Ewigkeitschemikalien: Neue Runde der Chip-Knappheit durch Kühlmittelmangel?
Belgien legt ein Werk von 3M still, das Kühlflüssigkeiten herstellt. Halbleiterfertiger nutzen diese - die Chip-Knappheit dürfte aber nicht steigen.

Die flämische Umweltbehörde schließt eine Fabrik von 3M bei Antwerpen, da sie die Umgebung mit Chemikalien belastet. Hier stellt der Konzern sogenannte Perflourierte Alkylsubstanzen (PFAS) her, die in größerem Umfang in die Umwelt gelangten. Mehrere Medien berichten, vom dort hergestellten Kühlmittel seien 80 Prozent der Halbleiterfertiger abhängig. Deren Vorrat gehe in wenigen Monaten zur Neige, so dass die Produktion zum Stillstand käme.
Ausgangspunkt dieser apokalyptischen Aussichten scheint eine News von BusinessKorea zu sein. Die Produkte des Werks kommen demzufolge als Kühlmittel beim Ätzen von Halbleitern zum Einsatz. Diese Verwendung bewirbt auch Hersteller 3M. Fraglich ist allerdings, ob es sich hierbei um ein Verbrauchs- oder ein Betriebsmittel handelt. Letzteres müsste nur gelegentlich ersetzt werden, denn der Bedarf ist geringer.
Laut einem von BusinessInsider zitierten Analysten ist genau das der Fall. Angesichts der Eigenschaften ist das auch naheliegend. PFAS sind extrem reaktionsträge (inert), was sie als Kühlmittel interessant macht. Auch zur Reinigung sind sie aufgrund ihrer geringen Oberflächenspannung geeignet. Durch ihren niedrigen Siedepunkt sind sie zudem leicht aufzubereiten und können mit geringem Verlust über einen lange Zeitraum genutzt werden.
Problem mit langer Geschichte
Die am 18. März laut BusinessKorea bekanntgegebene Schließung "auf unbestimmte Zeit" ist der bisherige Höhepunkt der Probleme im Werk Zwijndrecht. Bereits 2018 wurde eine deutlich erhöhte Konzentration von Perflouroctansulfonsäure (PFOS) im Erdreich um die Fabrik festgestellt. Hierbei handelt es sich um eine Altlast, da die Produktion des Stoffs bereits 2002 eingestellt wurde.
Ende Oktober 2021 wurde die Produktion von PFAS behördlich untersagt. Grund dafür war, dass eine Blutuntersuchung bei 800 Personen erhöhte Werte fand. Die flämische Umweltbehörde forderte 3M auf, nachzuweisen, dass die Fabrik keine PFAS emittiere - was das Unternehmen aber nicht tat. Seitdem ruht die Produktion dieser Stoffe.
Eine offizielle Mitteilung seitens 3M zu Verfügbarkeitsengpässen gibt es aktuell nicht. Am 30. März 2022 gab der Konzern allerdings in einer Pressemitteilung bekannt, 150 Millionen Euro in Maßnahmen zur Sanierung der Altlasten und zur Verbesserung der Produktion zu investieren. Auch mit einer Strafzahlung rechne man. Ziel sei es, die Produktion von PFAS in Zwijndrecht bald wieder aufzunehmen. Das Werk ist eines von lediglich fünf weltweit, in denen der Konzern diese Chemikalien herstellt.
Was ist das Problem mit PFAS?
Die Stärke von PFAS, ihre chemische Beständigkeit, ist gleichzeitig ihr Problem. Sie werden in der Natur nur langsam bis gar nicht abgebaut und reichern sich so im Wasser, in der Erde und in Organismen an. Aus diesem Grund werden sie auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet. Einige der über 4.000 eingesetzten Verbindungen stehen im Verdacht, Krebs zu erregen. Einen Überblick gibt eine Publikation des Umweltbundesamtes (PDF).
Aufgrund der möglichen Gesundheitsgefährdung gibt es Bestrebungen, die Nutzung von PFAS einzuschränken. Perfluoroctanverbindungen sind in der EU bereits weitgehend verboten. Perspektivisch soll der Einsatz aller PFAS eingeschränkt werden. Die Substanzen kommen in vielen Bereichen zum Einsatz, einen Überblick über die Einsatzzwecke gibt eine Studie. Die Halbleiterindustrie ist bereits auf der Suche nach weniger schädlichen Alternativen (PDF) - allerdings ersetzen PFAS teils noch problematischere Stoffe.
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Naja, in den 1960ern hat Rauchen noch keinen Krebs gemach, in den 1970ern waren...
Vielen Dank für den Hinweis! Mit der Formulierung "offizielle Mitteilung" habe ich mich...
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