusammenlegung einiger Komponenten nicht verhindern. So vereinigt das untere, mit drei Schrauben gesicherte Modul unter anderem das Mikrofon, die USB-Ladebuchse und die Vibrationseinheit. Deren Unwucht soll im Serienmodell aus konfliktfrei gehandeltem Wolfram bestehen - neben Zinn und Tantal wäre dies das dritte konfliktfreie Metall, das im Fairphone verbaut werden würde. Eine kleine Hommage an das Herkunftsland der Metalle Zinn und Wolfram findet sich unterhalb der Pogo-Pins für das Display: eine kleine Karte der Demokratischen Republik Kongo.

Bei der Verwendung von fair gehandeltem Gold gibt es aktuell noch Schwierigkeiten, da der Goldeinkauf in China nur über die Goldbörse in Schanghai erfolgen darf - und es nur schwer ist, das fair erwirtschaftete Gold durch diese Handelsbarriere zu bringen. Es gibt keine Garantie, dass das Gold, das man der Börse liefert, auch das Gold ist, das dort am Ende gekauft wird. Wozu auch, bisher gilt für die meisten Hersteller: Gold ist Gold. Fairphone arbeitet aber nach eigenen Angaben daran, hier eine Lösung zu finden.

Die 8-Megapixel-Hauptkamera ist das einzige Modul im neuen Fairphone, das ausschließlich ein Bauteil beherbergt - die Kamera eben. Auch hier genügt es, drei Schrauben zu lösen, um das Teil auszubauen und auszuwechseln, falls es defekt ist.

Keine reichhaltige Auswahl an Modulen geplant

Anders als andere Hersteller, die modulare Smartphones planen, schwebt Fairphone nicht vor, dass Nutzer aus zahlreichen Optionen für die Module wählen können. Ein funktionierendes Modul auszubauen und ohne wirklich triftigen Grund gegen ein Besseres zu tauschen - etwa bei den Kameras - würde dem Nachhaltigkeitsgedanken widersprechen. Das Modulsystem des Fairphone 2 ist konsequent auf die Langlebigkeit des Smartphones ausgerichtet. Im Onlineshop von Fairphone soll es daher lediglich Module als Ersatzteile geben und keine große Auswahl an verschiedenen Bauteilen. Was die Austauschmodule letztlich kosten werden, konnte Fairphone uns noch nicht sagen. Aktuell arbeite man noch an der Preisstruktur.

Der Zusammenbau des Fairphone 2 ist ebenso unkompliziert wie das Auseinandernehmen: In wenigen Minuten haben wir das komplett zerlegte Smartphone wieder zusammengesetzt, danach bootet es problemlos wieder in das Android-System, zu dem Fairphone aufgrund des Prototypstatus noch keine genauen Angaben machen wollte.

Reparaturanleitung für Grundgerüst des Fairphone 2

Einige Bauteile sind im Grundskelett des Fairphone 2 untergebracht und nicht ohne weiteres für den Endnutzer austauschbar. Dazu zählen der Prozessor, der Speicher und auch das Mobilfunkmodul sowie die WLAN-Antenne. Falls mit einem dieser Teile etwas nicht in Ordnung ist, sollte der Nutzer sein Fairphone 2 von einem Fachmann reparieren lassen. Anleitungen dafür will Fairphone zum Marktstart des Gerätes veröffentlichen.

Dass das Fairphone 2 etwas dicker als andere moderne Smartphones ist, liegt mit an der modularen Bauweise: Bauteile in separate Module zu stecken, die durch Pins mit dem Hauptteil des Smartphones verbunden sind, nimmt natürlich mehr Platz weg, als wenn alles auf eine eng gesteckte Platine gelötet ist. Wem daran gelegen ist, sein Smartphone möglicherweise mehr als ein oder zwei Jahre lang zu verwenden, dürfte dies allerdings wenig ausmachen.

Verglichen mit dem ersten Fairphone hat der Hersteller beim neuen Modell die Hardware deutlich verbessert: Das 5-Zoll-Display hat eine Auflösung von 1.920 x 1.080 Pixeln, als Prozessor arbeitet im Inneren jetzt Qualcomms Snapdragon 801. Bewusst hat sich Fairphone für einen Qualcomm-Prozessor entschieden, da Mediatek beim ersten Fairphone-Modell Probleme bereitet hat. Da Mediatek nur wenig Code freigibt, läuft das Fairphone 1 noch mit Android 4.2.2.

Leistungsfähige und solide Hardware

Mit dem Snapdragon 801 und 2 GByte Arbeitsspeicher sowie 32 GByte Flash-Speicher plus Micro-SD-Karten-Slot dürfte das Fairphone 2 für längere Zeit eine solide Leistung bringen. Der Snapdragon 801 ist sicherlich nicht mehr das neueste SoC - für die Fairphone-Macher aber ein guter Kompromiss aus Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und einem akzeptablen Preis.

Auch die restliche Hardware ist besser als die des ersten Fairphones: WLAN wird nach 802.11ac unterstützt, zudem beherrscht das Fairphone 2 LTE. Bluetooth läuft in der Version 4.0, ein GPS-Empfänger ist eingebaut. NFC oder drahtloses Laden unterstützt das Fairphone 2 nicht, der Hersteller hat sich aber eine Hintertür offen gehalten: Neben dem Akkufach befinden sich zwei Pins, über die beispielsweise in speziellen Hüllen angebracht Zusatzfunktionen an das Smartphone angeschlossen werden können. Eine Hülle mit NFC- oder Qi-Unterstützung wäre hier denkbar.

