European Chips Act: Industrie fordert mehr Geld für ältere Technologien

Lieber ältere Prozesse fördern statt High-End-Chips und mehr Geld ausgeben: So lässt sich die in der FAZ geäußerte(öffnet im neuen Fenster) Forderung mehrerer Industrievertreter zusammenfassen. Der Fokus des European Chips Acts auf modernste Fertigungsprozesse, wie sie Intel im geplanten Werk in Magdeburg nutzen will, gehe am Bedarf der europäischen Industrie vorbei. Denn die sei besonders auf Chips mit größeren Strukturen angewiesen, so Cedrik Neike, Siemens-CEO der Sparte für Industrieautomation (Digital Industries).
Wie auch Jochen Hanebeck, CEO des Chip-Herstellers Infineon, fordert Neike eine entsprechende Neuausrichtung des European Chips Acts. Neu ist diese Forderung nicht, auch der Fokus auf Spitzentechnologie, den EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton gern betont, wurde bereits früh kritisiert (g+) . Laut vorgetragen wird sie jetzt, da mutmaßlich die endgültige Entwurfsvorlage für den Chips Act näher rückt: Sie wird für Ende 2022 erwartet.
Angesichts der in den USA und Südkorea bereitgestellten Fördersummen halten Iris Plöger vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Wolfgang Weber, Vorsitzender des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) den Umfang des Chips Acts zudem für zu gering. Plöger kritisiert, dass die dafür eingeplanten 43 Milliarden Euro teils aus anderen Förderprogrammen umverteilt seien. Die 52 Milliarden US-Dollar des Chips for America Acts hingegen seien "frisches Geld" . In Südkorea will allein Samsung bis 2026 332 Milliarden Euro investieren .
Günstige Chips fehlen besonders
Auch wenn zumindest bei Infineon Eigeninteressen eine Rolle spielen könnten, sind die Forderungen nach der Förderung älterer Prozesse berechtigt: Es fehlen nicht die mit modernsten Prozessen gefertigten High-End-Chips (auch wenn das Grafikkartenkäufer sicher anders sehen), sondern beispielsweise Mikrocontroller oder Schaltregler . Die werden teils mit uralten Prozessen gefertigt, Strukturgrößen von über 100 nm sind keine Seltenheit. Bei diesen einfachen Chips wächst zudem der Bedarf, etwa durch den steigenden Anteil produzierter Elektroautos, besonders kräftig.
Jochen Hanebeck wünscht sich für die alten Fertigungsprozesse darüber hinaus eine Förderquote von 50 Prozent der Investitionen. Die werden auch erforderlich sein, denn hier wird zwar der Großteil der Chips verkauft. 88 Prozent der Chips werden laut Iris Plöger vom BDI mit Strukturgrößen von 22 nm oder mehr gefertigt, allerdings ist der Kostendruck deutlich höher.
Das verdeutlichte Sven Beyer, Entwicklungsleiter von Globalfoundries in Dresden, bei unserem Besuch in der Fab 1 : Wirtschaftlich ließen sich alte Strukturgrößen nur mit abgeschriebenen Maschinen produzieren. Die stehen in Taiwan, Südkorea und China; werden neue Werke in Europa gebaut, fallen erst einmal immense Kosten an.
Es geht um viel mehr als Siliziumchips
Dabei sind neue Halbleiter wie Siliziumkarbid oder Galliumarsenid noch gar nicht betrachtet. Die kommen für Leistungshalbleiter und Funk-Chips zum Einsatz. Ihre Bedeutung wird wachsen, und auch hier wird nicht mit 2-nm-Technologie gefertigt.
Alle Wünsche der Industrie werden allerdings nicht zu erfüllen sein. So wünscht sich Jochen Hanebeck, die EU solle das "gesamte Ökosystem fördern, zu dem auch Forschung, Infrastruktur, Energieversorgung und Einbindung in die Lieferketten" gehören. Wolfgang Weber vom ZVEI erwartet eine Förderung der Weiterentwicklung von Prozessen und Technologien. Doch auch sie geben zu bedenken: Die Halbleiterfertigung ist zu komplex und teuer, um alle Bereiche abzudecken. Letztlich bleibt internationale Arbeitsteilung unumgänglich – und wünschenswert.



