Zum Hauptinhalt Zur Navigation

Fahrbericht Lucid Gravity Grand Touring: Fein gestylt, mit beängstigendem Drehmoment

Das Elektro-Startup Lucid aus dem Silicon Valley möchte in Europa noch bekannter werden - mit dem Gravity Grand Touring. Wir haben ihn probegefahren.
/ Stefan Grundhoff
55 Kommentare News folgen (öffnet im neuen Fenster)
Möchte Staub aufwirbeln: Lucid mit dem Gravity Grand Touring (Bild: Lucid)
Möchte Staub aufwirbeln: Lucid mit dem Gravity Grand Touring Bild: Lucid

An Technik und Design liegt es bei Lucid nicht. Doch in der Luxusliga reicht das nicht, um im harten Wettbewerb gegen Tesla, Audi und BMW zu bestehen. Zahlreiche Autohersteller wollten in den vergangenen zehn Jahren Elon Musk nacheifern und zu einem zweiten Tesla werden.

Doch wirklich erfolgreich ist bisher keines der Start-ups unterwegs - egal ob Nio, Rivian, Faraday Future, Byton oder Fisker. Lucid, finanziert vom saudi-arabischen Staatsfonds, hatte mit seiner elektrischen Luxuslimousine namens Air wegen Covid, Halbleiterschwierigkeiten und Finanzproblemen trotz unbestrittener Qualitäten alles andere als einen leichten Start.

Umso größer sind die Erwartungen an das Schwestermodell Gravity, das interkontinental edlen Crossovers wie Audi Q7, BMW X7, Nio ET9 oder Cadillac Escalade Konkurrenz machen soll. Das Design des Gravity ist dabei ebenso gefällig wie das des Lucid Air. Es ist aerodynamisch fein gestylt und bei Weitem nicht so krawallig wie viele seiner Konkurrenten.

Dabei überrascht die Größe, denn während die Konkurrenz, egal ob elektrisch oder mit Verbrenner, in Richtung 5,30 Meter und mehr wächst, gibt sich der in Casa Grande, Arizona, gefertigte Elektrocrossover mit gerade einmal 5,03 Metern zufrieden, ohne seine Insassen dabei einzuengen - im Gegenteil.

Lucid sieht sich selbst als Tech-Konzern und Autohersteller zugleich. Kein Wunder also, dass das Technikpaket des Gravity imposanter als das der meisten Wettbewerber ist. Während sich die europäische Konkurrenz gerade mit Ladetempi von 270 bis 320 kW feiert und BMW oder Mercedes später denn je auf ein 800-Volt-Bordnetz umsteigen, sagt Lucid-Chefentwickler Eric Bach: "Wir bieten wie beim Air ein 926-Volt-Bordnetz und Ladegeschwindigkeiten von 400 kW."

Selbst an einem vergleichsweise langsamen Tesla-Supercharger kann der neue Lucid noch mit 225 kW laden. Zudem wurden viele der Technikkomponenten selbst am Standort Newark nahe Palo Alto selbst entwickelt.

Genauer Blick auf die Konkurrenz

Lucid ist ein echtes Start-up und der Charakter in der Zentrale am Gateway Boulevard ist genau so, wie man ihn dort im Silicon Valley erwartet. Die Mitarbeiter sind jung und das Team ist international.

Damit der Start des Gravity klappt, haben sich die Lucids die Konkurrenz in den vergangenen drei Jahren genau angeschaut. Erzielte ein Modell wie der BMW X7 beim Komfort Bestwerte, überzeugten der Mercedes EQS bei der Innenraumgestaltung und der Porsche Cayenne GTS und Aston Martins DBX 707 beim sportlichen Fahren.

Der Gravity bietet nun eine geradezu einzigartige Symbiose aus all diesen Modellen. Dank seiner exzellenten Aerodynamik und eines stattlichen Batteriepaketes mit 123 kWh sind Reichweiten von mehr als 700 Kilometern bis zum nächsten Ladestopp ebenso drin wie Höchstgeschwindigkeiten bis 270 km/h. Das bietet aktuell kein anderer.

Beschleunigt schnell, dürfte aber gern weicher abrollen

Bei der Motorleistung hält sich Lucid schon beim Air nicht zurück. Der Gravity, der im vierten Quartal des Jahres nach Europa rollen dürfte, wird von zwei Elektromotoren angetrieben, die gemeinsam 611 kW (831 PS) und ein beängstigendes Drehmoment von 1.232 Nm entwickeln.

