EU-Ratsspitze: Auch Fingerabdrücke von Kindern sollen in Ausweise

Die österreichische Ratspräsidentschaft will es den EU-Mitgliedstaaten erlauben, sogar die digitalen Fingerabdrücke von Kindern unter zwölf Jahren in Personalausweise einzubauen. Außen vor bleiben nur Personen, bei denen es physikalisch unmöglich ist, die biometrischen Merkmale zu erheben.

Artikel von Stefan Krempl veröffentlicht am
Fingerabdrücke im Personalausweis sollen der Terrorbekämpfung dienen.
Fingerabdrücke im Personalausweis sollen der Terrorbekämpfung dienen. (Bild: zhrefch/CC-BY 1.0)

Der umstrittene Gesetzentwurf der EU-Kommission, wonach die Behörden künftig verpflichtend unter dem Aufhänger der Terrorismusbekämpfung zwei Fingerabdrücke und weitere biometrische Merkmale in Personalausweisen speichern müssen, geht der gegenwärtigen österreichischen Ratspräsidentschaft noch nicht weit genug. Die Brüsseler EU-Kommission sprach sich in ihrem Vorschlag dafür aus, dass für Kinder unter zwölf Jahren eine Ausnahme gilt. Wien will es den Mitgliedstaaten dagegen ermöglichen, digitale Fingerabdrücke auch dieser Altersgruppe mit aufzunehmen, obwohl sich die entscheidenden Merkmale (Minuzien) bis zum Ende der Kindheit noch laufend verändern.

Geht es nach dem "Kompromissansatz" der Ratsspitze, "können" die EU-Länder nur noch eine Ausnahme von der Pflicht zur "erkennungsdienstlichen Behandlung" der Kinder vorsehen. Im ursprünglichen Verordnungsentwurf der Kommission war noch von "müssen" die Rede. Außen vor bleiben sollen laut Österreich allein Personen, bei denen es "physikalisch unmöglich" ist, ihnen Fingerabdrücke abzunehmen. In Deutschland ist die Erfassung von Fingerabdrücken bislang nur bei Reisepässen verpflichtend und im Personalausweis freiwillig.

Eingefügt hat die Präsidentschaft in ihr vertrauliches Papier vom Juli, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat, zudem eine Klausel, wonach die Mitgliedstaaten zunächst versuchen müssten, die Abdrücke anderer als der eigentlich vorgesehenen Finger zu nehmen, wenn letztere "vorübergehend" nicht dafür geeignet seien. Sollten alle zehn einschlägigen Glieder zeitweilig nicht nutzbar sein, könnten die Behörden dem Vorschlag der Österreicher nach einen Ausweis mit einer begrenzten Gültigkeit von "drei oder weniger Monaten" ausstellen.

Zwangsmaßnahmen selbst bei Kindern

Die Übergangsfristen für bestehende Identitätsdokumente will die Ratsspitze dagegen verlängern: Sie sollen maximal zehn Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung gültig sein, während die Kommission nur fünf Jahre vorsah. Ausweise ohne maschinenlesbare Zone verlieren dem Entwurf der Österreicher zufolge drei Jahre nach Inkrafttreten der Bestimmungen ihre Gültigkeit. Die EU-Kommission hatte hier zwei Jahre ins Spiel gebracht.

Bisher war in der EU nur geplant, die Fingerabdrücke von kleinen Kindern von Angehörigen aus Drittstaaten zu erheben und in Datenbanken wie dem Visa-Informationssystem (VIS) oder der Asylbewerberdatei Eurodac zu speichern. Das Alter, ab dem biometrische Daten von Kindern erfasst werden dürfen, soll in diesem Bereich von 14 auf 6 Jahre gesenkt werden. Wer nicht willig ist, dem drohen Sanktionen: Der EU-Ministerrat plädiert dafür, dass Beamte bei derlei Maßnahmen als "Ultima Ratio" sogar gegenüber Kindern etwa von Flüchtlingen "ein verhältnismäßiges Maß an Zwang" anwenden dürfen.

Insgesamt will die EU die biometrische Überwachung ihrer rund 500 Millionen Bürger sowie von Migranten deutlich ausweiten. Laut mehreren Initiativen, die den Rat voraussichtlich im Oktober passieren, sollen die gesamten, bereits weitgehend zentralisierten Datenbanken in den Sektoren Sicherheit, Grenzschutz und Migrationsmanagement über ein übergreifendes Suchportal verknüpft werden. Selbst sensible Personendaten wie biometrische Merkmale könnten die Behörden so über eine einzige Schnittstelle abgleichen. Praktisch entstünde damit eine Biometrie-Superdatenbank. Dazu kommen soll ein gemeinsamer "Identitätsspeicher" mit Fingerabdrücken von Hunderten Millionen Personen aus Drittstaaten.

Orwell lässt grüßen

Statewatch hatte bereits die ursprüngliche Initiative der Kommission zur Aufnahme von Fingerabdrücken in Ausweise als ungerechtfertigt und unnötig zurückgewiesen. Der damit einhergehende Eingriff in die Privatsphäre der EU-Bürger sei unverhältnismäßig, da echte Sicherheitsgewinne durch die Maßnahme nicht nachgewiesen werden könnten. Absehbar sei dagegen bereits der "Appetit" der Sicherheitsbehörden, zentrale Datenbanken auch für die biometrischen Merkmale aufzubauen sowie die Systeme ebenfalls zu vernetzen beziehungsweise "interoperabel" zu machen. Big Brother lasse grüßen.

Scharfe Kritik an der europäischen Linie äußerte auch der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko: Er sieht in den laufend erweiterten Vorhaben aus Brüssel, Polizeidatenbanken und Reiseregister zusammenzulegen, einen "weiteren Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung". Mit der biometrischen Megadatenbank drohe eine "permanente Rasterfahndung" durch einen "Bevölkerungsscanner" in den virtuell verknüpften Eingaben sowie ein "radikaler Bruch mit der klar definierten Zweckbindung von Informationssystemen". Datenschutzbeauftragte aus Deutschland und der EU warnen ebenfalls vor unverhältnismäßig weitreichenden Speicherungen in einer Art Polizei-Cloud. Die EU stehe kurz vor einem Punkt in der Sicherheitsarchitektur, "an dem es kein Zurück gibt".

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Abdiel 29. Aug 2018

Da würden mich ja direkt mal die inhaltlichen Fehler interessieren...

FreiGeistler 29. Aug 2018

Immer dieser Whataboutism. Ich bin nicht auf Sozial Media unterwegs, zahle bar, nutze...

PerilOS 29. Aug 2018

Die Deutsche Verfassung, sowie die EU Carta erlauben das nicht. Da es praktisch unmöglich...

Palerider 28. Aug 2018

Aber eins nach dem anderen, wenn Du den Ironiedetektor ohne emotion chip einbaust, kann...



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