Höherer Preis aufgrund Eigendesigns und besserer Hardware

Die verbesserten Hardwarespezifikationen sowie die modulare Bauweise resultieren in einem höheren Preis: Das Fairphone 2 kostet 530 Euro , das erste Fairphone kostete am Ende des Verkaufszyklus hingegen nur 310 Euro. Das Fairphone-Team will bald eine Kostenaufstellung veröffentlichen, wie es sie auch schon beim ersten Modell gegeben hat. Dann können Interessenten sehen, welcher Teil des Kaufpreises für welche Zwecke verwendet wird.

Uns erklärte Fairphone den höheren Preis unter anderem mit dem Umstand, dass das neue Modell eine komplette Eigenentwicklung ist und zudem nur in verhältnismäßig kleinen Margen produziert wird. Außerdem sind der Bezug nachhaltiger Rohstoffe sowie eine sozialverträgliche Herstellung des Smartphones natürlich mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zusammen mit den gestiegenen Kosten der Bauteile ließ sich das neue Fairphone nicht zum gleichen Verkaufspreis realisieren wie das alte.

Diese Erklärung ist einleuchtend - der Preis könnte aber durchaus eine Hemmschwelle für manchen Interessenten darstellen. Ein Preis unter 350 Euro ist für viele eher realisierbar als einer über 500 Euro. Zudem dürfte bei dem neuen Preis die Chance etwas geringer sein, dass sich unschlüssige Interessenten doch zum Kauf eines Fairphone 2 entscheiden.

Insgesamt sind 100.000 Geräte pro Jahr geplant

Allerdings ist fraglich, inwieweit Fairphone überhaupt auf "Wackelkandidaten" unter den Käufern angewiesen ist: Die erste Charge, die im November 2015 an die Vorbesteller ausgeliefert werden soll, beträgt lediglich 15.000 Geräte - also nicht gerade viel. Die nächsten Käufer müssen dann bis Dezember warten. Insgesamt plant Fairphone, von seinem neuen Modell jährlich 100.000 Geräte verkaufen zu können. Das wären doppelt so viele wie vom gesamten ersten Fairphone. Nur zum Vergleich: Im vierten Quartal 2014 haben Apple und Samsung Marktanalysten zufolge jeweils zwischen 73 und 75 Millionen Smartphones verkauft.

Fazit

Insgesamt erscheint uns das Fairphone 2 sehr gelungen. Die Idee, bestimmte Bauteile bei einem Defekt einfach selbst ersetzen zu können und nicht das komplette Smartphone einschicken zu müssen, ist für den Nutzer praktisch - und beim Fairphone 2 zudem gut umgesetzt. Der Nachhaltigkeitsgedanke dahinter gefällt uns ebenfalls gut: Mit austauschbaren Teilen dürfte eine lange Nutzungszeit ohne Kompromisse an versagende Technik einfacher zu erreichen sein als bei anderen Smartphones.

Erstes modulares Smartphone kommt von Fairphone - nicht Google

Fairphone dürfte der erste Hersteller sein, der tatsächlich ein modulares Smartphone auf den Markt bringt. Google spricht zwar seit längerer Zeit von seinem Project Ara , bis jetzt ist aber noch kein globaler Marktstart in Sicht. Das modulare Smartphone von Vsenn ist mittlerweile gescheitert. Bei Fairphone steht eindeutig der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund und nicht eine möglichst große Auswahl an Modulen. Davon abgesehen erscheint uns die Umsetzung beim Fairphone 2 im Alltag deutlich praktikabler als beim Project Ara mit seinem Exoskelett und den eingeschobenen Modulen.

Der Ein- und Ausbau des Displays und der Module ist einfach und in Minuten zu erledigen. Dass das Fairphone 2 dank seiner schützenden Hülle etwas robuster ist, finden wir gut - dafür ist das Smartphone etwas dicker als andere Geräte, was auch durch die modulare Bauweise bedingt ist. Der uns gezeigte zweite Prototyp machte auf uns einen sehr guten Eindruck, lediglich die Hülle erinnerte uns daran, dass es sich um ein Testmodell handelte. Ein dritter Prototyp soll noch folgen, dann soll die Produktion der Endkundengeräte beginnen.

Dass Fairphone sein neues Modell technisch stärker ausgestattet hat und dabei mit dem Snapdragon 801 ein zwar älteres, aber bewährtes SoC wählte, dürfte ebenfalls dem Nachhaltigkeitsgedanken in die Karten spielen. Mit dem Qualcomm-Prozessor dürften Nutzer noch längere Zeit über einen ausreichend leistungsstarken Chip verfügen, auch die restliche Ausstattung erscheint uns zukunftssicher. Eventuell hätte Fairphone seinem neuen Modell 3 statt 2 GByte Arbeitsspeicher spendieren können.

Weiterer Schritt in Richtung eines fairen Smartphones

Auch vom Standpunkt der fairen und nachhaltigen Produktion hat Fairphone bei seinem neuen Modell Fortschritte machen können. Neben Tantal und Zinn soll auch das Wolfram aus konfliktfreier Produktion stammen. Zudem schaffte es Fairphone, auch mit dem eigenen Design und den daraus resultierenden Anforderungen an die Produktion einen Hersteller in China zu finden, der eine faire Produktion ermöglichen will. Verglichen mit dem ersten Modell scheint Fairphone bei seinem neuen Gerät einen guten Schritt weiter in Richtung eines faireren Smartphones gekommen zu sein.


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