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Erneuerbare Energien: Wie Island seinen Ökostrom doppelt verkauft

Ein europäisches System zum Handel mit Strom ermöglicht fragwürdige Geschäfte, bei denen derselbe Ökostrom mehrfach angerechnet wird.
/ Hanno Böck
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Strom aus Wasserkraftwerken wie hier dem Kraftwerk Ljósafossstöð lässt sich gut verkaufen - manchmal auch doppelt. (Bild: Hanno Böck)
Strom aus Wasserkraftwerken wie hier dem Kraftwerk Ljósafossstöð lässt sich gut verkaufen - manchmal auch doppelt. Bild: Hanno Böck

Hundert Prozent erneuerbare Energien - damit werben inzwischen viele Stromanbieter, insbesondere in Deutschland. Ebenso behaupten immer mehr Unternehmen, dass sie klimaneutral wirtschaften und folglich ihre Produkte nur mit sauberem Strom produzieren.

Was steckt hinter solchen Werbeaussagen? Strom, wenn er einmal ins Netz eingespeist ist, lässt sich nicht unterscheiden. Rein physikalisch ist es nicht möglich, Stromkunden in einem gemeinsamen Stromnetz den Strom aus einer bestimmten Quelle zukommen zu lassen.

Wer Ökostrom kauft, der zahlt daher meist dafür, dass an anderer Stelle Ökostrom ins Netz eingespeist wird. Doch daneben gibt es eine weitere Variante, mit der Stromanbieter - und indirekt auch Strom verbrauchende Unternehmen - ihren Strom "begrünen" können: Herkunftsnachweise für erneuerbare Energien.

Stromeigenschaft kann unabhängig vom Strom gehandelt werden

Diese Herkunftsnachweise sind ein System, das in der EU-Richtlinie für erneuerbare Energien vorgesehen ist. Hierbei wird faktisch der Verkauf des physischen Stroms komplett von der "Stromeigenschaft", also wie dieser hergestellt wurde, entkoppelt.

Ein Beispiel: Ein Stromanbieter in Deutschland nutzt einen hierzulande üblichen Strommix. Ein Stromanbieter in einem anderen Land, der ausschließlich Wasserkraftwerke betreibt, kann nun für diese Kraftwerke Herkunftsnachweise an den deutschen Stromanbieter verkaufen. Dadurch darf dieser dann seinen Kunden gegenüber behaupten, dass er ausschließlich Ökostrom verkaufe.

Im Umkehrschluss muss der Anbieter, der nur Wasserkraft betreibt, seinen Kunden gegenüber einen entsprechenden Teil an nicht erneuerbarem Strom auf der Stromrechnung ausweisen.

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System ermöglicht Doppelanrechnungen

Die Kunden dieses Wasserkraftbetreibers müssten eigentlich, nach der Logik dieses Systems, davon ausgehen, dass sie nicht mehr mit erneuerbarem Strom versorgt werden. Doch rein physikalisch erhalten sie natürlich weiterhin Wasserkraft - und können auch damit werben.

Der Ökostrom wird dadurch doppelt angerechnet: zum einen von den Unternehmen, die ihn direkt beziehen, zum anderen von denen, die die Herkunftsnachweise einkaufen. Das System wird dadurch ad absurdum geführt, doch genau das findet in großem Stil statt - und es gibt niemanden, der dagegen einschreitet.

Island verkauft virtuell Ökostrom ins Ausland

Island ist kein Mitglied der Europäischen Union, es ist aber Teil der European Economic Area (EEA). Die Staaten, die dort Mitglied sind, sind an zahlreichen EU-Regulierungen beteiligt, daher hat Island auch die EU-Richtlinie für erneuerbare Energien umgesetzt und ist am System der Strom-Herkunftsnachweise beteiligt.

Das bedeutet, dass isländische Stromerzeuger ihren Ökostrom virtuell ins Ausland verkaufen können - obwohl das Land ein autarkes Stromnetz hat. Eine Verbindung mit dem europäischen Festland gibt es nicht.

Dadurch sehen manche Stromkunden in Island durch die Herkunftsnachweise auf ihrer Stromrechnung Kohle- und Atomstrom - obwohl das Land keine Kohle- und Atomkraftwerke hat und auch keinen Strom importiert.

Stromerzeuger Landsvirkjun verkauft Herkunftsnachweise für 7 Millionen Euro

Für die Stromerzeuger ist es ein gutes Geschäft: Der staatliche Stromerzeuger Landsvirkjun, der etwa 70 Prozent des Stroms in Island produziert, verdient durch den Verkauf von Herkunftsnachweisen etwa 7 Millionen Euro jährlich(öffnet im neuen Fenster) .

