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Everything-Apps in Europa: Keinen Bock auf alles

In Asien vereinen sogenannte Everything-Apps alle möglichen Services, nun plant Elon Musk Ähnliches mit X . In Europa gibt es solche Apps bisher kaum - und dafür gibt es Gründe.
/ Felix Lill
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Reicht eine App für alles? (Bild: Bing Image Creator / Nachbearbeitung: Daniel Ziegener)
Reicht eine App für alles? Bild: Bing Image Creator / Nachbearbeitung: Daniel Ziegener

Ende Juli 2023 machte Elon Musk eine Ankündigung(öffnet im neuen Fenster) : "Der Name Twitter ergab Sinn, als nur 140 Zeichen hin- und hergingen." Wie kurzes Gezwitscher zwischen Vögeln.

Aber heute könne man dort fast alles posten, einschließlich stundenlanger Videos. "In den kommenden Monaten werden wir umfassende Kommunikation sowie die Möglichkeit hinzufügen, Ihre gesamte Finanzwelt zu verwalten," so Musk. Der Name Twitter ergebe nun keinen Sinn mehr. "Daher müssen wir uns von dem Vogel verabschieden."

Denn die Plattform X, die sich vor der Akquisition durch Milliardär und Investor Elon Musk noch Twitter nannte, werde künftig eine Everything-App. So bezeichnen die Anbieter Applikationen, die diverse Dienste unter einem Banner vereinen.

Bei X will man die ersten Schritte in diese Richtung durch Integration von Zahlungsdiensten schaffen. Zu späteren Zeitpunkten sollen offenbar weitere Features hinzukommen.

Als Vorbild sieht Musk die App Wechat. Von der chinesischen Plattform schwärmt er(öffnet im neuen Fenster) : "Wenn wir so etwas erreichen können, oder uns dem auch nur annähern können mit Twitter, wäre das ein riesiger Erfolg."

Das 2011 von Entwicklern des chinesischen Multikonzerns Tencent entworfene Wechat gilt seit einigen Jahren als weltweiter Vorreiter in Sachen Everything-App. Auf der Plattform können Userinnen und User fast ihr ganzes digitales Leben führen.

"Mehr als eine App - ein Lifestyle"

Neben einer Chatfunktion wird unter anderem geboten: Kinotickets buchen, in Finanzprodukte investieren, Nachrichten lesen, Unternehmenskontakte herstellen und mit ihnen Deals abschließen, Arzttermine buchen, Auslandsvisa beantragen und vieles mehr.

Im Google Playstore(öffnet im neuen Fenster) wird die Plattform beschrieben als "mehr als eine Messaging- und Social Media App - es ist ein Lifestyle für mehr als eine Milliarde User rund um die Welt."

Damit ist Wechat der mit Abstand größte Anbieter, der diverse Dienste vereint. Der einzige ist er aber nicht. Gerade in Ost- und Südostasien hat sich das Modell einer solchen App längst etabliert. In Japan dominiert Line(öffnet im neuen Fenster) jene Geschäftsbereiche, die Wechat in China weitgehend kontrolliert.

Was Wechat in China ist, ist Line in Japan

Auch Line existiert seit 2011, bestach anfangs als Messaging-Anbieter, der im Vergleich zu Whatsapp die einfallsreicheren Smileys und Sticker bot. Im eigenen Line-Konto können Nutzer heute unter anderem digitale Impfpässe aufbewahren und Klamotten kaufen.

In Südkorea gibt es die App Kakao(öffnet im neuen Fenster) , die seit 2010 auf dem Markt ist. Auch Kakao ist heute ein Fintech-Unternehmen, das außerdem Gaming und Musikstreaming anbietet.

In mehreren Ländern Südostasiens werden einige der Dienste von Grab übernommen, das einst als interaktive Taxiplattform startete und heute auch Essens- und Einkaufslieferungen ermöglicht. Grab(öffnet im neuen Fenster) bezeichnet sich selbst als The Everyday Everything App.

Ob auch X, vormals Twitter, so eine Entwicklung gelingen kann, ist aus mehreren Gründen ungewiss. Dan Prud'homme, Wirtschaftsprofessor an der Florida International University, bezweifelt, dass eine solche App von US-amerikanischen Nutzern Wertschätzung erführe.

Der New York Times erklärte Prud'homme(öffnet im neuen Fenster) , die Verbraucher seien "an Single-Service-Apps gewöhnt, was Multi-Service-Apps etwas verwirrend macht." Außerdem: "US-Kunden mögen das Gefühl nicht, für ihre täglichen Aktivitäten zu sehr von einem einzigen Dienstleister abhängig zu sein."

