Politik soll mitgestalten
Jan-Peter Kleinhans stellte ausdrücklich klar, man wolle nicht das Hohelied des Marktes singen und die Politik heraushalten. Der geplante, kleinteilige und auf sehr viele Daten angewiesen Ansatz sei allerdings zum Scheitern verurteilt. Julia Hess kritisierte die teils sehr tiefgreifenden Maßnahmen wie Exportbeschränkungen, da sie Unternehmen von Investitionen abschrecken könnten.
Sie sehen die europäische Politik vielmehr in der Verantwortung, einen Überblick über die Produktionskette von Halbleitern zu erarbeiten. Mit diesem ließen sich problematische Situationen wesentlich besser erkennen und das, ohne viele Daten zu sammeln. Die seien nämlich bereits öffentlich zugänglich verfügbar und müssten nur zusammengeführt werden.
Das von der SNV vorgeschlagene Krisenmanagement sei zudem kostengünstig - mit wenigen Millionen Euro, so Kleinhans und Hess, könne so eine nachhaltige und langfristige Politik verfolgt werden. Die würde aus strategischen Partnerschaften und einer gezielten Verteilung von Subventionen bestehen. Investitionen könnten dadurch in potentiell kritische Bereiche der Wertschöpfungskette gelenkt werden. Laut Hess könne die Politik damit den Krisenmodus, der zum European Chips Act führte, verlassen und bei der nächsten Knappheit besonnen reagieren.
Dass die Kritik an der geplanten Regelung berechtigt ist, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt. Anfälligkeiten der Halbleiterfertigung traten regelmäßig zum Vorschein: Ob Neon- oder Gasknappheit durch den Ukrainekrieg, fehlende Wafer oder lange Lieferzeiten bei Ausrüstung für Halbleiter-Fabs. All das erfasst der diskutierte technokratische Ansatz der EU-Kommission nicht - und dieser kann entsprechend erst reagieren, wenn es zu spät ist.
Industrie muss Beschaffung überdenken
Julia Hess machte darüber hinaus deutlich, dass die Probleme der Automobilindustrie beim Chipmangel auch hausgemacht seien. Hier habe man die Reaktionszeit der Halbleiterfertigung unterschätzt, Just-in-Time gehe bei Halbleitern nur so lange gut, bis stärkere Nachfrageschwankungen aufträten. Hess appelliert daher an die betroffenen Unternehmen, ihre Beschaffungsprozesse zu überdenken. Eine langfristigere Planung mit größerem Inventar helfe, Knappheiten zu überbrücken.
Auch EU-Mitglieder sind unzufrieden
Die dritte Säule des European Chips Act ist Teil eines größeren Plans zur Krisenprävention. Der hat den Titel Single Market Emergency Instrument (SMEI) und ist auch in der EU umstritten. Denn hier sollen dieselben Mechanismen - Marktbeobachtung, Sammelbestellungen und Exportrestriktionen - genutzt werden. Kleinhans sagte, nach Beobachtungen der SNV führe die dritte Säule zu den meisten Diskussionen, eine Verzögerung des Chips Acts hierdurch sieht er allerdings nicht.
Die diskutierten Befugnisse der EU-Kommission im Rahmen des SMEI gehen einigen Mitgliedern zu weit. Anfang Juni 2022 berichtete Bloomberg, dass neun EU-Länder, darunter Schweden, Finnland und die Niederlande, mit dem geplanten Krisenmanagement der EU unzufrieden seien. Sie befürchten, dass die EU zu großen Einfluss auf die Industrie nehmen könnte - auch unabhängig von Krisen.
Laut Kleinhans ist es daher durchaus denkbar - und wünschenswert -, dass das aktuell geplante Krisenmanagement im Trilog, der finalen Aushandlung zwischen Europäischer Kommission, Rat und Parlament, noch abgeändert wird.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
- ohne Werbung
- mit ausgeschaltetem Javascript
- mit RSS-Volltext-Feed
EU Chips Act: Untaugliches Bürokratiemonster gegen Chipmangel |
- 1
- 2
+1
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was...
Kommentieren