In Sachen erneuerbare Energien ist Island Vorreiter. Fossile Kraftwerke hat das Land schon lange nicht mehr, mehr als 99 Prozent des Stroms kommen aus Wasserkraft und Geothermiekraftwerken .

In Island wurde dabei seit den 1990er Jahren eine Strategie verfolgt, energieintensive Unternehmen anzuwerben und diesen günstigen und vergleichsweise ökologischen Strom anzubieten. Besonders präsent ist in Island die Aluminiumindustrie. Drei große Aluminiumhütten verbrauchen zusammen etwa 12 Terawattstunden und damit mehr als die Hälfte des in Island produzierten Stroms.

In Island werden jährlich etwa 19 Terawattstunden elektrische Energie erzeugt. Das ist zwar im Vergleich zu anderen Ländern wenig - in Deutschland etwa sind es über 500 Terawattstunden -, aber pro Kopf produziert Island extrem viel Strom. Das Land hat nur etwa 370.000 Einwohner.

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Von den 19 Terawattstunden Strom aus Wasserkraft und Geothermie werden für 14 Terawattstunden Herkunftszertifikate exportiert(öffnet im neuen Fenster) . Sprich: Für diesen Strom gibt es Abnehmer in anderen Ländern, die damit dort ihren Strom virtuell begrünen. Importiert werden Herkunftszertifikate nur in vernachlässigbaren Mengen.

Alle isländischen Aluminiumhersteller werben mit Ökostrom

Alle drei Aluminiumhersteller in Island - Rio Tinto(öffnet im neuen Fenster) , Nordural(öffnet im neuen Fenster) und Alcoa(öffnet im neuen Fenster) - werben damit, dass ihre Produktion in Island mit 100 Prozent erneuerbaren Energien geschieht. Aus den genannten Zahlen wird daher deutlich, dass hier Ökostrom mehrfach angerechnet wird. Die Aluminiumhersteller beziehen zwar den Strom physikalisch aus Wasserkraft und Geothermie, sie erhalten dafür aber keine Herkunftsnachweise. Diese werden an anderer Stelle verkauft und erlauben anderen Unternehmen, mit grünem Strom zu werben.

Der größte Stromversorger in Island ist der Staatskonzern Landsvirkjun. Zwei der Aluminiumhersteller beziehen ihren Strom ausschließlich von Landsvirkjun, ein Dritter teilweise.

Im Gespräch mit Golem.de erklärte Landsvirkjun lediglich, dass man allen seinen Kunden anbiete, Herkunftszertifikate zu erwerben. Ob die Kunden das tun, bleibt allerdings ihnen überlassen. Zu einzelnen Kunden will man sich nicht äußern und verweist uns direkt an die Aluminiumkonzerne.

Verband von Zertifikatsausstellern weiß seit Jahren von den Doppelzählungen

Für die Ausstellung der Herkunftsnachweise sind in den teilnehmenden Staaten jeweils Behörden zuständig, die auf europäischer Ebene in der Association of Issuing Bodies (AIB)(öffnet im neuen Fenster) zusammengeschlossen sind. Wir haben bei der AIB nachgefragt, was es mit derartigen Doppelzählungen auf sich hat.

Dort erfahren wir Erstaunliches: Die AIB weiß seit langem von den Doppelzählungen in Island - und hält diese für legal. Es sei weder ein Verstoß gegen die Erneuerbare-Energien-Richtlinie noch gegen isländische Gesetze.

Die AIB ist demnach seit Jahren im Gespräch mit der in Island zuständigen Regulierungsbehörde und hat auch schon vorgeschlagen, dass die isländische Regierung entsprechende Gesetze verabschiedet, die Derartiges unterbinden. "Die Situation hat sich verbessert, wobei neben der Stornierung von Herkunftsnachweisen durch die Lieferanten an alle Haushaltsverbraucher derzeit mindestens zwei Rechenzentren Herkunftsnachweise stornieren" , so Liesbeth Switten von der AIB.

Im Klartext: Der AIB ist das Problem seit Jahren bekannt, aber man freut sich immerhin, dass zumindest einige kleinere Verbraucher inzwischen entsprechende Herkunftsnachweise für ihren Strom vorweisen können.