Ein paar Kilometer hinter dem Steuer und es besteht kein Zweifel daran, dass der über 2,7 Tonnen schwere Gravity eher sportlich ist. Aus dem Stand beschleunigt er in 3,6 Sekunden auf Tempo 100.

Dabei präsentiert sich das Fahrwerk trotz variabler Luftfeder mit seinen 22-/23-Zoll-Felgen als so straff, dass sich der Aufbau auch bei engen Kurven mit hohen Tempi kaum neigt. Das optionale Handlingpaket bringt unter anderem eine Allradlenkung, die den Wendekreis auf 11,6 Meter reduziert.

Den besten Eindruck macht der Lucid Gravity Grand Touring im per Touchdisplay ansteuerbaren Komfortmodus; doch auch hier dürfte die Mischung aus SUV und Edelvan gern weicher abrollen und sanfter über lange Bodenwellen hinwegschwingen oder Querfugen schlucken. Die Lenkung mit dem kantig geformten Steuerrad wirkt unabhängig von Kurvenradien künstlich und die Bremse will feiner als erwartet betätigt sein.

Der Innenraum des Lucid Gravity Grand Tour ist stattlich. Das Elektromodell hat große Displays und eine Bedienung, an die man sich schnell gewöhnt. Die Sitze bieten in allen drei Reihen genügend Reisekomfort für die ganz große Fahrt.

Was fehlt, ist eine vollelektrische Einzelsitzanlage, die bei der Konkurrenz ebenso zu bekommen ist wie eine Jalousie für das große Panoramadach. Hinter den elektrischen Hauben vorne wie hinten überrascht ein Ladevolumen, das sich im Fall der Fälle auf über 3.000 Liter erweitern lässt.

Startpreis wohl bei 130.000 Euro

Die Preise für den europäischen Markt stehen derzeit noch nicht fest. In den USA geht es aktuell bei 94.000 US-Dollar los - 16.000 US-Dollar weniger als der vergleichbare Lucid Air Grand Touring. In Deutschland soll sich der Gravity an der Limousine Air Grand Touring orientieren, der bei 130.000 Euro startet. Später dürften Versionen wie Pure oder Touring mit weniger Leistung und Preisen unter der 100.000-Euro-Marke folgen. Auch ein opulentes Topmodell nach Vorbild des über 1.200 PS starken Lucid Air Sapphire sollte gesetzt sein.

Zudem arbeiten viele der Mitarbeiter in Newark bereits auf die kommenden Mittelklasse-Modelle der kleinen Plattform hin, die ab 2027 am zweiten Produktionsstandort in King Abudllah Economic City in Saudi-Arabien vom Band laufen sollen.

Sie könnten die Start-up-Phase endgültig beenden und Lucid zu einer Größe auf dem elektrischen Automarkt werden lassen. Marc Winterhoff, seit Ende Februar Lucid-CEO, plant mittelfristig 500.000 Fahrzeuge - aufgeteilt in die Regionen Nordamerika, Europa und Naher Osten.

China ist erst einmal kein Thema, auch weil Fertigungsanlagen dort oder in Europa aktuell nicht in Planung sind. Darüber hinaus sollen Autos allein ähnlich wie bei Rivian nicht die einzige Einnahmequelle sein.

Technische Daten: Lucid Gravity Grand Touring
Motor Elektro, vorn / hinten
Leistung 611 kW / 831 PS
Max. Drehmoment 1.232 Nm
Höchstgeschwindigkeit 270 km/h
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h 3,6 Sekunden
Batteriegröße 123 kWh
Max. Ladegeschwindigkeit 400 kW
Leergewicht 2.768 kg
Laderaum 230 Liter vorn und 1.500 bis 3.000 Liter hinten
Preis ab ca. 130.000 Euro

Neben CO 2 -Zertifikaten ist der Autobauer nach eigenen Angaben mit vielen traditionellen Herstellern auch in intensiven Gesprächen über Technikmodule, Antriebe und die Plattform. Aston Martin hat hier bereits zugeschlagen. Dabei dürfte es kaum bleiben.

Offenlegung: Der Hersteller hat den Preis für eine Hotelübernachtung übernommen. Unsere Berichterstattung ist davon nicht beeinflusst und bleibt gewohnt neutral und kritisch. Der Artikel ist, wie alle anderen auf unserem Portal, unabhängig verfasst und unterliegt keinerlei Vorgaben seitens Dritter.


Relevante Themen