Welche Nachteile eine zu starke Abhängigkeit haben kann, wurde zuletzt in Ostasien offensichtlich. Als im Oktober 2022 ein Datenzentrum von Kakao brannte, wurden weite Teile der südkoreanischen Wirtschaft lahmgelegt.

Fällt der Dienst aus, hat das große Auswirkungen

Das Land mit 52 Millionen Einwohnern hat 43 Millionen monatliche Kakao-User, die die App auch geschäftlich nutzen. Als diverse Dienste plötzlich nicht mehr funktionierten, war der Ärger so groß, dass sich sogar der Präsident einschaltete(öffnet im neuen Fenster) .

In China haben die typischen Probleme mit Datenschutz zu tun. Entsprechend warnen Juristen in Deutschland bei Geschäften mit Klienten aus China zum Beispiel davor, den Kontakt über die Plattform Wechat laufen zu lassen.

Das größte Thema: der Datenschutz

Neben mangelnder Verschlüsselung, so die Beratungsfirma Dr. Datenschutz, gebe es immer wieder Beschwerden in Sachen Zensur und Herausgabe von Daten an staatliche, öffentliche, regulatorische, gerichtliche und Strafverfolgungsbehörden. Auf Wechat könne auch der chinesische Staat mitlesen(öffnet im neuen Fenster) .

Solche Vorkommnisse schaden potenziell auch Anbietern aus demokratisch regierten Staaten, weil sie Verbraucherinnen und Verbraucher insgesamt vorsichtig machen könnten. So haben es das US-amerikanische X sowie mögliche Wettbewerber aus Europa schwer, Ähnliches aufzubauen. Allerdings nicht nur deshalb.

Das Kartellrecht in den USA und der EU ist meist strenger als in China, so dass App-Anbieter, die mehrere Dienste zugleich anbieten, schnell riskieren, dem Vorwurf des Marktmissbrauchs ausgesetzt zu sein, sobald sie sich eine dominante Stellung erarbeitet haben(öffnet im neuen Fenster) .

Jedoch entsteht hieraus noch kein Verbot von Everything-Apps, wie Luis Mejía(öffnet im neuen Fenster) erklärt, Experte für Regulierungsbehörden an der Hertie School in Berlin: "Solche Plattformen können Wege bieten, um Transaktionskosten zu minimieren und die Effizienz verschiedener Anbieter zu erhöhen."

Ein Problem entsteht laut Mejía dann, "wenn die Macht auf einem Markt es einem Unternehmen erlaubt, den fairen Wettbewerb auf anderen Märkten zu unterbinden." Dies lasse sich aber vermeiden, wenn ein Anbieter als Plattform agiert, auf der andere Betriebe ihre Dienste offerieren können.

Eine Plattform hochzuziehen, auf der User verschiedene Funktionen zu nutzen bereit sind, ist schwierig. Gemäß einer Analyse von Akshay Chopra, Vizepräsident des Bereichs Innovation and Design von Visa Cemea, haben alle erfolgreichen Everything-Apps drei Gemeinsamkeiten(öffnet im neuen Fenster) : eine große Zahl von Usern, technische Expertise und daher eine positive Nutzungserfahrung sowie ein hohes Maß an Vertrauen durch die User.

In dieser Hinsicht sind die globalen, marktbeherrschenden Firmen der Digitalökonomie - ob Google, Apple oder Facebook - jedem europäischen Unternehmen weit voraus. Einige von ihnen sind längst auf dem Weg zu umfassenderen Apps: Amazon hat sich während der letzten Jahre vom digitalen Kaufhaus zum Anbieter digitaler Streamingdienste entwickelt. Facebook hat sich in Meta umbenannt, um künftig diverse neue Dienste anzubieten.

Europa versucht es in kleinerem Maßstab auch

Auf niedrigerem Niveau sind solche Versuche auch in Europa zu beobachten. Das schwedische Fintech-Unternehmen Klarna hat in mehrere Betriebe investiert(öffnet im neuen Fenster) , um rund um Finanzdienste auch zu einer allgemeinen Shopping-App zu werden.

Das estnische Unternehmen Bolt(öffnet im neuen Fenster) , das als Taxi-Startup begann, bietet mittlerweile Scooter-Dienste, Carsharing sowie Essenslieferung an. Und die ukrainische Firma Privat24(öffnet im neuen Fenster) hat um Finanzdienste herum einen ähnlichen Weg eingeschlagen.

Dies sind zwar alles keine Everything-Apps, aber zumindest Anbieter, die thematisch zusammenhängende Dienste vereinen. Vielleicht könnte man sagen: Many-Apps.


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