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AIB antwortet auf viele unserer Fragen nicht

Irritiert hat uns hier, dass die AIB uns schreibt, dass "mindestens zwei" Rechenzentren entsprechende Herkunftsnachweise nutzen. Denn Golem.de hat mit den drei größten Rechenzentrumsbetreibern in Island gesprochen, die insgesamt jeweils mehrere Standorte betreiben - und alle haben versichert, dass sie erneuerbare Energien nutzen und hierfür auch Herkunftsnachweise erhalten. Rückfragen dazu hat die AIB uns nicht beantwortet.

Wir haben daraufhin der AIB noch eine Reihe weiterer Fragen geschickt, unter anderem hätten wir gerne gewusst, ob ähnliche Fälle in anderen Ländern bekannt sind. Doch auf alle weiteren Kommunikationsversuche von uns hat die AIB nicht reagiert.

Aluminiumkonzern Alcoa lehnt Ausgleichsmechanismen ab

Wir haben auch bei den drei in Island operierenden Aluminiumkonzernen nachgefragt. Rio Tinto und Nordual antworteten auf unsere Anfragen nicht. Alcoa war zu einem Interview bereit, wir konnten mit Ole Løfsnæs, Energiedirektor für Alcoa in Nordeuropa, sprechen.

Løfsnæs bestätigte im Gespräch mit Golem.de, dass der Konzern keine Herkunftsnachweise für seinen Strom erwerbe - sowohl für seine Standorte in Island als auch in Norwegen. Damit erfahren wir, was die AIB uns nicht sagen wollte: Auch in anderen Ländern, die am System der Herkunftsnachweise beteiligt sind, gibt es derartige Fälle von Doppelanrechnungen. Norwegen ist ähnlich wie Island Teil der EEA und nutzt zur Stromerzeugung fast ausschließlich Wasserkraft.

Alcoa nutzt in seinen Nachhaltigkeitsberichten eine ortsbasierte Methode, um seine Treibhausgasemissionen zu berechnen, was bedeutet, dass allein der vor Ort vorhandene Strommix relevant ist. Und der besteht in Island - und auch in Norwegen - nahezu komplett aus erneuerbaren Energien.

Die ortsbasierte Methode verwendet der Konzern laut Løfsnæs, weil Alcoa international agiert, also auch in Ländern, die keine Herkunftsnachweise und kein vergleichbares System haben, und für seine Gesamtklimabilanz eine einheitliche Berechnungsmethode nutzen muss.

Alcoa nutzt keine Emissionsausgleichszahlungen und Herkunftsnachweise

Løfsnæs verweist auch darauf, dass Alcoa das Ziel hat, seine Produktion insgesamt klimaneutral zu gestalten. "Alcoa möchte tatsächlich im physikalischen Sinne klimaneutral werden und lehnt daher Mechanismen wie Kohlendioxid-Ausgleichszahlungen und Herkunftsnachweise ab" , so Løfsnæs im Gespräch mit Golem.de.

Sprich: Alcoa möchte Ausgleichsmechanismen vermeiden und seine tatsächlichen Emissionen reduzieren, was eigentlich ein lobenswertes Ziel ist. In Kombination mit der Existenz des EU-Herkunftsnachweissystems, und angesichts der Tatsache, dass Alcoas Stromversorger Landsvirkjun die daraus entstehenden Extra-Gewinne gern einstreicht, entsteht aber eine Doppelanrechnung.

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Unterschiedlicher Blick auf Stromherkunft führt zu Doppelanrechnung

Die einen betrachten die Stromherkunft nach dem handelbaren System der Herkunftszertifikate, während andere die physikalische Realität der Stromverteilung als Maßstab nehmen. Dadurch findet eine virtuelle Verdopplung von Ökostrom statt, der nur einmal produziert wurde. Es wurde versäumt, in den gesetzlichen Regelungen hier Klarheit zu schaffen.

Wie groß das Problem insgesamt ist, lässt sich schwer nachvollziehen - auch weil das gesamte System extrem intransparent ist. Die AIB veröffentlicht nur statistische Daten, welche die Importe und Exporte von Staaten zusammenfassen.

Wer Herkunftsnachweise wohin verkauft und welche Unternehmen für ihren Stromverbrauch solche Nachweise haben, ist nicht öffentlich bekannt. Im Fall von Island konnten wir die Probleme nur deshalb nachvollziehen, weil einige wenige Unternehmen nahezu den gesamten Strommarkt dominieren.

Die Recherchen für diesen Text fanden teilweise im Rahmen einer Journalistenreise statt, die von der Organisation Business Iceland(öffnet im neuen Fenster) organisiert und finanziert wurde.


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